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"Das Gericht hätte eine Frist setzen müssen"

US-Völkerrechtler de Zayas über Guantánamo und den Status der Militärbasis

von Ansgar Graw Berlin

Für den Prozess gegen drei von rund 600 Terrorverdächtigen auf dem US-Stützpunkt Guantánamo hat die US-Armee ein fünfköpfiges Militärtribunal eingerichtet. Das Verteidigungsministerium erklärte am Dienstag, der erste Fall werde voraussichtlich noch in diesem Jahr verhandelt. Am Montag hatte der Supreme Court entschieden, dass diese Häftlinge gegen ihre Haft vor US-Gerichten klagen dürfen. Mit dem US-Völkerrechtler Professor Alfred M. de Zayas, tätig am Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales in Genf, und ehemaligen Sekretär des UN-Menschenrechtsausschusses sprach Ansgar Graw.

DIE WELT: Was bedeutet das Urteil des Obersten Gerichtshofes?

Alfred M. de Zayas: Es bedeutet, dass sich auch die amerikanische Regierung nicht über das Gesetz stellen und die Herrschaft des Rechts negieren darf. Nach internationalem Recht darf jeder Gefangene die Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung von einem Gericht prüfen lassen. Präsident Bush hat sich angemaßt, unter Berufung auf den Krieg gegen den internationalen Terrorismus Menschenrechte außer Kraft zu setzen. Das haben die Richter zurückgewiesen.

DIE WELT: Heißt das, Amerika darf den Krieg gegen den Terror nicht führen?

De Zayas: Amerika ist am 11. September von Terroristen angegriffen worden, und Amerika muss sich wehren. Ich bin strikt dagegen, nachsichtig gegen Terroristen zu sein und sie in Freiheit zu lassen. Aber der bloße Verdacht, irgendjemand könne zu den Terroristen gehören, reicht nicht, um diese Person für zweieinhalb Jahre nach Guantánamo zu bringen und ihr Menschenrechte vorzuenthalten.

DIE WELT: Halten Sie alle Guantánamo-Gefangenen für unschuldig?

De Zayas: Sicher sind nicht alle unschuldig. Aber offenkundig fehlt es an Beweisen gegenüber der ganz großen Mehrheit der rund 600 Inhaftierten. Artikel 14 Absatz 2 des UN-Pakts über bürgerliche und politische Rechte betont die Unschuldsvermutung, und nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" muss in überschaubarer Zeit ein Verfahren eröffnet oder der Gefangene freigelassen werden. Darum hatte ich auf ein weiter gehendes Urteil gehofft.

DIE WELT: Hätten die Richter die Freilassung der Gefangenen verfügen müssen?

De Zayas: Ich hätte mir gewünscht, das Gericht hätte eine Frist gesetzt, beispielsweise von 14 Tagen, innerhalb derer die USA konkrete Anklagen gegen alle - und nicht nur drei - Inhaftierte erheben müssten. Die lange Haft verletzt eindeutig die Konvention gegen Folter und den Artikel 9 der besagten UN-Konvention. Auch die Bill of Rights und die Verfassung werden ignoriert.

DIE WELT: Greift die Verfassung der USA in einem Camp, das nicht im Hoheitsgebiet der USA liegt?

De Zayas: In jedem Fall. Der Geltungsbereich der Verfassung ist nicht auf das Hoheitsgebiet der USA beschränkt. Es erstreckt sich auch auf Militärbasen im Ausland. Trotzdem ist die Frage nach der Rechtslage des Stützpunktes Guantánamo wichtig.

DIE WELT: Darüber gibt es einen Vertrag der USA mit Kuba.

De Zayas: Ja, aus dem Jahr 1903, und 1934 wurde die jährliche Pacht von 2000 auf 4085 Dollar erhöht. Aber Kuba nimmt die Zahlungen nicht mehr an und fordert seit 1959 die USA zum Abzug auf. Der Vertrag sei mit Gewalt erzwungen worden, und solche Verträge haben nach dem modernen Völkerrecht keine Gültigkeit. In den Artikeln 1 und 2 wird zudem definiert, das gepachtete Territorium dürfe nur "als Kohlestation oder Marinebasis und zu keinem anderen Zweck" genutzt werden. Die Internierung von Gefangenen ist aber ein anderer Zweck. Nach Artikel 60 der Wiener Konvention über das Vertragsrecht ist ein Vertrag bei schwer wiegenden Verstößen gegen seine Bestimmungen nichtig.

DIE WELT: Nach dem Versuch Moskaus 1962, Mittelstreckenraketen auf Kuba zu stationieren, ist ein Rückzug der USA doch abwegig.

De Zayas: Die UdSSR gibt es nicht mehr, und amerikanische Admiräle haben wiederholt bekundet, dass Guantánamo strategisch völlig wertlos ist. Viel wertvoller war die Panamakanalzone, die ebenfalls seit 1903 vertraglich abgesichert war, und trotzdem hat Präsident Carter 1977 den Rückzug verfügt.

DIE WELT: Sie galten immer als Republikaner.

De Zayas: Ich bin Mitglied und registrierter Wähler der Republikaner, und ich habe George W. Bush gewählt. Aber die Lügen, mit denen er uns in den Krieg getrieben hat - die angeblichen Massenvernichtungswaffen, die angebliche Beteiligung von Saddam an "9/11", die angeblichen Verbindungen zu Al Qaida -, lassen mich bei dieser Wahl erstmals einen Demokraten wählen: John Kerry.

DIE WELT: Immerhin wurde durch den Krieg ein blutiger Diktator gestürzt, und gerade bekam das Land seine Unabhängigkeit zurück.

De Zayas: Saddam war ein blutiger Diktator, gar kein Zweifel. Aber das gibt keinem Staat das Recht zur Intervention mit dem Ziel eines"regime change". Das Recht zur humanitären Intervention nach Kapitel 7 ihrer Charta hätten nur die Vereinten Nationen, etwa wenn es darum geht, einen Völkermord zu stoppen. In Kambodscha wäre das möglich gewesen und in Ruanda. Und heute im Sudan.

DIE WELT: Saddam hat Kurden und Schiiten abgeschlachtet.

De Zayas: Ja, aber nicht im März 2003. Es geht immer um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Für den Krieg, für den Folterskandal und für die Terroropfer trägt Bush die Verantwortung. Er hat unsere amerikanischen Werte verraten, und wenn er noch einen Funken Ehre hätte, würde er zurücktreten.

Artikel erschienen am 1. Juli 2004

© WELT.de 1995 - 2004

Vollständige Url des Artikels: http://www.welt.de/data/2004/07/01/298899.html

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