KASSEL 9. Oktober 2004
WER HAT ANSPRUCH AUF HEIMATRECHT ?
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren
Liebe Frau Steinbach
Das Völkerrecht ist der Ausdruck der Verhaltensnormen, die seßhafte Völker über Jahrhunderte entwickelt haben. Ohne Seßhaftigkeit gibt es keine Staaten und auch kein Völkerrecht. Seßhaftigkeit ermöglicht die Entwicklung von Kultur, mit seinen vielen Ausdrucksformen in Architektur, Kunst, Literatur und auch Rechtswissenschaften. Die Garantie der Seßhaftigkeit ist das Heimatrecht.
Das Völkerrechts kennt viele Bereiche. Besonders wichtig für den Menschen sind die Normen der Menschenrechte. Diese Rechte werden nicht im Leerraum ausgeübt, sondern dort, wo der Mensch wohnhaft ist, wo die Familie ihre Wurzel hat, bzw. wo man seine Heimat hat.
Nur ein Beispiel: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker – etwa das Recht auf freie Wahlen – ist ohne Heimatrecht überhaupt nicht vorstellbar. Wie könnte man das Selbstbestimmungsrecht ausüben, wenn man jederzeit vertrieben werden könnte ?
So wird es klar, daß das Heimatrecht ein primäres Recht ist. Es bildet zugleich eine Grundlage des Völkerrechts und der Menschenrechte, eine Voraussetzung der Weltordnung und des Genusses der anderen Menschenrechte.
Keiner hat es besser formuliert, als der sehr geschätzte und, leider zu früh verstorbene Professor Otto Kimminich in seinem Buch Das Recht auf die Heimat. Er schrieb:
„Das Recht auf die Heimat ist nicht nur das wichtigste der kollektiven Menschenrechte, sondern schafft auch die Voraussetzung für den Genuß vieler individuelles Menschenrechte.“
Dies konstatierte auch der erste Hochkommissar für Menschenrechte, José Ayala Lasso , in seinem Grußwort an die deutschen Vertriebenen am 28. Mai 1995 anläßlich der Feierstunde „Fünfzig Jahre Vertreibung.“ in der Paulskirche zu Frankfurt. Dies konstatierte Ayala nochmals bei einer Expertenkonferenz in den Vereinten Nationen in Genf im Februar 1997. Aus dieser Konferenz, an die ich auch teilgenommen habe, entstand der Schlussbericht vom Sonderberichterstatter Awn Shawkat Al-Khasawneh an die UNO-Unterkommission für Menschenrechte. In diesem Bericht wird das Recht auf die Heimat bekräftigt, und Konsequenzen werden daraus gezogen. In einer Erklärung von 13 Punkten werden Vertreibungen eindeutig als völkerrechtswidrig eingestuft, und die verletzten Rechtsgüter werden aufgezählt.
Dieser Erklärung und der Bericht wurden anschließend von der Menschenrechtskommission angenommen, und vom UNO- Wirtschafts- und Sozialrat bestätigt, leider aber noch nicht von der UNO-Generalversammlung. Dies hat auch seine Gründe, denn Al Khasawneh ist inzwischen Richter am Internationalen Gerichtshof in den Haag und Ayala Lasso ist im Ruhestand. Mit anderen Worten, es fehlen die Förderer der Erklärung. Kein Mensch identifiziert sich mit der Erklärung als seine Erklärung. Und diese Inbesitznahme einer Resolution oder einer Erklärung ist in der Praxis der Vereinten Nationen sehr notwendig. Jemand muß bereit sein, dafür zu kämpfen.
Wie Sie sehen, ist das Recht auf die Heimat keine rein-deutsche Angelegenheit – und auch keine Erfindung von deutschen Völkerrechtslehrern. Bereits 1931 schrieb der französische Professor Robert Redslob in seinem Kurs an der Académie de Droit International in Den Haag:
„Die Zwangsumsiedlung einer Bevölkerung kann nicht gebilligt werden, denn sie verletzt ein überragendes Recht [...] [und] bedeutet die Opferung eines [...] höchsten Gutes, das der Mensch unter Berufung auf ein nicht minder heiliges Recht erstrebt: das Heimatland. [...] Es gibt en Recht auf die Heimat, und es ist ein Menschenrecht.“
Auch der Belgier Georges Scelle konstatierte in einer Konferenz der Institut de Droit International in Siena 1952:
„Jeder Bevölkerungstransfer stellt eine Verletzung der neuzeitlichen internationalen Ethik dar, die die vorrangige Grundlage der internationalen Rechtsordnung ist. Jeder Massentransfer stellt eine Gewaltanwendung dar, die den allgemeinen Rechtsgrundsätzen widerspricht, ganz gleich, ob es sich um einen innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Transfer handelt.“
Allerdings ist das Heimatrecht – wie andere Rechte – eben ein Anspruch, eine Option. Das heißt : man kann es ausüben oder auch nicht. Es gibt keinen Zwang, in der Heimat zu leben, jedoch gibt es ein Recht, in der Heimat zu verbleiben und nicht von dort vertrieben zu werden. Wenn man vertrieben wird, gibt es dann ein Rückkehrrecht.
Diese sind die zwei Hauptelemente des Heimatrechtes, wie die UNO-Menschenrechtskommission in etlichen Resolutionen behauptet hat
Wie es in Resolutionen der Generalversammlung und des Sicherheitsrates erscheint
Das Primärrecht ist das Recht, in Frieden und Würde in der Heimat zu leben
Das Sekundärrecht, ist das Recht, in die Heimat zurückzukehren.
Die Normen des Völkerrechts sind klar und jedoch die Umsetzung der Normen ist und bleibt mangelhaft
Nach dieser Einführung in die Materie möchte ich die folgende Struktur für den heutigen Vortrag vorschlagen – wir werden die Normen, die Rechtsprechung, die Organe, die Mechanismen und die Umsetzungsmöglichkeiten besprechen.
Aber bevor wir mit der Untersuchung der Normierung des Rechtes auf die Heimat beginnen, erlauben Sie mir noch auf die Frage zu kommen
Wer hat Anspruch auf das Recht auf die Heimat ?
Dieses Rückkehrrecht ist von der Generalversammlung und vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wiederholte male den Kroaten, Bosnisch-Muslimen, Serben (Krajina) zugesprochen worden – ebenfalls den Tutsis, aber auch den geflüchteten Hutus aus Rwanda.
Das Rückkehrrecht steht nicht nur der Vertriebenengeneration zu, sonder auch ihren Kindern und Enkelkindern zu. Dies wird im General Comment No. 27 des UNO-Menschenrechtsausschusses in Absatz 19 bestätigt. Und in der Praxis konstatieren wir, daß seit 1990 etwa 300,000 Krimtataren von Usbekistan und Kasakhstan zurück in die Heimat auf der Krim zurückkehrten. Und zwar mit Genehmigung und finanzieller Unterstützung der Vereinten Nationen und des Europarates.
Der Anspruch hängt von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe ab. Freilich ist das Heimatrecht mit vielen anderen Rechten verbunden – wie z.B. das Eigentumsrecht. Es ist aber ein höheres und primäres Recht. Ein vertriebener ohne Grundbesitz hat ein Anspruch auf Heimatrecht. Er darf zurück in sein land, unabhängig von Eigentum. Wiederum können in vielen Ländern auch Ausländer Grundbesitz haben. Ich wohne in Genf und bin Hausbesitzer, doch habe ich streng genommen kein Heimatrecht in der Schweiz !
Nun ein Wort über kollidierende Ansprüche .
Dies darf kein ernsthaftes Problem darstellen. Wenn die Menschenrechte – einschließlich Minderheitenrechte -- geachtet werden, können zwei Anspruchsberechtigte Völker im selben Gebiet leben. So können Deutsche und Polen Heitmatrecht in Schlesien haben, Serben und Kroaten in Serbien und in Bosnien-Herzegowina, Juden und Palästinenser im ehemaligen Mandatsgebiet Palästina.
Die Liebe zu Heimat ist ein positiver Wert. Derjenige, der seine Heimat liebt, tut was für die Heimat und für die künftigen Generationen. Man muß bloß die Menschenrechte von den anderen respektieren.
DIE NORMIERUNG DES RECHTES AUF DIE HEIMAT
Wo finden wir diese Normen ?
Wir finden sie zunächst im Naturrecht bei St. Thomas von Aquin, Suárez, Vitoria, etc.
Aber, da wir in einer sehr positivistischen Welt leben, werde ich lieber auf die Kodifizierung des Rechtes auf die Heimat konzentrieren, auf das, was man hard law bzw. hartes Recht nennt.
Seit der Haagerlandkriegsordnung von 1899 und 1907 die Kriegführung wird durch das sog. „Martens clause“ limitiert:
« Solange, bis ein vollständigeres Kriegsgesetzbuch festgestellt werden kann, halten es die hohen vertragsschliessenden Teile für zweckmässig, festzusetzen, dass in den Fällen, die in den Bestimmungen der von ihnen angenommenen Ordnung nicht einbegriffen sind, die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutze und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechtes bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens.“
Somit ist es klar, dass die Rechte der Kriegführende beschränkt sind. Ausserdem wird die Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten durch Artikel 42 bis 56 geschützt. So bestimmt Artikel 46:
„Die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden. Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden.“
Diese Normen galten für den Ersten und Zweiten Weltkrieg.
Nach dem Krieg wurde die Konvention gegen den Völkermord im Dezember 1948 angenommen und im August 1949 die 4. Genfer Konvention über den Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg Artikel 49 ist einschlägig:
„Einzel- oder Massenzwangsverschickungen sowie Verschleppungen von geschützten Personen aus einem besetzten Gebiet ... sind ohne Rücksicht auf deren Beweggrund untersagt. [...]Jedoch kann die Besatzungsmacht eine vollständige oder teilweise Räumung einer bestimmten besetzten Gegen durchführen, wenn die Sicherheit der Bevölkerung oder zwingende militärische Gründe es erfordern. [...] Unmittelbar nach Beendigung der Feindseligkeiten in der beetreffenden Gegend wird die so verschickte Bevölkerung in ihre Heimat zurückgeführt.
[...] Die Besetzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet verschleppen oder verschicken.“
Artikel 85 Absatz 4(a) des ersten Zusatzprotokolls von 1977 zählt zu den „schweren Verletzungen“ die Deportation oder die Überführung der Bevölkerung eines besetzten Gebietes. Artikel 17 des zweiten Zusatzprotokolls besagt: „Die Verlegung der Zivilbevölkerung darf nicht aus Gründen im Zusammenhang mit dem Konflikt angeordnet werden, sofern dies nicht im Hinblick auf die Sicherheit der betreffenden Zivilpersonen oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten ist.
Vertreibungen werden auch als Kriegsverbrechen (Art. 8) und Verbrechen gegen die Menschheit (Art. 8) im Statut des Internationalen Strafgerichtshofes definiert. Somit ist es klar, dass Vertreibungen nicht nur Staatenverantwortlichkeit nach sich zieht, aber auch persönliche strafrechtliche Haftung.
In Friedens- wie in Kriegszeiten gelten auch die Menschenrechtskonventionen, u.a. der Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, und die Konvention gegen die Rassendiskriminierung von 1966.
Es ist klar, dass Vertreibungen alle diese Konventionen verletzen würden, u.a. dass Recht auf Leben, das Recht auf Privatleben, das Recht auf Familienleben, das Recht auf Privateigentum, Recht auf Gleichbehandlung, Recht auf Arbeit, Recht auf Sozialversicherung, Recht auf Kultur, usw. Man darf e contrario folgen, dass wenn Vertreibungen verboten sind und als Verbrechen eingestuft werden, so gibt es auch ein positives Recht auf die Heimat, als der positiver Ausdruck des internationalen Vertreibungsverbotes.
Hinzu kommen die regionalen Konventionen und Protokollen, wie die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 und 1998, die Amerikanische Menschenrechtskonvention von 1969 und die afrikanische (Banjul) Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker von 1981. Alle diese Konventionen verbieten Massenvertreibungen.
Es ist natürlich nicht genug, Normen zu schaffen. Es müssen Aufsichtsorgane und Tribunale geben, die für die Umsetzung der Normen sorgen.
Im universellen Bereich gibt es die UNO-Generalversammlung, der UNO-Sicherheitsrat, die UNO-Menschenrechtskommission, der UNO-Menschenrechtsausschuss, der UNO-Ausschuss gegen die Rassendiskriminierung usw.
Im regionalen Bereich gibt es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der Inter-Amerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in San Jose Costa Rica, die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte in Washington, D.C., die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker in Banjul, Gambia.
Diese haben viele Möglichkeiten, tätig zu werden, wie z.B., Sonderberichterstatter zu ernennen, Kommissionen in loco zu versenden, Staatenbeschwerden und Individualbeschwerden zu untersuchen.
Die Umsetzung der Entscheidungen und Urteile ist aber selten gesichert, denn Sanktionen kann allein der Sicherheitsrat verhängen. Und die Fünf Großmächte haben Veto-Recht.
Neben den internationalen Instanzen gibt es auch nationale Instanzen. So haben Holocaust-Opfer auch in nationalen Gerichten erfolgreich prozessiert. In Deutschland, in Österreich, in den USA. Opfer von ethnischen Säuberungen in Bosnien-Herzegowina haben erfolgreich an die Human Rights Chamber Bosnia-Herzegovina in Sarajevo appelliert.
Schließlich gibt es die Institution des diplomatischen Schutzes . Die Bundesrepublik hat jederzeit das Recht – ich würde sagen die Verpflichtung – die Rechte der deutschen Vertriebenen bilateral gegenüber Polen und der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarn usw. zu vertreten. Die Bundesrepublik könnte ebenfalls den diplomatischen Schutz vor dem UNO-Menschenrechtsausschuss (Staatenbeschwerde) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausüben. Dies haben die CDU und SPD Regierungen beide unterlassen. Eine arge verpasste Gelegenheit.
Das Recht auf die Heimat ist von vielen Gerichten behauptet worden. So wurden die Vertreibungen, die die Nazis durchführten – von 100,000 Franzosen aus Elsaß und eine Million Polen aus dem Warthegau – als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in Nürnberg verurteilt.
Es ist eine bekannte Anomalie, dass während die Nazis zum Tode verurteilt wurden, die Alliierten gleichzeitig viel größere Vertreibungen durchführten, als die Nazis begangen hatten.
Die Nürnberger Rechtsprechung wurde von der UNO-Generalversammlung in Resolution 95(I) einstimmig angenommen und zum geltenden Völkerrecht erklärt.
In den 90er Jahren erlebte die Welt die sog. „ethnischen Säuberungen“ im ehemaligen Jugoslawien. Im Grunde ist der jetzt laufende Prozeß gegen Slobodan Milosevic ein Prozeß wegen der Verletzung des Heimatrechtes der bosnischen Muslimen und der Kossovo-Albaner. Absatz 35 der Anklage wirft ihm u.a. vor:
„Die rechtswidrige Deportation und Zwangsumsiedlung Tausender Kosovo-Albaner aus ihren Wohnungen im Kosovo folgte wohl geplanten und koordinierten Anstrengungen durch die Führer der Föderativen Republik Jugoslawiens und Serbiens und der Streitkräfte Serbiens und des FRJ.... schwere Bombardierungen und bewaffnete Angriffe auf Dörfer; verbreitete Tötungen, Zerstörung von nichtserbischen Wohngegenden sowie kulturellen und religiösen Stätten; schließlich Zwangsumsiedlungen und Deportationen der nichtserbischen Bevölkerung“
Dies ist internationale Strafjustiz, ein Teil des Völkerrechtes. Aber die Menschenrechtstribunale beschäftigen sich auch mit dem Tatbestand der Vertreibungen als allgemeine Verletzungen des Völkerrechts, als internationale Delikte für die die Staaten haften. So die Europäische Menschenrecthskommission
„Die Vertreibung von griechischen Zyprioten aus ihren Wohnstätten, einschließlich ihrer eigenen Häuser, wofür gemäß der Konvention die Türkei verantwortlich ist, stellt einen Eingriff in die Ausübung der im Artikel 8, Absatz I garantierten Rechte, nämlich des Rechts dieser Menschen auf Achtung ihrer Wohnungen sowie Privat- und Familienleben [...] dar.“ (Bericht vom 10. Juli 1976)
Es sind einer Reihe Staatenbeschwerden von Zypern gegen die Türkei, in welchem die Vertreibungshandlungen vom Juli 1974 und die Folgen angezeigt werden. In einer Reihe Urteile hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Handlungen als Verletzungen von mehreren Artikeln der Konvention erklärt.
Was Privateigentum betrifft, hat der Europäische Gerichtshof in mehreren Fällen festgestellt, dass die türkische Konfiskation von zypriotischer Privateigentum in Nord-Zypern eine Verletzung des I. Protokolls zur Konvention darstellt. So in seinem Urteil vom 18. Juli 1998 im Fall Titina Loizidou v. Türkei.
Der UNO Menschenrechtsausschuss hat Gelegenheit gehabt, Aspekte von Konfiskationen von Privateigentum zu prüfen. Freilich sind die Konfiskationen von deutschem Eigentum in Polen und in der Tschechoslowakei geschehen, bevor der Pakt über bürgerliche und Politische Rechte und sein Fakultatifprotokoll in Kraft traten, und bevor der Ausschuß selbst etabliert wurde. Darum ist eine Untersuchung der eigentlichen Konfiskationen ratione temporis nicht möglich. Nun hat die Tschechoslowakei seit 1991 eine Reihe Kompensationsgesetzte erlassen. Diese Kompensationsgesetze können vom Ausschuss geprüft werden, da sie im Bereich der zeitlichen Kompetenz des Ausschusses liegen. In mehreren Fällen hat der Ausschuss beschlossen, dass die Restitutionsgesetzte willkürlich und diskriminierend waren, und deshalb eine Verletzung des Artikels 26 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte darstellten. So, z.B. im Falle Des Fours Walderode v. Czech Republic und Petzoldova v. Czech Republic.
Das Recht auf die Heimat ist aber viel mehr als Eigentumsrecht. So in vielen Fällen, die mit den Rechten der Autochthonen zu tun haben, hat der Ausschuß Verletzungen des Artikels 17 (Recht auf Familien und Privatleben), Artikels 23 (Besonderer Schutz der Familie) und des Artikels 27 (Minderheiten Recht), so u.a. in den Fällen Kitok v. Schweden, Lubicon Lake Band v. Canada , und im Fall Hopu v. Frankreich. .
Ich bin überzeugt, daß der Menschenrechtausschuß seine Rechtsprechung weit ausbauen kann. Und darum wäre es nützlich, wenn Vertriebene aus vielen Ländern, sich an den Ausschuß wenden würden. Ein Problem liegt darin, daß die meisten Opfer nicht wissen, dass diese Beschwerdeprozedur überhaupt existiert.
Wenn es Recht und Gesetz gibt, muss es auch Reparationen geben. Was sind die Reparationen, die Opfer von Vertreibungen verlangen können.
Bei der Verletzung des Rechtes auf die Heimat gibt es mehrere Formen der Wiedergutmachung.
Erstens das Rückkehrrecht
Zweitens eine Wiedergutmachung für den erlittenen moralischen Schaden
Drittens die Restitution des konfiszierten Eigentums
Viertens die Entschädigung, wenn Restitution nicht mehr möglich ist
Im Artikel 8 der UNO-Erklärung (Al-Khasawneh Bericht) lesen wir:
„Jeder Mensch hat das Recht, in freier Entscheidung und in Sicherheit und Würde, in das Land seiner Herkunft sowie innerhalb dessen an den Ort seiner Herkunft oder freien Wahl zurückzukehren. Die Ausübung des Rückkehrrechts schließt das Recht der Opfer auf angemessene Wiedergutmachung nicht aus, einschließlich der Rückgabe von Gütern, die ihnen im Zusammenhang mit dem oder als Ergebnis des Bevölkerungstransfers entzogen wurden, Entschädigung für jegliches Eigentum, das ihnen nicht zurückgegeben werden kann, und allfällige andere, völkerrechtlich vorgesehene Reparationen.2
Völkerrechtliche Delikte haben auch Konsequenzen für Drittstaaten, die die Folgen von Verbrechen gegen die Menschheit, Völkermord und andere schwere Verbrechen nicht anerkennen dürfen.
So Artikel 10 der UNO-Erklärung:
„Wo durch diese Erklärung verbotene Taten oder Unterlassungen begangen werden, sind die internationale Gemeinschaft als ganze und die einzelnen Staaten dazu verpflichtet: a) die durch solche Taten geschaffenen Situationen nicht als rechtmäßig anzuerkennen; b) im Falle laufender Vorgänge die sofortige Beendigung und die Rückgängigmachung ihrer schädlichen Folgen sicherzustellen; c) dem Staat, der eine solche Tat begangen hat oder noch begeht, bei der Aufrechterhaltung oder Verstärkung der dadurch geschaffenen Situation keine Hilfe, Beihilfe oder Unterstützung zu gewähren, sei es finanziell oder in anderer Form“
Das Rückkehrrecht ist tagtäglich vom UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge gefördert. Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen sind durch UNO-Aktionen in ihre Heimatländer zurückbefördert worden, vor allem in Afrika und in Asien.
In Europa kennen wir das Beispiel der 300,000 Krimtataren, die in den 90er Jahren, auch 40-jährige Verbannung in Asien, zurück in den Krim kamen. Diese Aktion wurde vom Europarat und von der UNO unterstütz und zum Teil finanziert.
Ein Teil der vertriebenen Kroaten, bosnische-Muslimen, Kossovo-Albaner und sogar Serben sind in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Andere warten noch, weil die Bedingungen weiterhin ungünstig sind.
Was die Rückgabe von konfiszierten Eigentum bzw. Entschädigung betrifft, haben die baltischen Staaten, Ungran und Kroatien mehr als nur symbolische Geste gemacht.
Im Fall Loizidou v. Türkei , hat die türkische Regierung mehr als eine Million Euros an Frau Loizidou am 3. Dezember 2003 ausgezahlt. Zunächst hat sich die Türkei geweitert, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in die Tat umzusetzen. Nach mehreren Resolutionen des Ministerkomitees des Europarates und ein Ultimatum im November2003, hat die Türkei endlich eingelenkt.
Bisher hat Frau Loizidou kein Rückkehrrecht in ihre Heimat in Nord-Zypern erzwingen können, denn das Gebiet bleibt nach wie vor von der Türkei militärisch besetzt. Eine ständige Verletzung der Menschenrechte und der vielen Resolutionen der UNO-Generalversammlung und des UNO-Sicherheitsrates.
Weder Rückkehrrecht noch Entschädigung haben die Überlebende des türkischen Völkermords an die Armenier erhalten. Noch ihre Kinder und Enkelkinder.
Dasselbe gilt leider auch für die Palästinenser. Ihr Heimat wird in aller Offenheit vor den Augen der Welt geraubt. Tausende von palästinensischen Zivilisten werden getötet. Wir alle Amerikaner und Europäer tragen eine schwere Verantwortung, denn wir haben diese Verbrechen geschehen lassen. Und keiner wagt es einmal zu sagen – wenn es überhaupt ein Ort gibt, wo internationale humanitäre Intervention nötig ist – dann eben in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten. Es ist ein Trauerspiel.
Es ist nicht schwer zu begreifen, dass Vertreibung und ethnische Säuberungen eine Form des Genozids darstellen. Beide wurden als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in Nürnberg verurteilt. Die Völkermordskonvention von 1948 bekräftigt dies, und zwar rückwirkend.
Eine Konsequenz der Völkermordkonvention ist nämlich, dass die Folgen von Genozid nicht anerkannt werden dürfen. So die Konfiskation jüdischen Eigentums im Zweiten Weltkrieg. Aber dies bedeutet auch, dass die Konfiskation von armenischen Eigentums 1915-16 nicht anerkannt werden können, und daß hier Wiedergutmachung zu leisten ist. Ebenfalls die Konfiskation durch die Türken in Nord-Zypern. Konfiskationen vom palästinensischen Land und von palästinensischen Privateigentum muss auch gewährt werden. Aber die internationale Gemeinschaft tut nichts, um z.B. der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes vom 9. Juli 2004 in die Tat umzusetzen.
Meine Damen und Herren,
Die Normen des Völkerrechts sind klar:
Das Recht auf die Heimat ist ein fundamentales Recht.
Aber es wird mißachtet ohne Konsequenzen für die Täter, die bisher mit Impunität handeln. Dies ist leider nichts besonderes in unserer Welt. Das Völkerrecht ist gewissermassen wie die Zehn Gebote: in dieser Welt werden die zehn Gebote täglich verletzt, und, wie wir wissen, werden nicht alle Sünder in dieser Welt bestraft. Pot Pot, Idi Amin, Edvard Benes, Josef Stalin sind für Ihre Verbrechen nie bestraft worden. Dies impliziert aber nicht, dass ihre Taten keine Sünde waren, keine Verbrechen gegen die Menschheit. Sie blieben jedoch straffrei.
Nun konkret, was sollen wir tun ?
Die folgende Vorschläge möchte ich formulieren – nicht nur als Völkerrechtler, sondern auch auf Grund meiner 22 Jahren mit den Vereinten Nationen.
Die deutsche Regierung sollte die Initiative nehmen, die Al-Khasawneh Erklärung zur UNO-Generalversammlung zu bringen
eine Arbeitsgruppe der Menschenrechtskommission sollte gebildet werden, um künftige Vertreibungen vermeiden zu helfen. Da könnte das von Erika Steinbach und Peter Glotz gegründete Zentrum gegen Vertreibungen sehr nützlich helfen.
Die Erklärung sollte als Protokoll zum internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte aufgenommen werden. In der Alternative, könnte die Erklärung Keim für eine neue Weltkonvention werden.
Die deutsche Regierung sollte diplomatischen Schutz für die deutschen Vertriebenen ausüben. Wenn man es ernst mit der Ächtung von Vertreibungen und ethnischen Säuberungen meint, kann man die deutschen Vertriebenen nicht diskriminieren. In Hinblick auf das Ermacora-Gutachten von 1992 müßte die Bundesregierung diplomatischen Schutz ausüben, denn es handelte sich von Völkermord an die vertriebenen Ostdeutschen, und hier ist nicht mehr eine Ermessenfrage, sondern eine Verpflichtung aus dem Völkerrecht und aus dem Artikel 25 der deutschen Grundgesetzes.
Staaten, die das Völkerrecht und insbesondere die Menschenrechte schwer verletzen, dürfen nicht in die Europäische Union aufgenommen werden. Das Recht auf die Heimat der Armenier steht noch zur Debatte. Wie kann es erlaubt werden, dass die Türkei noch Tausende armenische Kirchen und Kloster, Tausende Quadratkilometern armenischer Kulturlandes in Anatolien noch besetzen, und daß Sie nie eine Entschuldigung für den Völkermord an 1.5 Millionen Armenier 1915-15 und nie eine Wiedergutmachung getan haben. Was würde die Welt sagen, wenn die Bundesregierung das Eigentum der ermordeten Juden noch in seinen Museen hätte ? In neueste Zeit besetzte die Türkei ein drittel der Insel Zypern und vertrieb 200,000 Zyprioten. Dreißig Jahre danach sind die Türken noch in Nord-Zypern und erlauben kein Rückkehrrecht an die vertriebenen Zyprioten.
Das Recht auf die Heimat gilt für alle. Man kann es nicht in Jugoslawien verlangen, Milosevic verurteilen, aber gleichzeitig die Verletzung der Rechte der Palästinenser, der Armenier, der Zyprioten, der Deutschen ignorieren. Die Menschenrechte diskriminieren nicht.
Meine Damen und Herren, Sie haben ein Recht auf die Heimat und sollen darauf bestehen. Wenn ein Opfer für seine Rechte nicht kämpft, so wird es noch schwieriger für andere Opfer sich zu behaupten. Man braucht unbedingt eine Solidarität der Opfer.
Was fehlt – und wir wissen es alle – ist der politische Wille. Was fehlt auch ist intellektuelle Redlichkeit – in Deutschland wie auch in Amerika, wo ständig eine doppelte-Moral angewandt wird, wo mit verschiedenen Maßstäben gemessen wird, wo Opfer in politisch- korrekte und politisch-unerwünschte aufgeteilt werden.
Es liegt an uns zu verlangen, dass die Menschenrechte und insbesondere das Recht auf die Heimat ohne Diskriminierung verwirklicht werden.
Professor Dr. Alfred de Zayas, Genf
Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat, 1989, S. 201.
A. de Zayas, „Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen“ Ullstein-Taschenbuch, 10. Auflage 1998, S. 390-91.
A. de Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, Universitas, München 2001, S. 73-76
Robert Redslob, Académie de Droit International, in: Recueil des Cours , Bd. 37/III (1931), Den Haag, S. 1ff.
Annuaire de L'Institut de Droit International , Bd. 44/II (1952), S. 176 ff.
Cyprus v. Turkey , Applications Nr. 6780/74 und 6950/75, Bericht vom 10. Juli 1976, S. 72-73. Absatz 209, siehe auch Application Nr. 8007/77, Bericht vom 4. Oktober 1983.
de Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht , S. 90ff.
Felix Ermacora, Die sudetendeutschen Fragen , Langen Müller, München 1992.
Eckart Klein, Diplomatischer Schutz im Hinblick auf Konfiskationen deutschen Vermögens durch Polen , Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen, Bonn, 1992, S. 78-79.