LESERBRIEF
ZU BRIEFWECHSEL – DIE WELT 19.8.04, MANFRED BACKERRA, SVEN FELIX KELLERHOFF
19.8.2004
Sehr verehrte Redaktion,
als Professor des Völkerrechts möchte ich zu Herrn Kellerhoff's Antwort folgendes bemerken.
Die Anwendung des ius in bello ist und bleibt unabhängig von dem rechtsmässigen Gebrauch des ius ad bellum. Mit anderen Worten, die Regeln des Kriegsvölkerrechtes müssen von allen Kriegsparteien beachtet werden, unabhängig wer der Aggressor ist. Dies hat gute humanitäre Gründe, denn die Haager und Genfer Konventionen sind vor allem deshalb geschaffen worden, um das Leiden von allen Beteiligten zu beschränken. Man kann nach einem Krieg darüber diskutieren, wer der Aggressor war, aber während des Krieges ist diese Überlegung rechtlich irrelevant, denn man muss davon ausgehen, dass der einfache Soldat meistens nicht beurteilen kann, ob seine Regierung berechtigt war, in den Krieg zu ziehen.
Ich empfehle Ihnen, Ihre Analyse auf die heutige Situation in Irak anzuwenden. Ich bin Amerikaner und davon überzeugt, dass der anglo-amerikanische Krieg in Irak völkerrechtwidrig ist, denn er stellt eine klare Verletzung des Artikels 2, Absatz 4, der UNO Charta (wie Kofi Annan gesagt hat) sowie auch der Resolution 3314 der Generalversammlung (Definition der Aggression) dar. Nun, bedeutet dies, dass sämtliche Aktionen der amerikanischen Soldaten in Irak verbrecherisch sind ? Eigentlich nicht. Die Antwort wird von Fall zu Fall vom ius in bello geliefert. Natürlich sind die Folterungen und die häufige Angriffe gegen die irakische Zivilbevölkerung verbrecherisch, aber nicht weil die Amerikaner die Aggressoren sind, sondern weil die Regeln des Kriegsvölkerrechtes solche Handlungen verbieten.
Ich erinnere an die Worte des amerikanischen Hauptanklägers
in Nürnberg, Robert Jackson, der am 21. November 1945 sagte
“Wir dürfen niemals vergessen, dass nach dem gleichen Mass,
mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der
Geschichte gemessen werden.“ (IMT, Bd II, S. 118). Die Tatsache,
dass wir Amerikaner bisher nicht vor einem internationalen Tribunal
angeklagt und verurteilt worden sind, bedeutet noch lange nicht,
dass unsere Soldaten keine Verletzungen des ius in bello
begangen haben oder dass unsere Regierung keine Verletzung des ius
ad bellum beging. Auch Verbrecher wie Stalin, Pol Pot und
Idi Amin sind ohne internationalen Kriegsverbrechertribunal davon
gekommen.
Mit den besten Grüssen,
Dr.iur.et phil. Alfred de Zayas, IUHEI, Genf
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