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(Virgil, Georgics, ii. 490)
 
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DIE ANGLO-AMERIKANER UND DIE VERTREIBUNG DER DEUTSCHEN

(published in Das Parlament)

            Jeder Amerikaner wächst in der Überzeugung auf, dass die Vereinigten Staaten für Demokratie und Menschenrechte stehen.  Bei den Briten ist es nicht viel anders:  Die demokratischen Traditionen und das Prinzip der "Fairness" garantieren die Menschenrechte.  Somit sind die Anglo-Amerikaner gewissermassen per definitionem "die Guten". 

            Eine historische Wurzel mag man im moralischen Anspruch vieler anglo-amerikanische Politiker suchen -- und dies nicht erst seit der Zeit von Präsident Woodrow Wilson, der sich wahrlich für die Idee des Selbstbestimmungsrechtes der Völker einsetzte:  "Völker und Provinzen dürfen nicht von einer Landeshoheit zu einer anderen getauscht werden..."  Auch Präsident Franklin Roosevelt hat sich für die Menschenrechte und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker eingesetzt, z. B. in seiner berühmten "Four Freedoms" Rede vom 6. Januar 1941.

            Zusammen mit Premierminister Winston Churchill hat Roosevelt den Friedensplan der Demokratien am 14. August 1941 verkündet.  In der Atlantik Charta heisst es u.a.:   "Ihre Länder suchen keine territoriale oder sonstige Vergrösserung.  Sie wünschen keine Gebietsveränderungen, die nicht mit den frei geäusserten Wünschen der betroffenen Völker übereinstimmen ... "

            Im Laufe des Krieges änderten sich aber die Kriegsziele als auch die realpolitische Situation.  In den Konferenzen von Teheran (1943) und Jalta (Februar 1945) beschlossen die Alliierten, die Deutschen kollektiv zu bestrafen.  Das ethnisch deutsche Sudetenland sollte der Tschechoslowakei und Teile der deutschen Ostprovinzen Polen zugeteilt werden.  Die dort ansässige deutsche Bevölkerung sollte nach Westen umgesiedelt werden.

            Journalisten und polemische Historiker stellen die Vertreibung der Deutschen nachträglich einfach als Ausdruck des Willens der Allierte dar.  Unter Hinweis auf Artikel XIII des Potsdamer Protokolls versuchen sie, die Verbrechen dieser Vertreibung zu rechtfertigen.  Was aber beabsichtigten die Anglo-Amerikaner?  Was zeigen die Protokolle der Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam, die Arbeitspapiere und Memoranden des State Department und Foreign Office?  Sie dokumentieren, dass die Anglo-Amerikaner gar kein Interesse -- weder territorial noch demographisch -- an Ostdeutschland hatten.  Die Idee der Umsiedlung von einigen Hunderttausenden "illoyalen Minderheiten" aus der Tschechoslowakei stammte 1941 von Dr. Eduard Benesch, dem Präsidenten der damaligen Exilregierung der Tschechoslowakei.  Daraus wurde später eine ethnische Säuberung der gesamten sudetendeutschen Bevölkerung, einschliesslich die Sozialdemokraten, Hitler-Gegner und sogar die Juden, die sich zum Deutschtum bekannten.

            Was die Vertreibung der Deutschen aus den Reichsprovinzen östlich der Oder-Neisse Linie betrifft, so handelte es sich hier um einen typischen stalinistischen Streich.  Denn die Reichsdeutschen waren keine Minderheit.  Man hat sie schlicht und einfach vertrieben, weil Stalin die östliche Hälfte Polens behielt, die er im September 1939 gemäss des Ribbentrop-Molotow Paktes besetzt hatte.  Um den Polen eine gewisse Entschädigung zu gewähren, dachte man zunächst, den Polen die Provinz Ostpreussen zu überlassen.  Die Russen und die Polen wollten aber mehr Land an sich raffen, und so verlangten sie auch Pommern, Ostbrandenburg, Ober- und Niederschlesien.  Da sie diese Provinzen militärisch besetzt hielten, fingen sie an -- lange vor Potsdam -- und unter Verletzung der Haager Landkriegsordnung, das Gebiet ethnisch zu säubern.  So war es, dass die Anglo-Amerikaner im Juli-August 1945 vor vollendeten Tatsachen gestellt wurden, denn als sie im Schloss Cäcilienhof mit Stalin verhandelten, war die Vertreibung bereits im vollen Gange und täglich kamen zehntausende ausgeplünderte und ausgehungerte Menschen in Berlin an oder zogen durch Brandenburg nach weiter nach Westen.

            Man hatte also eine Regelung zu treffen.  Zunächst ging es darum, ein Moratorium zu vereinbaren.  Sodann musste man eine "geordnete Umsiedlung" planen, was durch den Alliierten Kontrollrat geschehen würde.  Der besagte Artikel XIII des Potsdamer Protokolls war mithin eigentlich eine Reaktion auf die laufenden Vertreibungen und darf keineswegs als ihre Ursache gesehen werden.  All dies geht sehr deutlich aus einem Brief hervor, den Sir Geoffrey Harrison, Mitglied eines Unterausschusses der Potsdamer Konferenz, an das Foreign Office am 1. August 1945 geschickt hat.  Harrison schrieb:

            "Der Unterausschuss ist drei Mal zusammengetreten und hat einen von mir vorgelegten Entwurt beraten ... Wir gerieten in eine grosse Auseinandersetzung, die in der Plenarsitzung behandelt werden musste, über die Aufnahme der letzten dreieinhalb Zeilen (Vertreibungsmoratorium).  Das sowjetische Ausschussmitglied Arkady Sobolew vertrat die Ansicht, dass der polnische und der tschechoslowakische Wunsch, ihre deutschen Bevölkerungen auszuweisen, einer historischen Mission entspreche, welche die sowjetische Regierung keineswegs zu verhindern suche.  Die sowjetiche Regierung halte es für die Aufgabe des Alliierten Kontrollrats in Deutschland, die Aufnahme der ausgesiedelten Bevölkerung möglichst rasch zu erleichtern.  Cannon und ich wandten uns nachdrücklich gegen diesen Standpunkt.  Wir erklärten, dass wir für den Gedanken an Massenausweisungen ohnehin nichts übrig hätten.  Da wir sie aber nicht verhindern konnten, wollten wir dafür sorgen, dass sie in einer möglichst geordneten und humanen Weise durchgeführt würden, aber auch auf eine Art, die den Besatzungsmächten in Deutschland keine untragbare Belastung auferlegt." (Public Record Office, FO 371/46811 Dok. No. C 4415.  Auch persönliches Gespräch des Vf mit Harrison, 1976).

            Aber sollten nach Ansicht der Anglo-Amerikaner alle in den Ostgebieten und im Sudetenland lebenden Deutschen tatsächlich umgesiedelt werden?  Auf der fünften Plenarsitzung in Potsdam hatte Churchill bereits erklärt:  "Die Entschädigung soll in einem gewissen Verhältnis zum Verlust stehen. Es kann Polen nicht guttun, so viel zusätzliches Territorium zu gewinnen.  Wenn die Deutschen es schon verlassen haben, sollen sie zurückkehren dürfen.  Wir wünschen keine breite deutsche Bevölkerung, die von ihren Nahrungsquellen abgeschnitten ist." (Foreign Relations of the United States, The Conference of Berlin, 1945, Bd 2, S. 248).

            Im selben Sinne äusserte sich am 19. Oktober 1945 der seinerzeitigen amerikanischen Aussenminister James Byrnes:  "Die Potsdamer Übereinkunft erkennt nur an, dass die Aussiedlung von grösseren oder kleineren Teilen der deutschen Bevölkerung unternommen werden sollte.  So weit es uns angeht, wollten wir unterschiedslose und ungeregelte Vertreibungen umgehen und unnötige Härte für die deutschen Bevölkerung und unnötige Belastungen der Zonen, die sie aufnehmen müssen, vermeiden.  Wir sahen ein, dass gewisse Aussiedlungen unverweidlich waren, aber wir beabsichtigten in Potsdam nicht, zu Aussiedlungen anzuregen oder in Fällen, wo andere Regelungen praktikabel waren, Verpflichtungen einzugehen."

(Foreign Relations of the United States, General Political, 1945, Bd. 2, S. 1295).

            Wie verliefen das Moratorium, der sog. "Transfer"?

            Artikel XIII sprach von einem geregelten und humanen "Transfer".  Tausende Berichte in der Ostdokumentation des Bundesarchivs in Koblenz bezeugen die Brutalität des Geschehens.  Doch braucht man sich gar nicht auf deutsche Zeugen zu berufen.  Amerikanische und britische Zeugnisse sind deutlich genug:

            Am 15. Steptember 1945 schrieb der Londoner Economist:

"Obwohl die Potsdamer Erklärungen das Einstellen von ungeordneten und unmenschlichen Massenvertreibungen der Deutschen verlangt, geht die gewaltsame Abschiebung aus den Provinzen Ostpreussen, Pommern, Schlesien und Teilen von Brandenburg ... weiter. Der Rat der Aussenminiser muss dieser erschütternden Tragödie ein Ende machen.  Die in diesen Landstrichen umherziehenden Millionen sind praktisch ohne Unterkunft und Nahrung.  Die bewohnbaren Teile der städtischen Zentren waren schon vor ihrer Ankunft überfüllt, und die ländlichen Gebieten können sie nur begrenzt aufnehmen.  Unweigerlich werden deshalb Millionen an Hunger und Erschöpfung sterben."

            Am 18. Oktober 1945 telegraphierte General Dwight Eisenhower von Berlin nach Washington: "In Schlesien verursachen die polnische Verwaltung und ihre Methoden eine grosse Flucht der deutschen Bevölkerung ... viele, die nicht weg können, werden in Lagern interniert, wo unzureichende Rationen und schlechte Hygiene herrschen.  Todesrate und Krankheit in diesen Lagern sind extrem hoch.  Die von den Polen angewandten Methoden entsprechen in keiner Weise der Potsdamer Vereinbarung ... Die Todesrate in Breslau hat sich verzehnfacht, und es wird von einer Säuglingssterblichkeit von 75 Prozent berichtet.  Typhus, Fleckfieber, Ruhr und Diphtherie verbreiten sich."(National Archives, Record Group 165, Records of the War Department TS OPD Message File, Telegramm No. S 28399).

            Ein weiterer Zeitgenosse, der grosse britische Verleger und Philanthrop Victor Gollancz schrieb in seinem Buch Unser bedrohtes Erbe:  "Sofern das Gewissen der Menchen jemals wieder empfindlich werden sollte, werden diese Vertreibungen als die unsterbliche Schande aller derer im Gewissen bleiben, die sie veranlasst oder sich damit abgefunden haben ...  Die Deutschen wurden vertrieben, aber nicht einfach mit einem Mangel an übertriebener Rücksichtnahme, sondern mit dem denkbar höchsten Mass von Brutalität" (S. 156-57).

            Am 19. Oktober 1945 protestierte Bertrand Russell in The Times: "In Osteuropa werden jetzt von unseren Verbündeten Massendeportationen in einem unerhörten Ausmass durchgeführt, und man hat ganz offensichtlich die Absicht, viele Millionen Deutsche auszulöschen, nicht durch Gas, sondern dadurch, dass man ihnen ihr Zuhause und ihre Nahrung nimmt und sie einem langen schmerzhaften Hungertod ausliefert.  Das gilt nicht als Kriegsakt, sondern als Teil einer bewussten, 'Friedens'-Politik."

             Robert Murphy, der politische Berater Eisenhowers, äusserte seine Sorge über das Massensterben der Vertriebenen und über die moralischen Implikationen der Vertreibung in einem Bericht an das U.S State Department vom 12. Oktober 1945: "Unser Wissen, dass sie Opfer harter politischer Beschlüsse sind, die mit äusserster Rücksichlosigkeit und Missachtung der Menschlichkeit durchgeführt werden, mildert die Wirkung nicht.  Die Erinnerung an andere Massendeportationen stellt sich ein, von denen die Welt entsetzt war und die den Nazis den Hass eintrugen, den sie verdienten.  Die Massendeportationen, die von den Nazis inszeniert wurden, haben zu unserer moralischen Empörung beigetragen, in der wir den Krieg wagten und die unserer Sache Kraft verlieh.  Nun ist die Sache umgekehrt.  Wir finden uns in der scheusslichen Lage, Partner in diesem Unternehmen zu sein, und als Partner unweigerlich die Verantwortung mitzutragen.  Die Vereinigten Staten kontrollieren allerdings nicht unmittelbar die Ostgebiete Deutschlands, durch welche diese hilflosen und ausgeraubten Menschen ziehen, nachdem man sie aus ihrem Heim gewiesen hat. Die unmittelbare Verantwortung liegt bei der polnischen provisorischen Regierung und in geringerem Mass bei der tschechischen... Wenn die Vereinigten Staaten auch vielleicht keine Mittel haben, einen grausamen, unmenschlichen und immer noch fortgesetzten Prozess aufzuhalten, so scheint es doch, dass unsere Regierung unsere in Potsdam klar dargelegte Einstellung unmissverständlich wiederholen könnte und müsste.  Es wäre sehr bedauerlich, wenn es einmal heissen sollte, dass wir an Methoden beteiligt gewesen seien, die wir bei anderen Gelegenheiten oft verdammt haben."(Foreign Relations of the United States, 1945, Bd 2, S. 1290-92).

            Nachträglich ist man natürlich klüger.  Aber man darf nicht vergessen, dass Churchill es war, der gegen den Rat der Experten vom britishen Foreign Office die Probleme eines Bevölkerungstransfers bagatelissierte.  Am 15. Dezember 1944 hatte er gesagt:  "Die nach unserem Ermessen befriedigendste und dauerhafteste Methode ist die Vertreibung.  Sie wird die Vermischung von Bevölkerungen abschaffen, die zu endlosen Schwierigkeiten führt ... Man wird reinen Tisch machen.  Mich beunruhigen diese grossen Umsiedlungen nicht, die unter modernen Verhältnissen besser als je zuvor durchgeführt werden können."(Parlamentsdebatten des Unterhauses, Bd 406, Sp 1484).  Acht Monate später, am 16. August 1945 stellte Churchill im Parlament fest:  "Besonders beschäftigen mich in diesem Augenblich die Berichte, die uns über die Bedingungen zukommen, unter denen die Vertreibung und der Auszug der Deutschen aus dem neuen Polen durchgeführt werden... Über eine riesige Anzahl fehlt jede Nachricht... Was war ihr Schicksal?  ... Spärliche und vorsichtige Berichte über die Dinge, die vor sich gingen und gehen, sind durchgesickert; es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Tragödie ungeheueren Ausmassen sich hinter dem Eisernen Vorhang, der Europa gegenwärtig entzweischneidet, abspielt."(Ebenda, Bd 414, Sp 83/84).

            Diese Einsicht kam spät, zu spät, möchte man sagen, und sie war wohl auch nicht allzu aufrichtig. Denn was "Bevölkerungstransfers" bedeuteten, und mit welchem Leiden sie verbunden sind, wusste man -- und wussten zumal die Angloamerikaner -- seit langem: Zehntausende waren vor und nach dem Ersten Weltkrieg während Umsiedlungsaktionen im Balkan umgekommen. Wer dabei überlebt hatte, trug für den Rest seiner Tage ein schweres Trauma mit sich.  Jene, die solche makabre historische Präzedenzfälle einfach ignorierten, tragen eine schwere Mitverantwortng für die demographischen Katastrophen vom 1944-49.

            Die Anglo-Amerikaner sind mitschuldig, weil sie das unmenschliche Prinzip der Zwangsumsiedlung von Bevölkerungen nicht sofort verwarfen, als Benes 1941 damit hausieren ging.  Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Ausweitung des Vertreibungssyndroms Ergebnis zynischer stalinistischer Politik war.  In der Tag muss man die Oder_Neisse Linie als "Stalin-Linie" bezeichnen.  Die Anglo-Amerikaner haben das Konzept einer solchen Linie in Teheran und Jalta abgelehnt.  Als Stalin in Potsdam von neuem auf sie zurückkam, gelang es, die Diskussion sine die zu vertagen.  Zwei Jahre später, anlässlich der Konferenz des Aussenministerrats der Vier Mächte im November 1947, erklärte der amerikanischer Aussenminister George Marshall:  "Bei der Erörterung der polnisch-deutschen Grenze müssen wir vom Potsdamer Protokoll ausgehen, in dem vorgesehen wird, dass 'die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedensregelung warten' soll...Eine gerechte Grenzziehung erfordert, dass die Belange der Einwohner, die unmittelbar betroffen sind, gründlich geprüft werden... Ferner müssen wir die Bedeutung dieser Grenze für die wirtschaftliche und politische Stabilität Europas im Auge behalten."

            So waren 1947 die Dinge noch offen, aber die normative Kraft des Faktischen hat während der nachfolgenden Jahrzehnte anders entschieden.  Trotz des römischen Rechtsatzes Ex injuria non oritur jus ist Stalins Streich geglückt, und 50 Jahre nach Potsdam, nach dem die stalinistische Welt zusammengebrochen ist, bleibt allein die stalinistische Oder-Neisse Grenze.  Die deutschen Provinzen wurden ethnisch gesäubert, und seitdem haben zwei Generationen polnischer Siedler auch ein Recht auf ihre neue Heimat entwickelt.  Vertreibungen darf es nicht wieder geben.

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