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Alfred de Zayas

Bonn, den 18. April 1997

US-Politik gegenüber der Vertreibung und Deutschlands östlichen Grenzen nach Potsdam

Am 14. Februar 1996 gab die amerikanische Botschaft in Prag eine Erklärung ab, wonach die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz in Einklang mit dem Völkerrecht stünden. Die Erklärung wurde auf Anfrage von tschechischen Presseorganen gegeben, und zwar zusammen mit der Botschaften Großbritanniens und Russlands.

Anlass der Erklärung war eine Stellungnahme des deutschen Außenministers Kinkels, wonach die Vertreibung der Deutschen völkerrechtswidrig war. Die deutsche Stellungnahme entspricht der konsequenten und unmissverständlichen Haltung aller Bundesregierungen seit 1949 und ist auch völkerrechtlich richtig, denn Vertreibungen stellen nach dem Statut des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals und nach dem Nürnberger Urteil sowohl Kriegsverbrechen als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

Ethnische Säuberungen sind ebenfalls Gegenstand der Anklage gegen Karadzic, Mladic und andere vor dem Internationalen Strafrechttribunal für das ehemalige Jugoslawien. Vertreibungspraktiken wurden 1991 von der UNO-Völkerrechtskommission im Kodex der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit aufgenommen, und in etlichen Resolutionen der UNO-Unterkommission für Diskriminierungsverhütung und Schutz der Minderheiten verurteilt.

Am 28. Mai 1995 hat der UNO Hochkommissar für Menschenrechte José Ayala Lasso anlässlich der Gedenkstunde "5O Jahre Vertreibung" in der Paulskirche zu Frankfurt am Main das Recht auf die Heimat bejaht und die Vertreibung der Deutschen als ein Unrecht bezeichnet. Er bestätigte dies am 24. Februar 1997 anlässlich eines UNO-Seminars in Genf, als er das Recht auf die Heimat begründete und die Kriminalität von Vertreibungen unterstrich.

Das wenigste, was man von der seinerzeitigen Erklärung der amerikanischen Botschaft sagen kann, ist, dass sie ein Ausrutscher war, überflüssig und einfach daneben. Für die US Regierung ist sie besonders peinlich, denn sie widerspricht der veröffentlichten Haltung der führenden amerikanischen Politikern der Zeit 1945-50, nämlich Außenminister Edward Stettinius, der selbst in Jalta war, Außenminister James Byrnes, der in Potsdam war, und Außenminister George Marshall. Ferner widerspricht sie den Protestnoten, die die Vereinigten Staaten an Warschau und Prag im Herbst 1945 richten musste, als Polen und die Tschechoslowakei das im 3. Absatz des Artikels XIII des Potsdamer Protokolls verfügte Vertreibungsmoratorium missachteten. Sie steht keinesfalls im Einklang mit der Untersuchungsergebnissen des U.S. Kongresses in seinem 87-seitigen Bericht vom März 1950 "Expellees and Refugees of German Ethnic Origin", dem bekannten Walter Bericht. Schließlich widerspricht sie der heutigen Haltung der Vereinigten Staaten im Dayton Abkommen.

Es stimmt einfach nicht, egal wie oft manche Journalisten und Historiker es schreiben mögen, dass die Anglo-Amerikaner in Potsdam oder sogar vorher in Teheran und Jalta die ostdeutsche Bevölkerung berauben, vertreiben und die deutsch-polnische Grenze an Oder und Neiße fixieren wollten. Diese waren Kriegsziele Stalins, die er zusammen mit seinen polnischen und tschechischen Vasallen erfolgreich durchsetzte. Die Vertreibung und der Verlust der historischen ostdeutschen Provinzen waren zwar Konsequenzen des Krieges, aber keinesfalls die logischen oder gar notwendigen Konsequenzen. Sie ergaben sich einerseits aus dem Willen und aus der militärischen Stärke Stalins und andererseits aus der Kriegsmüdigkeit und Denkweisen in Interessen-Sphären der Anglo-Amerikaner.

45 Jahre nach Potsdam ist das Sowjet-Imperium zusammengebrochen. Stalins und Lenins Werke wurden von der Geschichte weitestgehend weggefegt. Und dennoch bleiben Reste ihres Wirkens, die kaum mehr abzuschaffen sind, wie die Oder-Neiße Grenze. Wäre das Sowjet-Imperium eher zusammengebrochen, etwa in den fünfziger oder sechziger Jahren, so würde heute die Welt auch anders aussehen.

Der ursprüngliche anglo-amerikanische Friedensplan wurde in der Atlantik Charta vom August 1941 niedergelegt. Allerdings fand er keine praktische Anwendung -- gewiss nicht für Deutschland, und auch nicht einmal für Polen, denn Stalin schuf immer wieder faits accomplis , die die Anglo-Amerikaner nicht durch wohlklingende Erklärungen, sondern nur durch militärische Gewalt hätten rückgängig machen können.

Zweifelsohne tragen die Anglo-Amerikaner politische und moralische Verantwortung für die Konsequenzen des Krieges und eine besonders schwere Mit-Verantwortung für die Vertreibung der Deutschen, zumal sie bereits in 1942 das unheilige Prinzip des sog. Bevölkerungstransfers akzeptiert hatten, die seinerzeit von Eduard Benesch propagiert wurde. Bekanntlich sollten nur einige Hunderdtausende "illoyale Elementen" aus dem Sudetenland ausgesiedelt werden. Vom ursprünglichen Plan einer begrenzten Aussiedlung steigerte sich Benesch später zu einer totalen Vertreibung. Und nachdem das Prinzip des Bevölkerungstransfers durch die Anglo-Amerikaner gutgehießen worden war, konnte es anderswo Anwendung finden, etwa in Polen und Ungarn gegenüber ihrer deutschen Minderheiten und dann schließlich in den deutschen Ostprovinzen, die nach dem Londoner Abkommen von September 1944 und nach der Berliner Erklärung von 5. Juni 1945 in der sowjetischen Besatzungszone lagen und einseitig von Stalin an die polnische Regierung zur Verwaltung überlassen wurden.

Sicherlich wissen Sie dies, meine Damen und Herren, denn die Geschichts- und Völkerrechtswissenschaft der letzten 50 Jahren haben diese Vorgänge ausführlich dokumentiert und interpretiert. Die Arbeiten von Theodor Schieder, Hans Rothfels, Wolfgang Wagner, Gotthold Rhode, Rudolf Laun, Herbert Kraus, Gottfried Zieger, Otto Kimminich, Dieter Blumenwitz und vielen anderen haben nichts an wissenschaftliche Gültigkeit verloren.

Ich wiederhole bestimmte Fakten und Zusammenhänge nur deshalb, weil es auch falsche Darstellungen und Legenden kursieren -- in Polen, in der Republik Tschechien, in den Vereinigten Staaten und weiß Gott auch in Deutschland.

Anlass und Gegenstand dieser Tagung ist der 50. Jahrestag des Marshallplanes. Heute werde ich nicht über den Marshallplan als solches sprechen und möchte mich auch nicht auf die Person des Generals George Catlett Marshall beschränken, obwohl er zweifelsohne zu den vernünftigsten amerikanischen Politikern seiner Zeit zählte, und mit Recht den Friedensnobelpreis 1953 mit Albert Schweitzer teilte.

Marshall hatte seine strategische Fähigkeit als Stabschef im Krieg bewiesen. Seine politische Vision zeigte er als Außenminister 1947-49 - sowohl in militärischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Seine Haltung an den Außenministerkonferenzen in Moskau und London 1947 war aufrichtig und mutig. Erlauben Sie mir ein Beispiel zu zitieren:

"Bei der Erörterung der polnisch-deutschen Grenze müssen wir vom Potsdamer Protokoll ausgehen, in dem vorgesehen wird, dass 'die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedensregelung warten' soll. Mr. Molotow äußerte die Ansicht, dass die Entscheidung über die Westgrenze bereits gefallen sei. Wie das erwähnte Zitat zeigt, ist das durchaus nicht der Fall. Eine gerechte Grenzziehung erfordert, dass die Belange der Einwohner, die unmittelbar betroffen sind, gründlich geprüft werden, wie ich bereits bei unserem Treffen in Moskau am 9. April 1947 sagte. Ferner müssen wir die Bedeutung dieser Grenze für die wirtschaftliche und politische Stabilität Europas im Auge behalten"

Dies ist bestimmt kein Revanchismus gewesen, sondern ein klares Wort an Stalin und Molotow, dass die Vereinigten Staaten nicht bereit waren, einseitige fait accomplis hinzunehmen. Zwar wollten die Amerikaner keinen Krieg gegen Stalin wegen der Oder-Neiße führen, aber auch nicht, den polnisch-sowjetischen Landraub mit dem amerikanischen "Seal of good Housekeeping" versehen. Damals und noch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholten amerikanische und britische Politiker ihre Kritik an dieser ungerechten Grenze und Ihren Wunsch, dass sie friedlich geändert wird.

Inzwischen sind über 50 Jahre vergangen, und das normative Kraft des Faktischen hat seine Folgen gehabt.

Bundeskanzler Kohl hat richtig von einer "internationalen Druckkulisse" gesprochen, die sich im Dezember 1989 und in den folgenden Monaten gegen ihn aufstellte und ihn Zwang, die Oder-Neiße Grenze endgültig zu bestätigen. Etwas, das alle Bundesregierungen 40 Jahre lang vermieden hatten. Näheres über die Druckkulisse erfahren wir in den Memoiren von Margaret Thatcher, die den Deutschen wirklich nichts gönnte, nicht einmal die Wiedervereinigung. Tatsächlich haben die Engländer, teilweise die Franzosen und schließlich auch die Amerikaner, ein Junktim zwischen Genehmigung der deutschen Wiedervereinigung und Bestätigung der Oder-Neiße Grenze gebildet.

Dies entsprach zwar der weltpolitischen Lage im Jahre 1990, aber diese anglo-amerikanische Haltung der achtziger und neunziger Jahren sollte nicht anachronistisch bewertet werden, als entspräche sie den Wünschen der Westalliierten in den Jahren 1945-50. Die amerikanischen Außenpolitiker jener Jahren hatten andere Vorstellungen für Deutschland und für Europa.

Manche Geschichtsklitterer behaupten heute, dass die Anglo-Amerikaner Befürworter der Oder-Neiße Grenze gewesen wären, und sich erst zur Zeit des kalten Krieges plötzlich dagegen gewandt hätten. Dies stimmt nicht. Die Jalta und Potsdamer Protokolle widersprechen dieser Darstellung.

Tatsächlich haben die Anglo-Amerikaner nichts außer Kosten von der Vertreibung und von der Oder-Neiße Grenze. Denn die Ostprovinzen waren bekanntlich das Brotkorb Deutschlands. Hinzu lieferte Oberschlesien Kohle, andere Mineralien, und Industrieprodukte. Alles ging den britischen und amerikanischen Besatzungszonen verloren. Man darf nicht vergessen, dass die Anglo-Amerikaner für die Urbevölkerung ihrer Besatzungszonen sorgen mussten -- bzw. Unterkunft und Ernährung gewähren mussten -- und nun sollten sie auch Millionen Vertriebener in ihren Zonen aufnehmen und integrieren.

Deshalb -- aus rein wirtschaftlichen Überlegungen -- hatten die Anglo-Amerikaner kein eigenes Interesse an der Vertreibung und auch keins an der Oder-Neiße Grenze. Im Gegenteil.

Sie waren die Sieger im Krieg und wurden dennoch ihres Sieges nicht ganz froh. Zwar hatten Sie militärisch die Wehrmacht zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen. Politisch hatten sie die NSDAP zerschlagen und nun bereiteten sie die Nürnberger Prozesse vor. Aber das deutsche Volk verhungerte, und Deutschland lag in Trümmern. Alles musste wieder aufgebaut werden, wenn man ein Massensterben verhindern wollte.

Die Absichten der vier Siegermächte wurden zunächst in der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 festgelegt, in der sie die "oberste Regierungsgewalt in Deutschland" übernahmen (Präambel), in den Grenzen "nach dem Stande vom 31. Dezember 1937" (Art. 2(d)), ohne allerdings "die Anektierung Deutschlands" zu bewirken oder zu beabsichtigen (Präambel).

Im Kapitel III des Potsdamer Protokolls vom 2. August 1945 werden die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze festgelegt, die die Besatzungspolitik leiten sollten. Wichtig vor allem ist Absatz 14, der besagt:

"Während der Besatzungszeit ist Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten. Mit diesem Ziel sind gemeinsame Richtlinien aufzustellen hinsichtlich

a) der Erzeugung und der Verteilung der Produkte der Bergbau- und der verarbeitenden Industrie;

b) der Landwirtschaft, Fortwirtschaft und der Fischerei;

c) der Löhne, der Preise und der Rationalisierung;

d) des Import und Exportprogramms für Deutschland als Ganzes;

e) der Währung und des Bankwesens, der zentralen Besteuerung und der Zölle;

f) der Reparationen und der Beseitigung des militärischen Industriepotentials;

g) der Transport- und Verkehrswesens."

Im Kapitel IV wird die Frage der Reparationen geregelt. Die Reparationsansprüche der UdSSR sollten durch Entnahmen aus der von der UdSSR besetzten Zone in Deutschland und durch angemessene deutsche Auslandsguthaben befriedigt werden. Reparationsansprüche Polens sollten durch die UdSSR aus ihrem eigenen Anteil an den Reparationen befriedigt werden.

Alle diese Beschlüsse waren von Relevanz für die Vertriebenen, denn die Reparationen wurden in Agrarprodukte aus Schlesien und Pommern, in Mineralien aus Oberschlesien, und durch die allgemeine industrielle Demontage erzielt.

Am 11. Dezember 1945 gab das amerikanische Außenministerium ein Memorandum heraus, in dem in zwölf Punkten die Potsdamer Erklärung über den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Reparationszahlungen Deutschlands genauer definiert wurden.

Unter den wichtigen Punkten der Washingtoner Verlautbarung waren die folgenden:

"7. Die Planung der deutschen Friedenswirtschaft beschränkt sich darauf, die industrielle Entwaffnung Deutschlands durchzuführen und die deutsche Wirtschaftslage dem angeführten Lebensstandard anzugleichen. Die Vereinigten Staaten beabsichtigen nicht, die deutsche Friedensindustrie, die so ausgiebig zum Weltmarkt beigesteuert hat, auszuschalten oder zu schwächen, nur um den amerikanischen Markt vor deutschen Erzeugnissen zu schützen, amerikanische Exporte zu fördern oder aus irgendeinem anderem egoistischen Grunde. In gleicher Weise sind die Vereinigten Staaten gegen den Versuch irgendeines anderen Landes, den industriellen Entwaffnungsplan der Potsdamer Erklärung auf Kosten der deutschen Friedenswirtschaft für seine eigenen wirtschaftlichen Interessen zu missbrauchen und eine Wirtschaftsautarkie auf Kosten des allgemeinen Welthandels einzuführen.

8. Deutschland sollte genügend Leistungsfähigkeit für den Export belassen werden, damit es ausländische Valuta für die zu seiner Lebenshaltung notwendigen Einfuhren erhält...

12. Die Besatzungsbehörden sollten ihre Aufgabe darin sehen, den Deutschen die Verantwortung für die deutsche Wirtschaft wieder übergeben zu können. Zu diesem Zweck sollten die Besatzungsbehörden der Wiederherstellung der deutschen Verwaltungsmaschine ihre Hauptaufmerksamkeit widmen..."

Am 24. Januar 1946 nahm Präsident Harry Truman in einer Botschaft Stellung zur deutschen Frage:

"Die Interessen der Welt sind weitgehend verknüpft mit der politischen und wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands. Der Alliierte Kontrollrat, der dort seit einiger Zeit tätig ist, hat nicht mit unbedingtem Erfolg gearbeitet... Wir sind entschlossen, eine wirksame Kontrolle in Deutschland aufrecht zu erhalten bis wir glauben dürfen, dass das deutsche Volk das Recht auf einen ehrenvollen und geachteten Platz wiedergewonnen hat."

Wenige wochen später, am 28. Februar, äußerte sich der stellvertretende Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, Generalleutnant Lucius Clay, über das Problem der deutschen Zentralverwaltung:

"Wirtschaftliche Einheit kann meiner Ansicht nach nicht von politischer Einheit getrennt werden. Mit jedem Tag, an dem das Zonensystem fortgesetzt wird, wird eine Einheit Deutschlands im Sinne der Potsdamer Beschlüsse schwerer wiederherzustellen sein, und zwar insbesondere, weil jede Besatzungsmacht in ihrer Zone ihre eigene Art der Organisation ausführt."

Auf der ersten Pariser Außenministerkonferenz 25. April bis 19. Mai 1946, legte der amerikanische Außenminister Byrnes einen Deutschlandvertragsentwurf vor, der u.a. vorsah, eine Grenzregelung alsbald zu treffen. Ein Entwurf dieses Viermächtevertrages, bekannt als Byrnes-Plan, war bereits im Dezember 1945 in Moskau vorgelegt worden, hat aber zu jener Zeit weder bei dem britischen Außenminister Bevin noch bei Außenminister Molotow Anklang gefunden. Sinn des Byrnes Plans war der Abkehr von der Isolationspolitik der 4 Zonen. So kommentierte das Foreign Policy Bulletin am 10. May 1946:

"Byrnes' Plan wurde in der Hoffnung ausgearbeitet, eine Teilung Europas in zwei sich bekämpfende Welten zu verhüten. Bei der Pariser Konferenz legte Byrnes dem Rat fünf Fragen vor, die für die Verwaltung Deutschlands von vordinglicher wirtschaftlicher Bedeutung waren:

1. Sollen das Ruhr/ und das Rheingebiet internationalisiert werden?

2. Sollen Überschüsse über den deutschen Bedarf hinaus für die Ausfuhr zur Verfügung gestellt werden?

3. Kann eine Einigung über die Errichtung eines Verwaltungsapparates erzielt werden, der Deutschland als wirtschaftliche Einheit behandelt?

4. Sollen die Zonengrenzen lediglich als Demarkationslinien für die Besatzung aufrecht erhalten bleiben und nicht als Schranken für den Güteraustausch innerhalb Deutschlands?

5. Kann eine vorläufige Einigung darüber erzielt werden, die späteren Westgrenzen Deutschlands in den Entwurf des Friedensvertrages aufzunehmen?

Zum Reparationsproblem sagte Byrnes in einer Rundfunkansprache am 20. Mai: "Wir können das Reparationsprogramm nicht fortsetzen, wenn Deutschland nicht als wirtschaftliche Einheit verwaltet wird, wie dies auf der Potsdamer Konferenz beschlossen wurde. Auf welche Grenzen für Deutschland man sich auch immer einigt, Deutschland muss in der Lage sein, ohne fremde Hilfe zu leben."

Tatsächlich hatte sich in den Monaten nach Potsdam gezeigt, dass sich die Reparationsregelung nach Zonen gegen die wirtschaftlichen Interessen der Anglo-Amerikaner auswirkte. So schrieb General Clay im Mai 1946 in einem Bericht über die allgemeine Lage in Deutschland:

"Der Deutschland zu belassene Nachkriegs-Industriestand, der die Grundlage der Reparationen ist, setzt die Behandlung Deutschland als eine Wirtschaftseinheit voraus. Andernfalls wäre es völlig unmöglich, ihn beizubehalten, und dies müsste zum wirtschaftlichen Chaos in Deutschland führen."

Bereits im Frühjahr hatte Clay Reparationslieferungen aus der amerikanischen Besatzungszone an die Sowjetunion eingestellt. So berichtete er:

"Ende 1945 wurde ersichtlich, dass die Sowjetregierung Reparationen aus der laufenden Produktion einer mit Defizit arbeitenden Wirtschaft eintreiben wollte. Das sowjetische Verhalten bedeutete praktisch, dass die Lieferungen an Russland indirekt durch die Vereinigten Staaten und Großbritannien beglichen wurden."

Am 18. Juni 1946 gab der Chef der Wirtschaftabteilung der amerikanischen Militärregierung in Deutschland, General William Draper, einen prägnanten Umriss über die amerikanische Einstellung zu den wirtschaftlichen Problemen Deutschlands:

"Um Deutschland wieder auf die Beine zu bringen, müssen drei Punkte beachtet werden:

1. Alle Zonengrenzen müssen verschwinden; sie waren nur als Grenzlinien zwischen den Besatzungsarmeen gedacht, nie als wirtschaftliche Grenzen;

2. Möglichst sofort muss eine zentrale Finanzverwaltung in Deutschland geschaffen werden.

3. Alle Trading with the Enemy Acts müssen aufgehoben werden, ein Kurswert der Reichsmark muss festgesetzt werden, damit Deutschland in den Außenhandel kommen kann."

Im Verlauf der zweiten Pariser Außenministerkonferenz vom 15. Juni-15 Juli 1946 legte Byrnes einen Plan vor, den er als 'letzte Zuflucht' bezeichnete. Für den Fall, dass die Errichtung deutscher zentraler Verwaltungsstellen nicht zustande komme, machte Byrnes den Vorschlag, die Zonen wirtschaftlich zu vereinen:

"Wir können Deutschland nicht auf unbegrenzte Zeit in vier luftdichten Kammern verwalten. Die Vereinigten Staaten ... wünschen keinen Vergeltungsfrieden für Deutschland. Ich glaube es ist besser, wenn Deutschland so bald wie möglich weiß, was es zu tun hat, wie seine künftigen Grenzen verlaufen werden und welche Reparationen es zu zahlen haben wird."

Byrnes weiter:

"Da eine Einigung der vier Mächte über die Ausführung des Potsdamer Abkommens, das die Verwaltung Deutschlands als Wirtschaftseinheit verlangt, noch aussteht, werden die Vereinigten Staaten mit jeder anderen Besatzungsmacht in Deutschland zusammengehen, um jeweils wenigstens die betreffenden Zonen als Wirtschaftseinheit zu behandeln."

Der von Byrnes gemachte Vorschlag zur Beschleunigung der deutschen Wirtschaftseinheit wurde von dem Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland General Joseph MacNarney am 20. Juli in einer Erklärung vor dem Alliierten Kontrollrat wie folgt formuliert:

"Da auch in der Folgezeit keine Einigung in der Reparationsfrage erzielt wurde, lehnten die Vereinigten Staaten die weitere Verantwortung für die deutsche Wirtschaftsführung ab. Zugleich forderten sie die anderen Besatzungsmächte auf, ihre Zonen mit der amerikanischen zusammenzuschließen, um auf diesem Wege die Verwaltung Deutschlands als Wirtschaftseinheit zu erreichen."

Beim Pariser Kongress der 21. Nationen im August 1946 stand zwar die deutsche Frage nicht auf der Tagesordnung und trotzdem blieb sie im Vordergrund der Besprechungen der Grossen Vier.

Am 20. August gab der politische Berater General McNarneys, Botschafter Robert Murphy folgender Erklärung ab:

"Die Besatzungszonen in Deutschland müssen so organisiert werden, dass sie als eine wirtschaftliche Einheit funktionieren, wenn die deutschen Hilfsquellen der Industrie, der Landwirtschaft und des Arbeitsmarktes in den Dienst des Wiederaufbaues von Deutschlands zerstörter Wirtschaft gestellt und seinem Volk ein Lebensunterhalt ermöglicht werden soll. Die kulturelle Rehabilitierung des deutschen Volkes ist unzertrennlich mit der Wiederherstellung eines annehmbaren Lebensstandards verknüpft."

Zu den Sternstunden der US-amerikanischen Deutschlandpolitik der Nachkriegsjahre zählt vor allem die Stuttgarter Rede Außenminister Byrnes vom 6. September 1946, in der er sagte:

"Die Vereinigten Staaten werden nicht ihre Zustimmung geben, dass Deutschland größere Reparationen leisten muss, als in den Potsdamer Beschlüssen vorgesehen wurde. Die Durchführung der Potsdamer Beschlüsse ist jedoch dadurch behindert worden, dass der Alliierte Kontrollrat nicht die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um es der deutschen Wirtschaft zu ermöglichen, als Wirtschaftseinheit zu arbeiten. Die notwendigen deutschen Zentralverwaltungskörper sind nicht geschaffen worden, obgleich die Potsdamer Beschlüsse sie ausdrücklich verlangen. Die gerechte Verteilung lebenswichtiger Güter zwischen den einzelnen Zonen mit dem Ziel, eine ausgeglichene Wirtschaft in ganz Deutschland herbeizuführen und den Einfuhrbedarf zu verringern, ist nicht in die Wege geleitet worden, obgleich die Potsdamer Beschlüsse auch dies ausdrücklich verlangten...

Wir treten für die wirtschaftliche Vereinigung Deutschlands. Wenn eine völlige Vereinigung nicht erreicht werden kann, werden wir alles tun, was in unseren Kräften steht um eine größtmögliche Vereinigung zu sichern... Das amerikanische Volk hofft, ein friedliches und demokratisches Deutschland zu sehen, das seine Freiheit und Unabhängigkeit erlangt und behält."

Was die Oder-Neiße Provinzen betrifft sagte Byrnes:

"In Potsdam wurden, vorbehaltlich einer endgültigen Entscheidung durch die Friedenskonferenz, bestimmte Gebiete, die einen Teil Deutschlands bildeten, vorläufig der Sowjetunion und Polen zugewiesen. Damals waren diese Gebiete von der Sowjetarmee und von der polnischen Armee besetzt. Es wurde uns gesagt, dass die Deutschen aus diesen Gebieten in größere Zahl flüchteten... Was Schlesien und andere ostdeutsche Gebiete anbetrifft, so fand die zu Verwaltungszwecken erfolgte Übergabe dieses Gebiets durch Russland an Polen vor der Potsdamer Zusammenkunft statt. Die Staatsoberhäupter stimmten zu, dass Schlesien und andere ostdeutsche Gebiete bis zur endgültigen Festlegung der polnischen Westgrenze durch den polnischen Staat verwaltet ... werden sollten. Wie aus dem Protokoll der Potsdamer Konferenz hervorgeht, einigten sich die Staatsoberhäupter jedoch nicht dahingehend, die Abtretung irgendeines bestimmten Gebietes zu unterstützen. "

Über die "endgültige Festlegung der polnischen Westgrenze" schrieb Sumner Welles, Unterstaatssekretär im amerikanischen Außenministerium, im Jahre 1946:

"Versuchsweise haben sich die Vier Mächte auf den Oderlauf als neue Ostgrenze Deutschlands geeinigt... Wenn der Frieden diese vorläufige Entscheidung zur endgültigen machen sollte, würden sie ein Unrecht fortsetzen und sozial und wirtschaftlich einen schweren Fehler begehen, der unweigerlich dauernde Spannung und Unsicherheit in Europa hervorrufen müsste... Ein größer Teil des Gebiets zwischen der Oder und der westlichen Grenze des einstigen polnischen Korridors ist reiche Agrarboden. Ein Teil mindestens sollte den Deutschen zugänglich bleiben, sowohl als Nahrungsquelle wie auch als Wohngebiet. Wenn die neue deutsche Grenze mit Polen mit angemessener Rücksicht auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse des deutschen Volkes festgelegt werden soll, müsste sie ziemlich weit östlich der Oder verlaufen."

Es lohnt sich zu zitieren, was Außenminister Byrnes bereits am 19. Oktober 1945 über Potsdam und die sowjetische Vertreibungspolitik sagte:

"Soweit es uns angeht, wollten wir unterschiedslose und ungeregelte Vertreibungen umgehen und unnötige Härte für die Betroffenen und unnötige Belastungen der Zonen, die sie aufnehmen müssen, vermeiden. Wir sahen ein, dass gewisse Aussiedlungen unvermeidlich waren, aber wir beabsichtigten in Potsdam nicht, zu Aussiedlungen anzuregen oder in Fällen, wo andere Regelungen praktikabel waren, Verpflichtungen einzugehen."

Außenminister Marshall, der die durch Überbevölkerung und Nahrungsmangel verursachten Schwierigkeiten in Deutschland nur zu gut kannte, begab sich im März 1947 in der festen Absicht nach Moskau, sich für eine Grenzkommission einzusetzen, die eine vernünftigere Grenze zwischen Deutschland und Polen bestimmen sollte. Marshall verwies auf den Text von Artikel IX des Potsdamer Protokolls zurück, nach dem die Angelegenheit bis zur Friedenskonferenz zurückgestellt wurde. Er bestätigte, "dass Polen zu einer Entschädigung für seine Verluste im Kriege berechtigt ist und dass die Vereinigten Staaten ihre Verpflichtungen einhalten wollen", bemerkte aber auch: "Wir dürfen nicht vergessen, dass ein großer Teil des Gebiets, das jetzt unter polnischer Verwaltung steht, lange deutsch gewesen ist und über landwirtschaftliche Ressourcen von lebenswichtiger Bedeutung für die deutsche und die europäische Wirtschaft verfügt."

Er fuhr fort:

"Es wird akzeptiert werden, glaube ich, dass das südliche Ostpreußen polnisches Gebiet werden soll, Deutsch-Oberschlesien und sein Industriekomplex sollen ebenfalls polnisch werden. Um sicherzustellen, dass seine Kohlen und sonstige Hilfsmittel für die Aufrechterhaltung der europäischen Wirtschaft zur Verfügung stehen, sollten besondere Bestimmungen getroffen werden. Die Teilung des übrigen Gebietes, das weithin Ackerland ist, erfordert Berücksichtigung der Bedürfnisse des polnischen und des deutschen Volkes sowie Gesamteuropas."

Gegenüber dem ehemaligen amerikanischen Botschafter in Warschau, Arthur Bliss Lane äußerte sich Außenminister Marshall am 9. Mai 1947 wie folgt: "Der Präsident ist in Potsdam gezwungen gewesen, einer Regelung zuzustimmen, die ihm sehr unangenehm war. Damals hatten ja die Russen das Territorium in der Hand. Sie hatten absichtlich den Sinn des erreichten Übereinkommens verzerrt, doch wie die Notizen und Erklärungen der Konferenzteilnehmer klar beweisen, haben wir nicht in eine definitive Grenzziehung eingewilligt."

Marshall erinnerte Lane außerdem daran, dass dieser 1945 die Anweisung erhalten hatte, mit den Polen die Frage einer humanen Umsiedlung zu erörtern, " denn die Polen fuhren tatsächlich mit der Deportation der deutschen Bevölkerung fort, was aber nicht hieß, dass wir damit einverstanden waren."

Englische Politiker waren auch mit der Vertreibung, wie sie vor sich ging, und mit dem Ausmaß der sowjetischen und polnischen Ansprüchen nicht einverstanden. So sagte Churchill am 16. August 1945 im Unterhaus: "Ich muss meine persönliche Meinung zu Protokoll geben, dass die Polen zugestandene, provisorische Westgrenze, die .. ein Viertel des Ackerlandes ganz Deutschlands umschließt, kein gutes Vorzeichen für die künftige Karte Europas ist." Am 5. März 1946 sagte er in Fulton, Missouri: "Die von den Russen gegängelte polnische Regierung ist ermutigt worden, sehr umfassende und widerrechtliche Übergriffe gegen Deutschland zu unternehmen, und jetzt finden Massenvertreibungen von Deutschen in einem bedrückenden und ungeahnten Ausmaß statt."

Wiederholt bestätigte der britische Außenminister Bevin, dass Großbritannien in keiner Weise verpflichtet sei, die Ansprüche Polens auf die Oder-Neiße Linie zu unterstützen. Er schloss sich der Meinung der Außenminister Byrnes und Marshall an. Bevin meinte, dass nördliche Gebiete östlich von Stettin, die weniger bevölkert seien und landwirtschaftlichen Charakter trügen, Deutschland einverleibt werden könnten, was dazu beitragen würde, die deutsche Wirtschaft ins Gleichgewicht zu bringen."

Tatsächlich überstiegen die Vertreibungen bei weitem alles, was Churchill oder Truman zu genehmigen bereit waren. Der vorausgesehene, geordnete Transfer von drei Millionen Menschen -- der von einem Population Transfers Commission beaufsichtigt werden sollte und mit Entschädigung verbunden war -- schwoll zu einer Massenvertreibung von vierzehn Millionen Menschen an.

Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer hat eine Revision der Oder-Neiße Grenze gefordert. In der 5. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20. September 1949 sagte er: "Die Bestimmungen der Atlantik-Charta sind ganz eindeutig und klar. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat durch Beschluss vom 3. November 1948 die Großmächte aufgefordert, nach diesen Prinzipien baldmöglichst Friedensverträge abzuschließen. Wir werden nicht aufhören, in einem geordneten Rechtsgang unsere Ansprüche auf diese Gebiete weiter zu verfolgen."

Damals hatte Adenauer bessere Freunde in Washington als einscheinend heute Bundeskanzler Kohl. Der 1950 Bericht vom US Abgeordneten Francis Walter bestätigt, dass weder die Amerikaner noch die Briten die Vertreibung der Deutschen wollten noch das fait accompli zu legalisieren gedachten. Was Artikel XIII des Potsdamer Protokolls bezweckte, war, die laufenden Vertreibungen zunächst zu stoppen und später, soweit nicht mehr zu verhindern, in geordnete Bahnen zu lenken. Als die Anglo-Amerikaner in Potsdam eintrafen, waren bereits Millionen Deutscher vertrieben worden, und zwar durch einseitige Maßnahmen der polnischen und tschechoslowakischen Regierungen. Und die Versuche der Anglo-Amerikaner, für geordnete Umsiedlungen zu sorgen, scheiterte weitgehend an der mangelnden Kooperation der Vertreiberstaaten.

Über die Sudetendeutschen lesen wir im Walter Bericht:

"Ungefähr eine Viertel Million Sudetendeutscher wurde auf unmenschliche Weise durch selbständige Aktionen von 'Partisanen' aus den Grenzgebieten nach Deutschland getrieben. Die übrigen, etwa zwei-einhalb Millionen, wurden Ende 1945 und 1946 nach Deutschland geschickt, und zwar durch eine organisierte Umsiedlung, die von der tschechoslowakischen Regierung durchgeführt wurde. Die Verhältnisse waren so, dass keine dieser Unternehmen als human und geregelt bezeichnet werden kann. Sudetendeutsche, die sich 1938 loyal gegen die Tschechoslowakei verhalten und deshalb unter dem Naziregime gelitten hatten, wurden zum größten Teil ebenfalls von der Vertreibung betroffen."

SCHLUSS

Der Marshall Plan war eine kluge Politik. Sie rettete Europa -- vor allem England und Frankreich, die am meisten erhielten. Aber auch Deutschland, die nur 1.5 Milliarden Dollar erhielt, wurde dadurch für den Frieden und für die Demokratie gerettet. Nur so konnten die Millionen Vertriebenen Arbeit bekommen und schliesslich integriert werden.

Die Harvard Rede von George Marshall am 7. Juni 1947 gehört nach wie vor zu den Sternstunden des Zwanzigsten Jahrhunderts.

Es wäre nicht richtig, einen Vortrag über die US Deutschlandpolitik und über George Marshall zu beenden, ohne einen seiner Hauptgegner zu nennen. Henry Morgenthau, Jr., Roosevelts Finanzminister während des Krieges, vertrat eine grundsätzlich andere Meinung über Deutschland, wie in seinem 1945 erschienenen Buch Germany is Our Problem und vor allem in seinem sog. Plan nachzulesen ist.

Als Amerikaner möchte ich unzweideutig sagen, dass der Morgenthauplan nicht mehr und nicht weniger war, als ein Genozidplan. Diese Bezeichnung ist keineswegs extrem. Die Absicht der Vernichtung ist im Plan deutlich. Wenn der Morgenthauplan in die Tat umgesetzt worden wäre, wären Millionen Deutsche verhungert.

Auch Morgenthau war ein Amerikaner. Es waren nicht nur anständige Politiker wie James Byrnes, George Marshall, Lucius Clay, Admiral William Leahy, und Robert Murphy da. Henry Morgenthau und sein Plan können nur als ein Schandfleck in der amerikanischen Geschichte bezeichnet werden.

Es sind gerade latente antideutsche Vorurteile, die erklären, warum sogar Freunde Helmut Kohls wie George Bush und François Mitterrand die Druckkulisse bildeten, die zur Anerkennung der Oder-Neiße Grenze führten. Wie Helmut Kohl es im Bundestag erklärte:

"Wir haben sehr wohl zur Kenntnis genommen und gewusst, was dies für Millionen Menschen bedeutet, dass ein Drittel des Reichsgebietes, nicht eines angemaßten Reichsgebietes, damals endgültig abgetrennt wurde... Das ganze Elend dieses Jahrhunderts ist doch in dieser Entscheidung wieder angeklungen."

In den Geschichtsbüchern und im allgemeinen Geschichtsbewusstsein muss es klar sein, dass die Abtrennung der Oder-Neiße Gebiete einseitig von Stalin und von seinen polnischen Vassallen beschlossen wurde. Sie hatte weder historische noch moralische Berechtigung. Juristische Berechtigung erlangte sie erst, als die Wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland die Oder-Neiße Grenze aufgrund einer internationalen Druckkulisse bestätigen musste.

Die in Amerika immer noch latenten antideutschen Vorurteile -- gekoppelt mit dem unvorstellbaren historischen Unwissen der amerikanischen Diplomaten von heute -- erklären auch die bereits erwähnte Stellungnahme der amerikanischen Botschaft in Prag vom 14. Februar 1996. Dort wurde pauschal festgestellt, dass die Beschlüsse von Potsdam auf das Völkerrecht basierten -- mit anderen Worten, dass die Vertreibung der Deutschen mit mehr als zwei Millionen Opfern nicht völkerrechtswidrig war.

Einem Außenminister wie George Marshall wäre diese Peinlichkeit nicht passiert. Die Prager Erklärung wurde auch in bedeutenden politischen Kreisen Washingtons moniert -- z.B. vom Helsinki Committee des U.S. Repräsentantenhauses -- denn sie widerspricht allem, was bisher von Außenminister James Byrnes, George Marshall, John Foster Dulles usw. über die Vertreibung gesagt worden war. Noch schlimmer, sie steht im Widerspruch zu den Bemühungen der Vereinigten Staaten, im Dayton Abkommen ethnische Säuberungen zu verurteilen und das Recht auf Rückkehr in die Heimat zu garantieren. Nein, man kann nicht heute A und morgen B sagen, ohne seine eigene Glaubwürdigkeit einzubüsen.

Diese peinliche Stellungnahme widerspricht auch der ganzen Entwicklung bei den Vereinten Nationen, das Recht auf die Heimat zu etablieren. Vor wenigen Wochen fand in Genf eine bedeutende Tagung zur Frage Vertreibung statt, und die Erklärung der Experten fiel eindeutig: Vertreibungen sind völkerrechtswidrig und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dies verlangt eine Wiedergutmachung, vor allem das Recht auf Rückkehr in die Heimat und Entschädigung für völkerrechtswidrig konfiszierte Eigentum. Auch die Worte des UNO-Hochkommissars für Menschenrechte in der Paulskirche widersprechen die absurde Stellungnahme der amerikanischen Botschaft in Prag. Ayala Lasso sagte:

"Das Recht, aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht." Ayala verurteilte ausdrücklich "die Verhängung von Kollektivstrafen auf der Grundlage allgemeiner Diskriminierung und ohne die genaue Untersuchung persönlicher Schuld".

Literaturverzeichnis

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-- The Conference at Berlin, 1945,

-- Bd. 2, 1945, General, Political and Economic Matters.

Dean Acheson, Present at the Creation. My Years in the State Department, W.W. Norton, New York, 1969.

Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd. 1-4, Stuttgart, 1965-68.

Charles Bohlen, Witness to History, New York, 1973.

James Byrnes, Speaking Frankly, Harper and Brothers, New York, 1947.

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Anthony Eden (Lord Avon), The Memoirs of Anthony Eden, Boston, 1960.

Dwight D. Eisenhower, Crusade in Europe, Garden City, 1948. Kreuzzug in Europa, Amsterdam 1948.

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Gastprofessor des Völkerrechts, Chicago. Senior Fellow, International Human Rights Law Institute, Chicago. Dr.iur. (Harvard), Dr.phil.(Göttingen). Autor der Bücher "Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts", Verlag Universitas-Langen Müller, 5. erweiterte Auflage, 1995. "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen", Ullstein Taschenbuch, 9. erweiterte Auflage, 1996. "Anmerkungen zur Vertreibung", Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 3. erweiterte Auflage, 1993. Mitglied des P.E.N. Clubs. Dieser Artikel entspricht der persönlichen Meinungen des Verfassers und verpflichtet nicht die Organisationen, mit welchem er assoziiert ist.

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Ebenda, S. 263. Department of State Bulletin, Bd. 15, S. 496 ff. Documents on American Foreign Relations, Bd. 8, S. 210-218. Mikolajczyk wurde in Kopenhagen von der Rede unterrichtet und gab sofort vor der Presse eine Protesterklärung ab. Siehe Edward Rozek, Allied Wartime Diplomacy, New York, 1958, S. 423f. Dokumente der Deutschen Geschichte und Politik, 6. Bd., S. 137f.

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