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Zeitgeist und wissenschaftliche Redlichkeit - Rede anlässlich der Verleihung des Dr. Walter Eckhardt Preises für Zeitgeschichtsforschung

Sehr verehrte Frau Dr. Eckhardt

Sehr geehrter Herr Professor Demandt

Sehr geehrter, lieber Dr. Schickel,

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,

Die ungestellte Frage ist oft wichtiger als die unbeantwortete Frage, und manchmal sogar entscheidender als die Antwort.

Alle Wissenschaftler, auch die Historiker, müssen Fragen stellen. Dabei geht es um die sachlich richtigen Fragen, und eben nicht - wie jeder Jurist weiss - um Fragen, die bewusst daneben führen. Wir kennen die Fragen des Journalisten: Was, wann und wie. Für den Wissenschaftler gilt aber auch die Frage: Warum? Zur wissenschaftlichen Redlichkeit gehören unbedingt die Erforschung der Kausalität, die klare Darlegung der Ursachen und Folgen des Geschehenen.

Wissenschaftliche Redlichkeit kennt genauso wenig Frageverbote wie Denkverbote. Der Forscher muss bohren, Fakten einordnen, Zusammenhänge erkennen, und sicherlich auch die notwendigen Vergleiche ziehen, um endlich der Wahrheit näher zu kommen, um -- enfach gesagt - zu verstehen. Wie ein guter Arzt muss der Historiker oft unbequeme Fragen stellen. Und wie der Jurist muss auch der Historiker auf jenes universale Prinzip der Fairness achten: Audiatur et altera pars . Er muss alle Seiten anhören, und seine Erkenntnisse nicht teleologisch erreichen und durch einseitige Argumentationen begründen. Nur in totalitären und fundamentalistischen Staaten wird eine jeweilige politisch korrekte Interpretation der Geschichte als Dogma verkündet und durch Zwang aufrechterhalten. Allerdings wirkt in unseren abendländischen Gesellschaften der Zeitgeist oft als Zensor und wird somit zu einer Gefahr für die freie Forschung und für den freien wissenschaftlichen Diskurs.

Ich denke, wir sind uns einig, dass die Forschungsfreiheit für den Pluralismus und für unsere Demokratie unerlässlich ist. Dies ist weder eine Floskel noch de facto selbstverständlich, denn Zeitgeist und Opportunismus führen allzu oft zur Selbstzensur. Wie die Demokratie selbst, so muss die für ihren Erhalt entscheidende Forschungs- und Meinungsfreiheit täglich gelebt werden . Es ist gut, sich dessen bewusst zu sein, dass die Gefahren der Forschungsfreiheit nicht nur in staatlicher Zensur, sondern auch im übertriebenen Respekt sog. “Political correctness” liegen -- zwischen Privaten ohne jegliche staatliche Einmischung. Ich sage dies im übrigen ohne jegliche politische Tendenz. Denn trotz der politischen Überzeugung jeder -- und jeder unter uns -- Forschung, insbesondere redliche Forschung ist a priori und per definitionem apolitisch.

Forschungsfreiheit setzt unter anderem auch die Möglichkeit, sogar das Recht, voraus, sich zu irren. Gerade weil wir verstehen wollen, müssen wir versuchen, das Geschehene durch neue Fragen und neue Perspektive auszulegen. Und sollte sich der Historiker redlich irren, so ermöglicht die offene wissenschaftliche Debatte eine Selbstkorrektur.

Das wissenschaftliche Ethos und die historische Redlichkeit verlangen, dass der Wissenschaftler bemüht ist, alle die notwendigen Fragen zu stellen, und dass er die unbequemen Fragen nicht ausspart, oder die unbequemen Themen ausklammert. Die Wahrheit ist nämlich das ganze Bild. Und, wenn der Historiker einen wichtigen Aspekt unterdrückt oder aus Bequemlichkeit schweigt, so verstösst er gegen das wissenschaftliche Ethos schlechthin.

Wer über Terrorismus forscht, muss nicht nur die Fakten eines bestimmtes Attentats kennen, sondern vielmehr nach den Wurzeln des Phänomens suchen.

Wer über Kriege forscht, fragt nicht nur wer die erste Kugel schoss, sondern wie es erst dazu kam.

Wer über Massaker forscht, muss sie auch in Perspektive setzen und mit anderen Massakern vergleichen. Wer forscht und veröffentlicht z.B. über den Genozid gegen die Armenier 1915-16? Wenn wir die Völkermorde des 20. Jahrhunderts erforschen wollen, so sollen wir doch dort anfangen, wo angefangen wurde.

Die Manipulationen der öffentlichen Meinung führen oft dazu, dass nur Teilaspekte der Geschichte, vor allem der Zeitgeschichte, beleuchtet werden, dass schwarz-weiss Malerei betrieben wird, dass die ganze Aufmerksamkeit auf bloss ein Thema gelenkt wird.

Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht auch, im Namen der wissenschaftlichen Redlichkeit, des Pluralismus und schliesslich auch der Demokratie: die ganze Wahrheit muss es sein?

Zeitgeist und Zensur gehen oft zusammen. Totalitäre Staaten sorgen schnell für Gleichschaltung und offizielle Zensur. So darf der Historiker entweder nur Genehmigtes schreiben oder sich als Samisdatsautor beschäftigen und muss mit Haft und Strafsanktionen rechnen. In offenen Gesellschaften gibt es keine offizielle Zensur, sehr wohl aber andere Zwänge, wie der Historiker recht bald lernt, denn die Behandlung von bestimmten Themen ist nicht gesellschaftsfähig und kann negative berufliche Konsequenzen nach sich ziehen. In Demokratien gibt es vor allem eine soziologisch bedingte Selbstzensur der Verleger und Journalisten, mit dem Resultat, dass unliebsame Bücher keine Verleger finden, und wenn sie trotzdem erscheinen, werden sie totgeschwiegen -- bzw. nicht rezensiert. Auffallend bei zeitgeist-konformer Geschichtsschreibung ist also die Tatsache, dass bestimmte Fragen einfach nicht gestellt werden. Man schreibt über sonst alles mögliche und vermeidet dabei wesentliche Aspekte -- manchmal sogar die wesentlichsten.

In Amerika wie in Deutschland ist die selektive Geschichtsschreibung keine Ausnahme sondern eher die Regel. Man beobachtet das Phänomen des Konformismus meistens dort, wo sich aktuelle politische Bezüge ergeben. Darum möchte ich meine heutigen Bemerkungen auf drei Bereiche beschränken: die Vertreibung der Deutschen, Kriegsverbrechen und die Wehrmacht. Ich teile die Meinung von Herbert Ammon in der FAZ, wenn er behauptet, dass für die deutsche Zeitgeschichtsforschung das Thema Vertreibung immer ein "Stiefkind der Zunft" gewesen ist. Die mehrteilige ZDF-Sendung von Guido Knopp, die gerade vor vier Tagen anfing, ändert eigentlich nichts daran.

Für die amerikanische Zeitgeschichtsforschung ist die Vertreibung der Deutschen sogar weniger als ein Stiefkind der amerikanischen Historikerzunft. Trotzdem behaupten manche Vertreter der Zunft, es gebe keine Tabus, man habe immer frei über diese Themen forschen und veröffentlichen können, und viele hätten es getan.

Ich bitte Sie vorweg um Verzeihung, wenn ich mich auf persönliche Erfahrungen berufe, um die Lage zu illustrieren. Wie einige von Ihnen wissen, studierte ich Geschichte und Rechtswissenschaften an der Harvard Universität in den spätsechziger und Anfang der siebziger Jahren. Über deutsche Kriegsverbrechen und die Nürnberger Prozesse herrschte eine einheitliche Meinung -- ohne Abweichung. Es gab Seminare und Übungen über den Holocaust und über den Nationalsozialismus. Die Deutschen seien Täter -- niemals Opfer -- und damit Basta. Darum wurden weder der Bombenkrieg noch die Vertreibung überhaupt Gegenstand der Diskussion oder der Forschung. Ausserdem gab es damals so gut wie gar nichts zu diesen Themen in englischer Sprache.

Über die Vertreibung erfuhr ich selber -- eigentlich zufällig -- in einem Seminar über Kriegsvölkerrecht in der Harvard Law School -- eben nicht in der Graduate School of Arts and Sciences, wo man das Thema eher erwartet hätte. Mein damaliger Lehrer, später amerikanischer Richter am IGH, Professor Richard Baxter, empfahl mir diese Thematik als geeignet für eine Dissertation. Im Geschichtsseminar wurde darauf hingedeutet, das dies ein problematisches Thema sei. So erfuhr ich von dem Oxford Historiker A.J.P. Taylor, der in der Historikerzunft seinerzeit als politisch inkorrekt empfunden wurde, weil er ständig unliebsame Fragen stellte. Ich war also gewissermassen gewarnt.

Als ich Anfang der siebziger Jahre in Deutschland als Fulbright Stipendiat weilte, erfuhr ich näheres über gefährliche Thesen und gefährliche Verleger. Forschen konnte ich damals -- Gott sei Dank -- wie ich wollte. So konsultierte ich im Bundesarchiv Koblenz die 40,000 Erlebnisberichte über die Vertreibung, die seinerzeit vom Team Theodor Schieder/Hans Rothfels gesammelt und ausgewertet worden waren, und später lernte ich die Arbeiten von Professor Maschke und seiner Historikerkommission zur Kriegsgefangenengeschichte kennen. Seinerzeit waren die hellblauen Bände von Maschke noch im Giftschrank des Geschichtsseminars und nicht im Buchhandel erhältlich. Insgesamt wurden nur 450 Exemplare dieses Werkes gedruckt und nur sehr wenige Wissenschaftler haben sie je konsultiert oder konsultieren wollen. Mir wurde von Professoren und Archivaren bedeutet, dass man sich in Acht nehmen musste, um nicht “abgestempelt” zu werden. Als junge Forscher wusste ich noch nicht, was abgestempelt eigentlich heissen sollte. Waren die freie Forschung und die offene wissenschaftliche Debatte in einer demokratischen Gesellschaft nicht erwünscht, ja gerade gefordert?

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Immerhin durfte man forschen. Veröffentlichen war etwas anderes. Über Zeitgeist-konforme Themen wie z.B. My Lai und die amerikanischen Verbrechen im Vietnamkrieg durfte und darf man weiterhin veröffentlichen. Über die amerikanischen Exzesse im Bombenkrieg während des Zweiten Weltkrieges wohl kaum. Zwanzig Jahre später ist die Lage etwas ähnlich, und über Exzesse im Bombenbrieg während des sog. " Desert Storm " , des Krieges gegen Irak 1991, wird auch kaum gesprochen oder veröffentlicht. Ein hochrangiger Kritiker des Bombenkrieges, der ehemaliger amerikanischer Justizminister in den Regierungen Kennedys und Johnsons, Ramsey Clark, schrieb eine brillante Analyse des Krieges und wies auf den enormen Verlust an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung Bhagdads hin, was die Presse weitestgehend unterdrückt oder beschönigt hatte. Sogar Ramsey Clark fand keinen normalen Verleger. Das Buch erschien in einem beinahe obscuren New Yorker Verlag und wurde so gut wie nicht rezensiert. Und das bei einem ehemaligen und hoch respektierten ex-Justizminister. Als ich 1993-94 Völkerrechtprofessor in Chicago war, erfuhr ich von einem hohen Beamten des amerikanischen Verteidigungsministerium, wie die amerikanische öffentliche Meinung damals manipuliert worden war, und über die enorme Zahl der Zivilverluste in Irak, die im die Zehntausende ging. Ob wir jemals eine zuverlässige offizielle Statistik erhalten werden? Vielleicht wird dasselbe bezüglich der Zivilbevölkerung in Afghanistan jetzt gelten.

Meine Damen und Herren, bei dem Zeitgeist nicht entsprechenden Meinungen hat man die Wahl zwischen obskuren Verlagen oder im Selbstverlag zu publizieren. Jedoch erzielt man auf dieser Weise weder die Verbreitung einer Idee noch den finanziellen Erfolg. Man sollte aber Bücher, die im Selbstverlag erscheinen, nicht ignorieren, denn Sie enthalten oft sehr wertvolle und sonst unzugängliche Informationen. Ich denke z.B. an das hervorragende Buch von Ludwig Hannemann "Die Justiz der Kriegsmarine 1939-1945 im Spiegel ihrer Rechtsprechung", an das 160-Seiten umfassende Broschüre “Zeitgeschichte wider den Zeitgeist” von Fritz Lachenmaier, und an etliche Memoiren von Wehrmachtsoldaten und Vertriebenen. Ich darf Spender auffordern, auch solche Publikationen zu unterstützen und zu ermöglichen, eventuell sogar Preise dafür zu stiften.

Ich bedauere feststellen zu müssen, dass nur wenige amerikanische und deutsche Wissenschaftler bereit sind, politisch heikle Themen anzupacken, unter anderem vielleicht deshalb weil sie unter Karriereangst leiden. Auffallend wenig haben sie sich zur Jan Philipp Reemtsmas Wehrmachtausstellung geäussert. Als rühmliche Ausnahme darf man an Franz Seidler denken, den Walter Eckhardt Preisträger von 1999 und neulich emeritierten Professor der Univesität der Bundeswehr in München.

Mann muss natürlich zugeben, dass Historiker in Amerika und Kanada es etwas leichter haben als ihre deutschen Kollegen. Norman Naimark, Geschichtsprofessor an der Stanford University in Kalifornien, leistete sich sein wissenschaftlich redliches und politisch inkorrektes Buch "Die Russen in Deutschland", welche in englischer Urfassung sogar in der Harvard University Press erschien. In Deutschland wurde er bei Propyläen verlegt. Ich bin aber der Überzeugung, dass wenn Naimark Deutscher wäre, es nur wenige deutsche Verleger gewagt hätten, das Buch herauszubringen.

Dr. Herbert Fleissner, Chef des Hauses Langen Müller-Herbig, und ehemaliger Chef des Hauses Ullstein -- hat den Verdienst, die Übersetzungen der Bücher des Kanadiers James Bacque bei Ullstein ermöglicht zu haben. So erschienen "Der geplante Tod" 1989 und "Verschwiegene Schuld" in 1995, deren Urfassungen bei den alten und respektierten Häusern Little Brown und Stoddard erschienen waren. Man kann verschiedener Meinung über Bacques Statistiken sein, aber er hat den Mut gehabt, wichtige Fragen aufzuwerfen, die andere amerikanische, kanadische und deutsche Historiker bisher vermieden hatten, nämlich die Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen durch die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkrieges, und die kritische Haltung des Internationalen Komites des Roten Kreuzes. Auch bei Ullstein erschien im Jahre 1987 das berühmte Buch von Ernst Nolte, "Der Europäische Bürgerkrieg", der Anlass zum berüchtigten Historikerstreit gab.

1996 veröffentlichte Fleissner eine verdienstvolle Geschichte der Wehrmacht aus der Feder des französischen Historikers Philippe Massons "Die deutsche Armee". Ebenfalls bei Herbig erschienen das Standardwerk "Der Zweite Weltkrieg" von H. Günther Dahms, und die wichtigen Bücher von Professor Franz Seidler "Fahnenflucht", "Die Militärgerichtsbarkeit der deutschen Wehrmacht", "Die Kollaboration" und "Deutscher Volkssturm". Auch bei Herbig erschien 1985 Alfred Schickel's "Vergessene Zeitgeschichte" und 1993 "Aus den Archiven. Funde der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt". 1998, ebenfalls im Herbig Verlag Wolfgang Strauss' "Unternehmen Barbarossa und der russische Historikerstreit". Der ehemalige Ministerpräsident des Landes Baden Württembergs und langzeitige Präsident des Weickersheimer Kreises, Prof. Dr. Hans Filbinger veröffentlichte sein denkwürdiges Buch "Die geschmähte Generation", zunächst im Universitas Verlag, dann in neuer Auflage bei Bechtle, beide im Hause Fleissner.

Selbst ein Sudetendeutscher, hat Dr. Fleissner einige sehr gute Titel zum Thema Vertreibung herausgegeben, etwa Fritz Peter Habels "Eine Politische Legende. Die Massenvertreibung von Tschechen aus dem Sudetengebiet 1938/39", Günter Böddekers "Die Flüchtlinge", Herbert Hupkas Bücher zu Schlesien, und die 1999 neuaufgelegte "Schwarzbuch der Vertreibung" (Universitas) von Hans Navratil.

Der vielseitige Fleissner verlegt übrigens auch den israelischen Humoristen Ephraim Kischon, von dem ich bereits ein halbes Dutzend wunderbare Titel gelesen habe.

Gelegentlich wagen auch andere Verleger wie Straube ein straight-forward Buch wie Michael Wolfsohns "Keine Angst vor Deutschland", wie der Bruckmann Verlag Wolfsohns "Die Deutschland-Akte" oder wie der Piper Verlag " Meine Juden, Eure Juden".

Herr Professor Ernst Topitsch hat über die Kriegsvorbereitungen Stalins grundlegend geforscht, ein Thema, das viele nicht hören wollen. Der Verlag Busse Seewald wagte es, in 1990 Topitschs bahnbrechendes Buch "Stalins Krieg" zu veröffentlichen . Dann brachte Klett-Cotta die Übersetzungen der Bücher des russischen Historikers Viktor Suworow: "Der Eisbrecher" in 1993 und "Der Tag M" 1995 heraus. 1994 erschien im Olzog Verlag Werner Masers "Der Wortbruch. Hitler, Stalin und der Zweite Weltkrieg"; in 1995 im Verlag für Wehrwissenschaften erschien die exzellente Studie des damaligen Direktors am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Dr. Joachim Hoffmann, "Stalins Vernichtungskrieg".

Man hätte gehofft, dass sich die deutschen Medien mit diesen Themen offener und unverkrampfter auseinandersetzen würden. Aber die Angriffspläne Stalins bleiben noch heute einigermassen Tabu. In diesem Zusammenhang weise ich auf eine persönliche Erfahrung hin: Im November 1997 hatte ich Gelegenheit mit Professor Topitsch an einem von der Universität Graz veranstalteten Symposium über die Wehrmacht teilzunehmen. Dort wurde von den Veranstaltern die ganze Thematik der Angriffspläne Stalins ausgeklammert -- eine ziemlich unwissenschaftliche Haltung, zumal die Klärung der Frage nicht nur von geschichtlicher sondern auch von völkerrechtlicher Relevanz ist.

Über die Nürnberger Prozesse hat man viel geschrieben. Vielleicht ist nichts besseres erschienen als das Standardwerk von August von Knieriem " Nürnberg", das im alten Ernst Klett Verlag bereits im Jahre 1953 erschien und in einer amerikanischen Übersetzung bei Regnery, Chicago.

Bisher hat man die Nürnberger Akten vorwiegend für den Beweis der deutschen Kriegsverbrechen verwendet und dabei die Dokumente der Anklage immer wieder ausgelegt und ausgewertet. In der Tat stellen die Nürnberger Akten eine sehr wertvolle Geschichtsquelle dar -- und, wie sie vielleicht wissen, sind nicht einmal 10% der Unterlagen in den 42 Bänden der veröffentlichten Prozessakten enthalten. Diese Aktensammlung der Nürnberger Prozesse stellen darüber hinaus eine bedeutende Quelle der Entlastung des deutschen Volkes allgemein und der Wehrmacht insbesondere dar. Allerdinds sind bisher recht wenige Publikationen erschienen, die die Dokumente der Verteidigung überhaupt zur Kenntnis nehmen. Ich habe einige wichtige Dokumente der Verteidigung in meinem Kapitel über " Die Nürnberger Prozesse " in Alexander Demandts Buch " Macht und Recht " (Verlag C.H. Beck) und in meinem Kapitel " Die Wehrmacht vor den Nürnberger Prozessen " in Hans Poeppels Buch " Soldaten der Wehrmacht " (Herbig Verlag) verwertet. Nürnberger Akten werden auch in Otto Peter Schwelings "Die deutsche Militärgerichtsbarkeit in der Zeit des Nationalsozialismus" und Erich Schwinges "Bilanz der Kriegsgeneration" (beide im N.G. Elwert Verlag in Marburg) ausgewertet.

Einige Zensurskandale haben sich sowohl in Amerika als auch in Deutschland ereignet, die ich kurz kommentieren möchte. So erschien das Buch von John Sack "An Eye for an Eye" 1993 im Verlag Basic Books, New York, einem durchaus seriösen New Yorker Verlag. Das Buch geht um die Rache der Polen gegen die Ostdeutschen, insbesondere um die Internierungslager für Deutsche in Schlesien in 1945 und 1946. In Deutschland sollte die Übersetzung bei Piper erscheinen, doch wurden 6,000 bereits gedruckte Bücher makuliert, weil der Verleger plötzlich kalte Füsse bekam, und das Buch erschien schliesslich beim kaum bekannten Kabelverlag in Hamburg.

Ein weiterer Skandal ereignete sich im Hause Ullstein-Propyläen, nachdem Dr. Fleissner ausgeschieden war. Der achte und letzte Band der Propyläen "Geschichte Deutschlands" war dem Historiker Karlheinz Weissmann anvertraut, und 1995 erschien der Band unter dem Titel " Der Weg in den Abgrund. Deutschland unter Hitler 1933-45". 1996 wurde das Buch in der FAZ verhältnismässig gut rezensiert. Skandalös war die Stellungnahme des Herausgebers der Buchreihe, des Koblenzer Historikers Dieter Groh, der dem Autor eindeutige " Rechtslastigkeit " vorwarf und dieses Urteil damit begündete, "es sei doch auffällig, wie emotional bewegt Weissmann über die Vertreibung der Deutschen und die Greueltaten der Roten Armee berichtet, und wie distanziert er über die Ermordung der Juden schreibt." Allerdings wird Weissman keine Falschdarstellung, kein Irrtum, keine Auslassung vorgeworfen, sondern einzig, dass nicht nach politisch korrekten “ Konsensopfern ” einerseits und deutschen Opfern andererseits sortiert wird. Nachdem etliche Bücher verkauft worden waren, wurde das Buch aus der Reihe gestrichen und die übrigen Bücher makuliert. Eine Art Buchverbrennung von einem Mainstream-Historiker angeordnet und von der Historikerzunft hingenommen. Dank Herbert Fleissner konnte dieses Werk ausserhalb der Propyläen Reihe wieder erscheinen.

Politisch-konforme Bücher und auch Machwerke werden in Amerika und in Deutschland ohne weiteres veröffentlicht, so z.B. Wolfgang Benz "Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten" , das ich übrigens für die Historische Zeitschrift rezensierte, und mehrere Auflagen bei Fischer erlangte, Manfred Messeschmidt und Fritz Wüllners Polemik "Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus", 1987 bei Nomos Verlag erschienen und von mir in der WELT rezensiert, oder Ingo Müllers "Furchtbare Juristen", 1987 bei Kindler verlegt. I der Deutschen Verlagsanstalt erschien die Dissertation von Christian Streit, "Keine Kameraden", die ich seinerzeit für die Historische Zeitschrift rezensierte und später in einem Gespräch mit seinem Doktorvater Prof. Werner Conze in Heidelberg als einseitig und mangelhaft beschrieben wurde. Auch im Fischer Verlag erschienen die reisserisch aufgemachten Titel von Ernst Klee und Willi Dressen: "Gott mit uns. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten" und "Schöne Zeiten. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer."

Zu Goldhagens Bestseller bei Siedler möchte ich nur einige kurze Bemerkungen machen. Wie Sie wissen, hat der junge Harvard Historiker versucht, seine Kritiker mit juristischen Mitteln zu intimidieren, um sie zum Schweigen zu bringen. Dr. Ruth Bettina Birn, die nur Goldhagens wissenschaftlichen und methodologischen Fehler aufgezeigt hatte, fand sie durch Androhungen und Klagen bedrängt. Sie hat es überlebt. Allerdings erkenne ich hier eine grosse Gefahr für die Historiker und für die Forschungs- und Meinungsfreiheit. Die Gefahr liegt nicht darin, dass die Kritiker einen Prozess verlieren würden. Die blosse Androhung eines Prozesses bedeutet aber, dass sich der kritische Historiker juristisch wehren muss, dass er einen Anwalt konsultieren muss, um sich eventuell sogar vor einem Gericht zu rechtfertigen. Dies kostet nicht nur Geld sondern auch viel Zeit. Zum Glück hat ein anderer amerikanischer Historiker, Prof. Norman Finkelstein, den Wind aus den Segeln Goldhagens genommen. Auch ich habe die wissenschaftlichen Mängel Goldhagens in meiner FAZ Rezension moniert, bin aber Gott sei Dank nicht deswegen juristisch belästigt worden. Interessant ist auch zu bemerken, dass Herr Goldhagen von Rundfunk und Fernsehen in Deutschland praktisch als einen Helden gefeiert wurde, und dass er sogar einen sehr gut dotierten Preis erhielt.

Der publizistische Skandal " Hitlers Willige Vollstrecker " , -- und die Art und Weise wie sich viele Historiker und Journalisten in Deutschland verhielten, erinnern mich an einen früheren Skandal in Deutschland, nämlich an den Historikerstreit von 1986-87, wo sich viele deutsche Historiker meiner Meinung nach in einer bedauernswert unehrenhaften Weise verhielten, als ihre Kollegen Andreas Hillgruber und Ernst Nolte in primitiver Weise angegriffen wurden. Ich selbst habe seinerzeit mehrere Beiträge zum Thema Historikerstreit veröffentlich, u.a. einen Artikel in "Der Welt". Interessanterweise wurde dieser Artikel zwar in einer Zusammenstellung für das Bundeskanzleramt aufgenommen. In die Piper-Sammlung, die immerhin 42 Beiträge beinhaltet, wurde er aber nicht aufgeführt. Gleichzeitig möchte ich aber den Piper Verlag dafür loben, dass er im Jahre 1993 Jörg Friedrichs " Das Gesetz des Krieges. Das Deutsche Heer in Russland " , und im Jahre 1998 das Buch von Ernst Nolte " Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte? " veröffentlichte, sowie auch die deutsche Übersetzung des Buches von Stephan Courtois " Das Schwarzbuch des Kommunismus " . Ich darf allerdings anmerken, dass sogar bei Courtois die Vertreibung der Deutschen unterdrückt wird, obwohl im einschlägigen Kapitel des Exiltschechen Karel Bartosek die Behandlung der Thematik mehr als angebracht erschien.

Erlauben Sie mir, dass ich auch einige weitere Erfahrungen erwähne. Als ich vor 27 Jahren erfuhr, dass die Akten der Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts gerade vom National Archives/Washington an die Bundesrepublik zurückgegeben worden waren, und dass sie frei zur Auswertung im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau lagen, hielt ich dies für vielleicht den bedeutensten unausgewerteten Aktenbestand aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Archivare in Freiburg waren durchaus hilfsbereit, ebenso wie die Einwohnermeldeämter, die mir halfen, mehr als 300 der Personen, die in den Akten vorkommen, zu lokalisieren und später persönlich zu befragen. Als Ende 1978 das Buchmanuskript "Die Wehrmacht Untersuchungsstelle" fertig vorlag, erhoffte ich eine Veröffentlichung bei meinem ersten deutschen Verlag, C.H. Beck in München, über den ich bereits mehr als 20,000 Exemplare meines ersten Buches " Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen " verkauft hatte. Zu meinem Erstaunen, hielt C.H.Beck das Buch für zu heikel und winkte höflich ab. Ich bot das Manuskript dann dem Oldenbourg Verlag an, der leider grössere Kürzungen verlangte. Dann ging ich zum Droste Verlag, der das Buch zunächst annahm aber das Veröffentlichungsdatum immer wieder verschieben wollte. So empfahl mir der Lektor, "Haben Sie bitte Verständnis Herr Dr. de Zayas, aber das Buch könnte wie eine Retourkutsche zum Film ‘Holocaust' missvertanden werden... wir veröffentlichen es in ein oder zwei Jahren, wenn die Konjunktur besser ist ." So ging ich ohne Konjunktur zu Fleissner, und zweiundzwanzig Jahre später liegt das Buch in seiner 7. erweiterten und aktualisierten Auflage vor.

Nachdem das Buch erschienen war, folgte allerdings keine ernsthafte Diskussion, obwohl es immerhin von 7 laufenden Metern Akten über alliierte Völkerrechtsverletzungen handelte. Es lebten seinerzeit noch Tausende Zeugen und Richter, die die Verbrechen hätten bezeugen konnten. Man hätte einen Historikersymposium wenn nicht ein Historikerstreit erwarten können. Es gab auch keine Austellung über alliierte Kriegsverbrechen, obwohl einige Hunderte Bilder und Schwarz-Weiss Filmstreifen vorlagen. Keine Aktivität seitens des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, ausser einer Einladung von Herrn Professor Messerschmidt, einen Vortrag in Freiburg zu halten. Historiker zeigten kein Interesse für weitergehende Forschungsprojekte. Sicherlich hätten zwei dutzend Dissertations- und Habilitationsthemen aus dem Buch erwachsen können.

Als ich mich beim zuständigen Referenten im Militärarchiv in Freiburg Jahr um Jahr erkundigte, wie viele Forscher den Bestand der Wehrmacht-Untersuchungsstelle benutzten, sagte mir der alte Archivar resigniert -- ein oder zwei im Jahr. An dieser Stelle könnte ich auf eine Bemerkung des Leiters des Lastenausgeleichsarchivs/Bayreuth bei einer Tagung des Instituts für Zeitgeschichte München erinnern. Er stellte fest, dass die seit einigen Jahren dort liegenden Bestände der Ost-Dokumentation (archivalische Basis der Dokumentation der Vertreibung von Th. Schieder) seit Jahren recht rege, aber fast ausschliesslich von jungen polnischen und tschechischen Historikern benutzt werden. Deutsche Historiker sehe man dort so gut wie nie.

Meine Erfahrung mit amerikanischen und britischen Verlegern war allerdings noch schlimmer als in Deutschland. Es vergingen zehn Jahre ehe ich einen Verleger für “Wehrmacht-Untersuchungsstelle” gefunden hatte -- insgesamt erhielt ich 81 Absagen. Und dies trotz exzellenten Rezensionen im American Journal of International Law, im Spiegel, in der Zeit, und sogar trotz einer zwei-stündigen ARD/WDR Fernsehdokumentation über das Buch, die 1993 in der besten Sendezeit ausgestrahlt worden war. Als das Buch endlich 1989 in der University of Nebraska Press erschien, wurde es zunächst von der amerikanischen Presse ignoriert. Allmählich setzt es sich aber durch. So wurde ich fünf Minuten von CNN live interviewt, das Buch wird immer wieder von grossen Juristen und Historikern zitiert, es wird zunehmend in den Universitäten gebraucht, und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes hat Teile davon in einer eigenen Publikation zu Lehrzwecken abgedruckt.

Nun, wie steht es heute mit den Möglichkeiten zu forschen und zu veröffentlichen? Meiner Meinung nach ist es wohl noch schwieriger geworden, als vor zwanzig Jahren. Ich darf bezweifeln, ob es mir heute gelingen würde, meine Bücher bei C.H. Beck, Ullstein oder Kohlhammer unterzubringen. Damals vor 22 Jahren lebten noch Menschen, die den Krieg miterlebt und einen Sinn für Verhältnismässigkeit hatten. Heute leben sie nicht mehr, oder sie sind im Ruhestand. Die Verlagslektoren von heute sind jüngere Menschen, die vielleicht unter Identitätsproblemen leiden. Ich möchte ihre Aufrichtigkeit nicht in Frage stellen, aber ebensowenig sie als unvoreingenommen einstufen.

Was kann ich als ausländischer Beobachter den deutschen Historikern empfehlen? Wenn es nicht zu sehr als eine Anmassung empfunden wird, würde ich den deutschen Professoren empfehlen, ihren besten Studenten politisch inkorrekte Dissertationsthemen vorzuschlagen. Themen, die die Forschung weiterbringen, die die Menschen zum Nachdenken veranlassen. Wie ich bereits sagte, liefern die Nürnberger Akten -- vor allem die Dokumente der Verteidigung -- etliche Dissertationsthemen. Es bleiben noch viele historische, soziologische, psychologische Themenkomplexe, z.B. im Bereich des Vertreibungsgeschehens, oder des Bombenkrieges, die bisher weder erforscht noch ausreichend untersucht worden sind.

Solche Forschungsprojekte sollten auch durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert werden. Mein Buch "Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle" wäre gar unmöglich gewesen, wenn es nicht als DfG-Projekt am Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen verankert gewesen wäre. Die Professoren, die das Projekt begutachtet haben, nahmen gewissermassen ein Risiko in Kauf. Hätten sie damals kalte Füsse bekommen, so wäre das Buch nicht geschrieben worden, und die vielen Zeitzeugen, vor allem Heeres-, Marine- und Luftwaffenrichter, die ich seinerzeit interviewte, wären verstorben, ohne Zeugnis abzulegen.

Somit möchte ich sagen, dass die Historiker mehr Mut zeigen müssen, mehr Risiko in Kauf nehmen sollen, denn je mehr solche Bücher geschrieben und veröffentlicht werden, umso mehr Autoren werden ermutigt, weiter zu forschen, zu veröffentlichen und sich frei zu heiklen Themen zu äussern. Es ist eben die Ausübung des Menschenrechts, das im Artikel 19 des UNO Paktes über bürgerliche und Politische Rechte formuliert wird:

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" Jeder hat das Recht auf freie Meinunsäusserung, dieses Recht schliesst die Freiheit ein... Informationen und Gedankengut jeder Art ... sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben. "

Das Recht zu forschen, nonkonforme Meinungen zu haben und zu veröffentlichen ist also ein Menschenrecht, das alle Staaten, die den UNO Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert haben, garantiern müssen, auch die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland.

Zum Schluss, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, dass ich auf ein bevorstehendes Ereignis hinweise. Wie Sie sicherlich wissen, wird in vier Tagen, am 28. November, die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944" von Jan Philipp Reemtsma in Berlin neu eröffnet.

Sicherlich wird diese Ausstellung Anlass zu vielen Fragen geben. Die alte Ausstellung scheiterte an der mangelnden wissenschaftlichen Redlichkeit. Nach vier Jahren Siegestour durch deutsche und österreichische Städte, wurde sie von den Veranstaltern zurückgezogen, denn sie wurde von deutschen und ausländischen Historikern als methodologisch inakzeptabel, einseitig, tendenziös und voll von gravierenden Fehlern, internen Widerspruchen und falschen Exponaten entlarvt. Ich würde es sogar einfacher sagen: sie war wohl keine wissenschaftliche Ausstellung, sondern ein blosses Produkt des Zeitgeistes und Folge einer verfehlten Konzeption. Sie hat jenes universale Prinzip missachtet, wovon wir schon geredet haben:

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Audiatur et altera pars. Aber nur wegen des heutigen Zeitgeistes konnte diese Ausstellung vier jahre überleben, bis sie einfach unerträglich wurde.

Rüdiger Proske, engagierter Sozialdemokrat, Wissenschaftsjournalist, ehmaliger Redaktor bei den “Frankfurter Heften”, jahrerelang Programmchef des NDR-Fernsehens, Verantwortlicher für das Fernsehmagazin “Panorama”, schrieb mehrere denkwürdige Streitschriften über die Ausstellung, wie z.B. “Wider den Missbrauch der Geschichte deutscher Soldaten zu politischen Zwecken”, die im Verlag v. Hase & Koehler erschienen. Ein anderer Kritiker, Meinrad von Ow, der von 1999 bis heute drei Broschüren zur Ausstellung veröffentlichte, monierte bereits am 19. September 1997 in einem Artikel unter dem Titel “Wehrmachtausstellung mit falchen Bildern?” erschienen im Rheinischen Merkur : “Drei Fotos der Ausstellung (im Katalog, Abschnitt “Genickschuss” S. 205, Nr. 29-31) mit deutschen Soldaten neben einem Leichenfeld sollen dort Verbrechen der Wehrmacht in der Ukraine dokumentieren. Sie zeigten dieselbe Situation wie die Bilder von Seite 337 im Ullsteinbuch 33080 “Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle” des amerikanischen Historikers Professor A. de Zayas mit der Unterschrift ‘ermordete Volksdeutsche und Ukrainer in Zloczow”. Erst zwei Jahre später waren es der polnische Historiker Bogdan Musial und der ungarische Historiker Krisztián Ungváry, die wegen diesen und anderen nachweislich falsch bezeichneten Bildern die Ausstellung zum Fall brachten (Spiegel 45/1999). So schrieb der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München, Prof. Dr. Horst Möller in einem Artikel in der FAZ vom 3. Januar 2000 über diese “Nachweise über fundamentale Fehler, vor allem die Behauptung von Verbrechen der Wehrmacht durch Fotos, die tatsächlich Opfer der sowjetischen Geheimpolizei NKWD zeigen. Klarer hätte die Notwendigkeit der Quellenkritik nicht demonstriert werden können. Aber muss man seine eigenen Lernprozesse der Öffentlichkeit zumuten? Und hier beginnt das Problem: Eine vorgefasste Meinung wird ohne handwerkliche Kenntnissse und Sorgfalt umgesetzt. Eine Wissenschaft, die darauf verzichtet, handwerklich sauber und exakt zu arbeiten, ist keine Wissenschaft, sondern beliebiges Meinen. Erschreckend nur, dass offenbar viele glauben, ohne diese notwendigen Voraussetzungen mitreden zu können. Sie berufen sich fälschlich auf das Grauen des Gegenstandes. Sie meinen, um sich ein Urteil benden, genüge es, sich empören zu können.”

Diese alte Ausstellung wollte die Verwerflichkeit der Wehrmacht zeigen. Und gewiss hat die Wehrmacht viele Verbrechen begangen, wie in den Nürnberger Prozessen ausreichend nachgewiesen und in etlichen soliden historischen Werken wie Andreas Hillgrubers Buch “Hitlers Strategie”, veröffentlicht bereits in 1965. Diese sonderbare Ausstellung dokumentierte vielmehr eine merkwürdige Menschenverachtung der Veranstalter, eigentlich eine Infamie gegen die Ehre der Toten und noch lebenden Soldaten des Zweiten Weltkrieges. Die Veranstalter begingen nicht nur Geschichtsklitterung, sondern eine Verletzung der Menschenwürde von Millionen von Soldaten, einschliesslich Hitlergegnern und Widerstandskämpfern, die notwendigerweise durch die pauschale Diffamierung der Wehrmacht getroffen wurden und werden.

Als ich die alte Ausstellung 1997 in München sah, schrieb ich in einem kritischen Aufsatz dazu: "Die Ehre eines Menschen ist ein wichtiger Wert, den die Gesellschaft schützen muss. Jede demokratische Verfassung basiert auf der Achtung der Menschenwürde. Auch Verbrecher haben menschliche Würde und den Anspruch darauf, gerecht behandelt zu werden. Wer ein Verbrechen begangen hat, soll dafür büssen. Aber nachdem der Mensch seine Schuld an die Gesellschaft bezahlt hat, muss er in Ruhe gelassen werden. Eine ewige Verfolgung und dauernde Schuldzuweisung verletzt die Menschenwürde, verstösst gegen die christliche Nächstenliebe und unseren Glauben, dass die Sünde vergeben wird."

In das Buch der Veranstalter, das für die Kommentare der Besucher im Foyer der Ausstellung auslag, schrieb ich:

"Diffamierung und üble Nachrede verletzen die Menschwenwürde. Artikel 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte besagt: 'Niemand darf ... rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.' Eine pauschale Diffamierung der Wehrmacht stellt eine Verletzung dieses Menschenrechtes dar, nicht nur gegenüber den ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und ihrer Familien, sondern auch gegenüber allen Deutschen der Kriegsgeneration."

Dazu stehe ich heute noch, denn Schuld und Unschuld sind individuell -- nicht kollektiv. Ob nun die neue Ausstellung wirklich den Ansprüchen der Wissenschaft und des Anstands entsprechen wird? Ob sie die historischen Fakten im richtigen Zusammenhang bringt, Ursache und Folgen richtig einordnet, individuelle Verbrechen als solche darstellt und nicht pauschaliert? Werden nur Dokumente der Anklage gezeigt, oder auch Dokumente der Verteidigung? Wird die Wehrmachtgerichtsbarkeit zum Schutz der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten berücksichtigt? Zeigt man nur Dokumente, oder ist man auch bemüht, Oral-History zu betreiben, und auch die Zeugnisse der betroffenen Soldaten zur Kenntnis zu nehmen? Nach dem Eingeständnis der Ausstellungsmacher, die 1999 selbst einen “ausserordentlichen Glaubwürdigkeitsverlust” beklagten (Spiegel 45/1999), ist es kaum zu glauben, dass dasselbe Reemtsma Institut meint, die nun angeblich saubergemachte Ausstellung der Öffentlichkeit zumuten zu können. Diesmal werden wahrscheinlich die von Prof. Möller monierten handwerklichen Fehler nicht mehr vorhanden sein. Es ist aber zu befüchten, dass die einseitige Behandlung des Themas bleiben wird, wie sich im Titel der Ausstellung manifestiert. Man muss stets daran erinnern, dass es sich um Verbrechen von individuellen Wehrmachtsangehörige und um einige Hitlererlasse und verbrecherische Befehle, wie der Kommissar-Befehl. Um sich ein Urteil über die Wehrmacht als Institution bilden zu können

muss man das Gesamtbild haben, sowie auch den Kontext, einschliesslich die notwendige Information über die Kriegführung der anderen Streitkräften im zweiten Weltkrieg. Es geht dabei nicht um Relativieren sondern um Verstehen.

Freilich, wie wir alle wissen, dienen solche Ausstellungen vornehmlich volkspädagogischen, politischen und weniger geschichtswissenschaftlichen Funktionen. Und, wenn es so ist, darf man sich auch die Frage erlauben, ob und wann andere mögliche Ausstellungen geplant werden? Etwa über Exzesse und andere Kriegsverbrechen in unserer Zeit, die eventuell noch zu bändigen sind. Etwa über Verbrechen der Russischen Armee in Tschechenien, Verbrechen der NATO in Jugoslawien, Verbrechen im Afghanistankrieg.

Meine Damen und Herren, zum guten Schluss, erlauben Sie mir, dass ich mich für die heute mir erwiesene Ehrung sehr herzlich bedanke. Ich nehme diese Ehrung in Demut und Optimismus an -- aber nicht als blosse Anerkennung für das bisher Geschriebene, sondern vielmehr als eine Herausforderung und Ermutigung, weiterhin zu forschen und zu veröffentlichen. Ich verspreche dies zu tun, so lang der liebe Gott mir Kraft dazu schenkt. Ich werde es nicht im Sinne des heutigen Zeitgeistes -- sondern im Sinne der wissenschaftlichen Redlichkeit und meines Gewissens tun.

Hoffen wir alle, dass, wenn die vielen ungestellten Fragen zur Zeitgeschichte redlich gestellt und redlich beantwortet werden, sich der Zeitgeist wandeln wird, die Geschichtschreibung wieder von einem Objektivitätsanspruch geleitet wird, die Quellenforschung unvoreingenommen praktiziert wird, und der Historiker im Sinne Leopold von Rankes in aller Aufrichtigkeit zeigen wird, "wie es eigentlich gewesen" sei.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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