Publications
Ex Tempore
pen club
Photos
Links
Guestbook

English Spanish Franch German
Vae victis (Livius)
Woe to the vanquished! History, v., xlviii,9

 
Home / Books / Lectures and speeches / DIE WEHRMACHT UND DAS VOELKERRECHT


 

 

DIE WEHRMACHT UND DAS VOELKERRECHT

Hamburg, den 27. Februar 2004 Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e.v., VORTRAG von Professor Dr.iur.et phil. Alfred de Zayas, Genf

Einleitung

Die Reemtsma Ausstellung wird Ende März 2004 nach neun Jahren auf Tournee schliessen. Ich habe die erste Version der Ausstellung 1997 besucht, und die zweite erst gestern.

Mit Recht wurde die erste wegen der unsäglichen handwerklichen Mängel kritisiert und schließlich zurückgezogen. Ich konstatiere, dass bei der zweiten Ausstellung viele dieser handwerklichen Fehler beseitigt wurden, jedoch blieb die unwissenschaftliche, pauschalierende Tendenz.

Wir wissen alle, dass Wehrmachtsoldaten Kriegsverbrechen begangen haben. Dies war und ist nichts neues und war in etlichen Kriegsverbrecherprozessen der 40er, 50er und 60er Jahren bewiesen und in wissenschaftlichen Büchern ausreichend dokumentiert.

Darum war diese Ausstellung wissenschaftlich nicht nötig. Sie verfolgte m.E. ein anderes Ziel: nämlich die Wehrmacht als Institution zu desavouieren. Viele Tausende haben die Ausstellung besucht, vor allem Schulklassen. Man weiß nicht, wie viel Schaden die Ausstellung verursacht hat.

Pietätlos war sie allemal. Denn sie bedeutete eine schwere Missachtung der anständigen Soldaten - der gefallenen, der inzwischen verstorbenen und der noch lebenden.

Beide Ausstellungen pauschalieren und verallgemeinern, um den Eindruck zu vermitteln, dass die Wehrmacht als solche eine verbrecherische Organisation war, und dass die 18 Millionen Soldaten, die in der Wehrmacht dienten, direkt oder indirekt in Verbrechen verwickelt waren.

Dies ist einfach unwahr und unhistorisch. Der Ausstellung gelingt es auch nicht, dies zu beweisen. Jedoch bleibt immer etwas haften, und die Diffamierung der Soldaten der Wehrmacht und eigentlich der gesamten Kriegsgeneration wird eine Zeitlang weiter wirken.

Die Ausstellung hätte eine wissenschaftliche Bedeutung erlangt, wenn sie bemüht gewesen wäre, ein umfassendes Bild des Krieges zu vermitteln, mit allen notwendigen Zusammenhängen, Untersuchung der Ursachen und Folgen, und auch im Vergleich mit dem völkerrechtlichen Verhalten der anderen Kriegsparteien.

Nach dem Prinzip "audiatur et altera pars" hätte der Besucher erwarten können, dass die Ausstellung dafür gesorgt hätte, die Stimmen von Wehrachtangehörigen zu hören, sowohl im Allgemeinen als auch zu präzisen Kriegsverbrechen, und auch zur Frage des Widerstandes gegen Hitler, gegen den Kommissarbefehl, gegen den Gerichtsbarkeitserlass, über die Einhaltung der "Zehn Geboten" des deutschen Soldaten, über die Rechtsprechung der Deutschen Militärgerichte zum Schutze der Zivilbevölkerung in der Ukraine, in Russland, in den baltischen Staaten, Stellungnahmen als "oral history", Auswertung der reichen Memoirenliteratur.

Und um ein vollständiges Bild zu vermitteln, hätte man gehofft, dass die Ausstellung den Besuchern ermöglicht hätte, die deutschen Verbrechen im Zusammenhang mit den Verbrechen der Partisanen und der Roten Armee zu sehen - sowohl quantitativ als auch qualitativ.Man hätte auf die 226 Aktendbände der Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts hinweisen können, die jedem Forscher frei zur Verfügung stehen, und zwar im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau. Man hätte die WDR-Sendung vom März 1983 "Kriegsverbrechen im Osten aus den Akten der Wehrmacht Untersuchungsstelle" in Video zeigen können.

Dieser Film hätte dem Besucher ermöglicht, näheres über Verbrechen der Rotarmisten und der Partisanen zu lernen, und zwar von ersten Tage des Krieges, z.B. über die Ermordung und Verstümmelung von etwa 180 deutsche Kriegsgefangene Wehrmachangehörige am 1. Juli 1941 auf der Strasse Klewan-Broniki in der Ukraine, über die Ermordung von etwa 160 schwerverwundete deutsche Soldaten im Kriegslazarett Feodosia im Dezember 1941, über die Ermordung von 596 Kriegsgefangenen, Lazarettinsassen, Krankenschwestern und Nachrichtenhelferinnen am 10. Februar 1943 in Grischino. Auch die NKWD Verbrechen an mehr als 10,000 Ukrainer in Lemberg und an 15,000 polnischen Kriegsgefangenen in Katyn werden dokumentiert.

Dies hätte dem Besucher ein unfassenderes Verständnis ermöglicht.

So hat die Ausstellung versagt, und ihre These bleibt unbefriedigend, denn hier wird durch den fehlenden Gesamtzusammenhang nur eine Karikatur der Wehrmacht geboten.

Eine These wird bebildert, nämlich dass die Wehrmacht eine verbrecherische Organisation war. Hier wird nicht wissenschaftlich gearbeitet, in der Suche nach Wahrheit, um alle Seiten und Zusammenhänge gerecht zu präsentieren, um so zu einem umfassenden Bild zu gelangen.

Um den Schaden zu beheben, der von dieser pauschalierenden Ausstellung verursacht wurde, möchte ich vorschlagen, dass nunmehr wissenschaftlich fundierte Ausstellungen über Kriegsverbrechen veranstaltet werden, über den Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung in Deutschland und Japan, über die Vertreibung der Deutschen, und auch über Kriegsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich in Vietnam, in Afghanistan, in Tchechenien, im ehemaligen Jugoslawien und in den beiden Golf-Kriege.

Meine Damen und Herren.

Nach dieser Einleitung erlauben Sie mir, auf die völkerrechtlichen Grundlagen des Zweiten Weltkrieges und des Partinsanenkrieges zu sprechen kommen, und zwar auf den Stand des Kriegsvölkerrechts im September 1939, als der Zweiter Weltkrieg anfing.

DIE VÖLKERRECHTLICHEN GRUNDLAGEN DES ZWEITEN WELTKRIEGES UND DES PARTISANENKRIEGES

Alfred de Zayas [01]

Das Kriegsrecht ist ein Teil des Völkerrechts. Seine Quellen sind Konventionen und Brauchtum. [02]

Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges galten die Haager Konventionen von 1907, insbesondere die Haager Landkriegsordnung mit ihren 56 Artikeln und das Genfer Abkommen von 1929 über die Behandlung von Kriegsgefangenen mit seinen 97 Artikeln. [03]

Das deutsche Reich war Vertragspartei zu diesen Konventionen und daher gebunden. Die meisten Alliierten Mächte waren ebenfalls Vertragsparteien und haben neutrale Staaten wie die Schweiz und Schweden als Schutzmacht genannt. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz betreute sowohl die alliierten Kriegsgefangenen in Deutschland als auch die deutschen bzw. österreichischen und italienischen Kriegsgefangenen bei den Alliierten. [04] Ohne Zweifel hat das Rote Kreuz viel dazu beigetragen, das Leiden der Kriegsgefangenen zu lindern und zwar auf allen Seiten. Dank dem Roten Kreuz und der Einhaltung der Konvention sind nur wenige amerikanische, britische und französische Kriegsgefangene in deutscher Hand verstorben. Auch verstarben nur wenige deutsche Kriegsgefangene in westalliierter Hand bis zur Kapitulation. Allerdings haben die Westalliierten nach dem 8. Mai 1945 die deutschen Kriegsgefangenen nicht mehr gemäß der Konvention behandelt, trotz Protesten seitens des Roten Kreuzes, und sehr hohe Menschenverluste sind danach eingetreten.

Was die Sowjetunion betrifft, hatte sie sämtliche zaristischen völkerrechtlichen Verträge und somit auch die Haager Konventionen [05] gekündigt und das Genfer Abkommen von 1929 nie ratifiziert. [06]

Die Frage der Gültigkeit des Kriegsrechts zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich wurde seinerzeit viel diskutiert, zumal das Völkerrecht auf Gegenseitigkeit beruht. Vertragsverpflichtungen bestehen zwischen Vertragsparteien, weil sie beide gebunden sind. Wenn ein Staat eine Konvention ratifiziert, der andere aber nicht, so besteht zwischen diesen Staaten keine formelle Verpflichtung. Und wenn beide Staaten Vertragsverpflichtungen haben, eine Partei aber gegen Geist und Buchstaben des Vertrages verstößt, so kann die andere Partei aus diesem Grunde das Vertragswerk kündigen. [07]

Dies wird in der Wiener Vertragsrechtskonvention ausführlich in den Artikeln 54 bis 62 festgehalten und begründet.

Außerdem gibt es im Artikel 2 der 4. Haager Konvention von 1907 die sog. si omnes Klausel. D.h. die Konvention gilt nur dann, wenn sich alle Parteien beteiligen. Art. 2 besagt: „Die Bestimmungen der im Artikel 1 angeführten Ordnung sowie des vorliegenden Abkommens finden nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung und nur dann, wenn die Kriegsführenden sämtlich Vertragsparteien sind.“

Für Positivisten, die das Völkerrecht mathematisch und kalt anwenden, gab es zwischen dem deutschen Reich und der Sowjetunion überhaupt keine Verpflichtungen aus den Konventionen. Diese Vorstellung wurde allerdings von der Anklage in Nürnberg abgelehnt. Und im Jahre 1949 wurde die sog. si omnes Klausel im Art. 2 der Genfer Konventionen von 1949 expressis verbis verworfen.

Schließlich gibt es, was man „Völkergewohnheitsrecht“ nennt  -gewissermaßen ein Mindeststandard für die Kriegsführung- zwingendes Völkerrecht auf minimaler Ebene.

Dazu würden zählen vor allem die Bestimmungen vom Artikel 1 über den Kombattantenstatus, Art. 4-9 über den Kriegsgefangenenstatus, Art. 23 über das Verbot der Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen, die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres, Artikel 25 über das Verbot des Angriffes auf unverteidigte Städte, Dörfer und Wohnstätten sowie Art. 42-56 über die kriegerische Besetzung.

In der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ werden u.a. Bilder von der Hinrichtung von Partisanen gezeigt.

Nun, wie ist der Partisanenkrieg zu beurteilen? Und zwar nicht anachronistisch, mit den Augen von 2004 und in Hinblick auf die Genfer Konventionen von 1949 und auf die Protokolle von 1977, sondern zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Welche völkerrechtlichen Normen galten am 22. Juni 1941?

Art. 1 der Haager Landkriegsordnung besagt: „Die Gesetze, die Rechte und die Pflichten des Krieges gelten nicht nur für das Heer, sondern auch für die Milizen und Freiwilligen Korps, wenn sie folgende Bedingungen in sich vereinigen:

  1. daß jemand an ihrer Spitze steht, der für seine Untergebenen verantwortlich ist.
  2. daß sie ein bestimmtes aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen,
  3. daß sie die Waffen offen führen und
  4. daß sie bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges beachten.

Dieses sind also die Merkmale eines Kombattanten. [08] Fehlen diese Merkmale, so bewegte sich der Kämpfer außerhalb des Völkerrechts und hatte keinen Anspruch auf Schutz bzw. auf Kriegsgefangenenstatus.

Im Ersten und Zweiten Weltkrieg galt die Regel, daß nur Kombattanten im Sinne des Artikel 1 der Haager Landskriegsordnung sich an Kriegshandlungen beteiligen durften. Alle anderen Kämpfer -Freischärler, Guerillas, Partisanen-  konnten nach dem damals geltenden Völkerrecht als Kriminelle behandelt werden.

So haben alle Kriegsführende im Ersten und Zweiten Weltkrieg verfahren. Deutsche Soldaten, die an Kommandounternehmen beteiligt waren, sind nach der Gefangennahme von alliierter Seite mehrfach als Spione behandelt und erschossen worden. Das Bundesarchiv in Koblenz und die National Archives in Washington enthalten genügend Bilder von der Erschießung von sehr jungen deutschen Kämpfern so -genannten Werwölfen-  die von den Amerikanern als Spione noch Wochen nach der Kapitulation erschossen wurden.

Die Beteiligung der Zivilbevölkerung an Kriegshandlungen wird im Art. 2 der Haager Landkriegsordnung geregelt: „Die Bevölkerung eines nicht besetzten Gebiets, die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antriebe zu den Waffen greift, um die eindringenden Truppen zu bekämpfen, ohne Zeit gehabt zu haben, sich nach Artikel 1 zu organisieren, wird als kriegführend betrachtet, wenn sie die Waffen offen führt und die Gesetze und Gebräuche des Krieges beachtet.“

Die sog. levée en masse [09] ist selten vorgekommen, denn die Voraussetzung ist, daß sich die Bevölkerung massiv und sofort wehrt, wenn der Feind versucht, das Gebiet zu besetzen. Nachdem das Gebiet besetzt wird, kann es keine levée en masse im Sinne vom Artikel 2 der Haager Landkriegsordnung geben.

Was lernen wir vom Nürnberger Prozeß?

In Nürnberg wurde die Wehrmacht angeklagt, eine sog. verbrecherische Organisation gewesen zu sein. Bekanntlich wurde sie im Urteil [10] eben nicht verurteilt. Manche behaupten heute, sie hätte verurteilt werden müssen, aber das Siegergericht hat nicht so entschieden. Als verbrecherische Organisationen wurden die Gestapo, der Sicherheitsdienst und die SS verurteilt. In gewissem Sinne stellvertretend für die Wehrmacht als Ganzes wurden OKW-Chef, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, und der Chef des Wehrmachtsführungsstabes, Generaloberst Alfred Jodl, bezichtigt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. [11] Sie wurden zum Tode verurteilt und am 16. Oktober 1946 durch den Strang hingerichtet. [12]

Nun hatte die Wehrmacht drei Teile: Heer, Marine und Luftwaffe. Was die Luftwaffe betrifft, haben die Sieger davon abgesehen, sie anzuklagen, wahrscheinlich im Hinblick auf die Terrorbombardierung deutscher Städte durch angloamerikanische Bomberverbände und vielleicht auch wegen der zweifelhaften Legalität der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki. Zwar wurde Reichsmarschall Hermann Göring angeklagt und zum Tode verurteilt, jedoch nicht wegen Verbrechen seiner Luftwaffe. Stellvertretend für die Marine wurden die Großadmiräle Erich Raeder (lebenslänglich) und Karl Dönitz (10 Jahre) verurteilt.

Weitere Angehörige der Wehrmacht kamen vor andere alliierte Tribunale. Gemäß Kontrollratgesetz Nr. 10 haben die Vereinigten Staaten Zwölf Nachfolgeprozesse in Nürnberg durchgeführt, u.a. gegen Generalfeldmarschall Erhard Milch (Fall II, Urteil vom 17.4.1947, lebenslänglich, in 15 Jahre umgewandelt), gegen die Südostgeneräle (Fall VII, Urteil von 19.2.1948), bei welchem Generalfeldmarschall Wilhelm List zu lebenslänglicher und General Lothar Rendulic zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, während die Generäle Hermann Förtsch und Kurt von Geitner freigesprochen wurden, und gegen das Oberkommando der Wehrmacht (Fall XII, Urteil vom 27. Oktober 1948) bei welchem die Generäle Walter Warlimont und Hermann Reinecke zu lebenslänglicher Haft verurteilt, während Hugo Sperrle und Otto Schniewind freigesprochen wurden.

Es folgten auch Prozesse vor französischen und britischen Tribunalen, etwa der Prozeß 1949 in Hamburg gegen Feldmarschall Erich von Manstein vor einem britischen Militärtribunal, bei welchem Manstein zu 12jähriger Haftstrafe verurteilt wurde. [13]

Wie bereits erwähnt, gab es Verurteilungen, aber auch zahlreiche Freisprüche. In der Tat liefern diese Kriegsverbrecherprozesse nicht nur den Beweis für Verletzungen der Haager und Genfer Konventionen, sondern auch den Beweis für die Einhaltung dieser Konventionen sowie auch den Beweis ehrenvollen Kriegsdienstes bei der Masse der Angehörigen des Heeres, der Marine und der Luftwaffe.

Bisher haben Historiker überwiegend auf die deutschen Verletzungen des Kriegsrechtes abgestellt, und dabei die Verteidigungsdokumente ignoriert. Die Nürnberger Akten stellen jedoch eine ungeheuere historische Quelle dar sowohl für die Verletzungen als auch für die Einhaltung der Konventionen.

Bekanntlich hatte jeder deutsche Soldat die „Zehn Gebote“ zur Kriegsführung bei sich im Soldbuch. Dies wurde mehrfach im Nürnberger Prozeß erwähnt. Die Verteidigung hat auch beweisen können, daß in den ersten Kriegsjahren die Wehrmacht nachweislich bemüht war, die Haager und Genfer Konventionen einzuhalten. So sagte der Verteidiger Görings, Dr. Otto Stahmer, am 5. Juli 1946 in seinem Plädoyer:

„Gerade anfangs war man bemüht, den Kampf mit Anstand und Ritterlichkeit zuführen. Bedarf es dafür eines Beweises, so genügt ein Blick in die Vorschriften, die das OKW für das Verhalten der Truppe in Norwegen, Belgien und Holland herausgegeben hat. Und ferner: Dem Soldaten wurde beim Ausrücken ins Feld in seinem Soldbuch ein Merkblatt ‚Zehn Gebote für die Kriegsführung des deutschen Soldaten' mitgegeben [...] Sie alle verpflichteten den Soldaten zu loyalem und völkerrechtsgemäßem Verhalten. Eine Verschwörerbande an der Spitze des Staates, die den Plan hat, einen Krieg ohne Rücksicht auf Recht und Moral zu führen, wird doch wahrhaftig nicht ihre Soldaten mit einem detaillierten schriftlichen Befehl, der das Gegenteil gebietet, in das Feld hinausschicken.“ [14]

So sagte Jodl am 4. Juni 1946 in Nürnberg aus: „Ich habe das Völkerrecht als eine selbstverständliche Voraussetzung einer gesitteten Kriegsführung gekannt und geachtet. Die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konvention lagen nahezu ständig auf meinem Schreibtisch. Durch meine Stellungnahme zum Kommissarbefehl, zu der Lynchjustiz, zu der Absicht, aus der Genfer Konvention auszutreten -was alle Oberbefehlshaber, alle Wehrmachtsteile und das Auswärtige Amt schroff ablehnten- glaube ich bewiesen zu haben, daß ich bemüht war, soweit es mir möglich war, mich an das Völkerrecht zu halten.“ [15]

Ferner wurde auf das Dokument 440-PS, Beweisstück GB-107, „Weisung Nummer 8 für die Kriegsführung“ vom 20. November 1939 durch Jodls Verteidiger hingewiesen. Da heißt es: „Ortschaften, insbesondere große offene Städte und die Industrien sind ohne zwingende militärische Gründe weder im holländischen noch im belgisch-luxemburgischen Raum anzugreifen“ Gezeichnet Keitel. [16]

Näheres erfahren wir in den Nürnberger Akten, vor allem in bisher nicht veröffentlichten Dokumenten der Verteidigung. Z.B. legte Dr. Hans Laternser, Verteidiger des OKW , dem Nürnberger Gericht 3.186 eidesstattliche Erklärungen von Offizieren und Zeugen vor. Diese illustrierten und erklärten das Verhalten der Wehrmacht in etlichen Situationen, etwa bezüglich der Behandlung der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten, der Versorgung der Kriegsgefangenen, des Bandenkrieges, Repressalien [17] und der Rechtssprechung der Militärgerichtsbarkeit. [18] Leider sind nur sehr wenige dieser Dokumente in den 18 Dokumentenbänden der Veröffentlichung des Nürnberger Prozesses enthalten. Die Originale befinden sich im Friedenspalast in Den Haag, wo die übrigen Nürnberger Originalakten aufbewahrt werden. [19]

Geiselerschießungen

Geisel- und Repressalienbräuche im Ostfeldzug waren zwar verbreitet und verheerend. Jedoch waren sie nicht immer völkerrechtswidrig. Erst ein Jahr nach dem Nürnberger Geiselprozeß (Fall 7) bzw. nach dem sog. OKW-Prozeß (Fall 12) wurden sie in der Genfer Zivilschutzkonvention (4. Rotkreuz Konvention vom August 1949) weitgehend untersagt. Allerdings muß dabei bemerkt werden, daß während des Zweiten Weltkrieges Geiselerschießungen nicht nur durch die Deutschen sondern durch alle kriegsführenden Parteien praktiziert wurden.

Dabei soll unterschieden werden zwischen Vergeltungsaktionen an Kriegsgefangenen und Zivilpersonen. Während des Zweiten Weltkrieges waren Vergeltungsaktionen an Kriegsgefangenen in Artikel 2 der Genfer Konvention von 1929 untersagt. Allerdings war die Sowjetunion keine Vertragspartei zu dieser Konvention. Vergeltungsaktionen an Zivilpersonen waren nicht untersagt und wurden von allen Seiten praktiziert.

Das Urteil im sog. Geiselprozeß oder Prozeß gegen die Südostgeneräle ist einschlägig. Dort erklärte das Gericht in bezug auf die Geiseln [20] , die aus der Zivilbevölkerung entnommen und als Vergeltung für Gewaltakte gegen die Besatzungsarmee hingerichtet wurden:

„Die Idee, daß ein unschuldiger Mensch für die verbrecherische Handlung eines andern getötet werden kann, ist unvereinbar mit jeder natürlichen Rechtsauffassung. Wir verurteilen die Ungerechtigkeit einer solchen Auffassung als ein barbarisches Überbleibsel aus alten Zeiten. Es ist jedoch nicht unsere Aufgabe Völkerrecht zu schaffen, wir müssen es anwenden wie wir es vorfinden.
Eine Prüfung des einschlägigen Beweismaterials überzeugt uns, daß Geiseln verhaftet werden können, um die friedfertige Haltung der Bevölkerung der besetzten Gebiete zu gewährleisten. Sie können auch im Falle des Vorliegens gewisser Umstände nach den notwendigen Vorbereitungen erschossen werden, wenn kein anderes Mittel hilft. Die Festnahme von Geiseln basiert grundsätzlich auf der Theorie der Kollektivverantwortlichkeit [... ] Die Besatzungsmacht kann mit vollem Recht auf Einhaltung ihrer Bestimmungen bestehen, die für die Sicherheit der Besatzungsmacht und für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung erforderlich sind. Um dieses Ziel zu erreichen, kann die Besatzung Geiseln verhaften und hinrichten lassen, jedoch nur als äußerstes Mittel.“ [21]

Aber auch wenn Geiselerschießungen nicht verboten waren, sollten sie nicht gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen. So wurde während des Zweiten Weltkrieges allgemein akzeptiert, daß für einen völkerrechtswidrig getöteten Soldaten zehn Geiseln als Repressalie getötet werden konnten. Eine Erschießung von 100 Geiseln würde das kriegsrechtliche Prinzip der Proportionalität sprengen und somit völkerrechtswidrig sein.

Der wichtigste Anklagepunkt im Geiselprozeß war die Verantwortlichkeit der deutschen Generäle für die ohne Rechtsbasis durchgeführte Tötung von vielen Tausenden von jugoslawischen und griechischen Zivilisten. Viele dieser Menschen wurden aufgrund eines Befehls von Generaloberst Maximilian Frhr. von Weichs umgebracht, nachdem für einen von Partisanen getöteten deutschen Soldaten einhundert Zivilisten als „Geiseln“ hingerichtet werden sollten. Bei anderen Gelegenheiten wurden alle Einwohner von bestimmten Dörfern, in deren Nähe eine Partisanenaktion vorgekommen war, getötet und ihre Dörfer niedergebrannt. [22]

Im Prozeß wurde nachgewiesen, daß eine Reihe Geiselerschießungen als völkerrechtswidrig anzusehen waren, denn sie verletzten das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Darum wurden Feldmarschall List und General Kunze zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt. Fünf weitere Generäle erhielten von sieben bis zwanzig Jahren Gefängnis. Generaloberst Rendulic wurde gleichfalls zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Die beiden Angeklagten, die als Stabschefs gedient hatten, nämlich General Förtsch und Generalmajor Geitner, wurden von allen Anklagepunkten freigesprochen, obwohl beide einige der kriminellen Befehle, die zu den Greueltaten führten, gekannt und weitergegeben hatten. Das Gericht begründete den Freispruch damit, daß sie keine Befehlsgewalt gehabt hätten und daß auch Beweise für ihre persönliche Verantwortung fehlten.

Es ist auch wichtig festzustellen, daß Strafexekutionen und Geiselerschießungen nicht systematisch oder zwangsläufig waren. So sagte Generalleutnant Otto Heidkämper, Generalstabschef der 3. Panzerarmee, aus: “Bei Gewalt- oder Greueltaten der Banditen sind in keinem Fall durch das Oberkommando der 3. Panzerarmee Strafexekutionen über die Bevölkerung verhängt oder Geiseln festgesetzt worden. Vielmehr ist die Truppe wiederholt schriftlich darauf hingewiesen, daß die in Frontnähe und in bandengefährdeten Räumen wohnende Bevölkerung, die häufig um deutsche Hilfe bat, mit den Banditen nichts gemein habe und deshalb bei Bandenunternehmungen mit Hab und Gut und ihren Leben zu schonen sei.“ [23]

Der Bandenkrieg

Anlaß für die Geiselerschießungen waren meistens vorangegangene Aktionen der Partisanen. Zur Frage ob Partisanen und Freischärler das Recht von kämpfenden Truppen für sich in Anspruch nehmen könnten, antwortete das Urteil im Fall 7: „Ebenso, wie ein Spion im Interesse seines Landes rechtmäßig handeln mag, zur gleichen Zeit aber vom Feinde als Kriegsverbrecher angesehen werden kann, so kann auch ein Freischärler seinem Lande große Dienste erweisen und im Erfolgsfalle sogar ein Held werden, jedoch für den Feind ein Kriegsverbrecher sein und als solcher behandelt werden. Anders kann sich keine Armee vor der Stechfliegentaktik solcher bewaffneter Widerständler schützen. Auf der anderen Seite müssen Mitglieder dieser Widerstandsgruppen die mit dieser Art des Kampfes verbundenen zusätzlichen Gefahren auf sich nehmen. Solche Gruppen sind rein technisch gesehen keine kämpfenden Truppen im rechtlichen Sinne und haben kein Anrecht auf die Schutzregeln für Kriegsgefangene […] Wir glauben, daß der Grundsatz feststeht, daß ein Zivilist, der an Kämpfen teilnimmt, sie unterstützt oder sonst fördert, sich der Bestrafung als Kriegsverbrecher im Rahmen des Kriegsrechts aussetzt. Kampf ist rechtmäßig nur für die kämpfenden Truppen eines Landes. Nur sie können fordern, als Kriegsgefangene behandelt zu werden.“ [24]

Das Gericht stellte ferner fest:

„Die Verhandlung hat überzeugendes Beweismaterial dafür ergeben, daß gewisse Bandeneinheiten in Jugoslawien und Griechenland den Erfordernissen des Völkerrechts entsprachen und dadurch ein Recht auf die anerkannte Stellung einer kämpfenden Truppe erwarben. Der größere Teil der Partisanenbanden ordnete sich jedoch dem Kriegsrecht nicht unter, was ihnen eine anerkannte Stellung als Kriegsführende eingetragen hätte. Das Beweismaterial hat über einen vernünftigen Zweifel hinaus nicht ergeben, daß die Vorfälle im vorliegenden Falle solche Partisanentruppen betrafen, die anerkannter Maßen als Kriegführende anzusehen sind.“ [25]

Obwohl es in den verschiedenen Nürnberger Prozessen den Angeklagten im Prinzip nicht erlaubt war, auf völkerrechtswidriges Verhalten der Siegermächte hinzuweisen, konnte nicht immer verhindert werden, daß die Zeugen oder die Angeklagten darauf Bezug nahmen, als sie eine bestimmte Frage erläuterten. So erklärte General der Infanterie Walther Hahm am 23. Juni 1946: „Ein Ausrottungsbefehl der 4. Armee gegen die Banden bzw. Partisanen ist mir nicht bekannt. Im Gegenteil wurden auf Grund von Befehlen vorgesetzter Dienststellen damals die gefangenen Partisanen entweder den Gefangenenlagern zugeführt oder als Arbeitsabteilungen verwendet. Im Sommer 1942 wurde der 260. Division, die ich damals führte, eine bei gefangenen Partisanen gefundene Vorschrift über deren Kampfweise eingeliefert. Sie enthielt ins einzelne gehende genaue Anweisungen über Überfälle auf Stäbe, Gefechtsstände, Transporte, Ortschaften, ferner Befehle für Beseitigung russischer Landeseinwohner, die nicht mit Partisanen zusammenarbeiten wollten, und ebenso Hinweise über Tarnung der Partisanen, bzw. Banden als Zivilisten.“ [26]

Im Bezug auf den Bandenkrieg erklärte Generalleutnant Otto Heidkämper am 27. Juni 1946 :

„ Während die 3. Panzerarmee im Raum Witebsk in fester Stellung lag, also in der Zeit von Mai 1943 bis Juni 1944, waren Ermordungen von Armeeangehörigen durch Banditen hinter der Front und im rückwärtigen Armeegebiet an der Tagesordnung, fast sämtliche ermordete deutsche Soldaten waren beraubt und größtenteils scheußlich verstümmelt.“ [27]

Für den Historiker heute ist es offensichtlich, daß nicht nur die Geiselerschießungen verwerflich waren, sondern auch die Verbrechen der Partisanen, vor allem Folter und Verstümmelungen von gefangenen deutschen Soldaten, Rotkreuzschwestern oder Angehörigen der Organisation Todt, die tausendfach praktiziert wurde, wie in den Akten der Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts dokumentiert wurde. [28] Dabei geht es um das Ausstechen von Augen, Abschneiden von Zungen und Genitalien. Diese Art Verbrechen wurden im Balkan und im Ostfeldzug häufig festgestellt, nur selten an anderen Kriegsschauplätzen.

In diesem Zusammenhang muß auch erwähnt werden, daß derartige Verbrechen den Wehrmachtsoldaten nicht nachgewiesen werden konnten. So warf der sowjetische Ankläger Oberst Pokrowsky am 7. Juni 1946 Jodl vor : „Sind Sie sich dessen bewußt, daß die deutschen Truppen die Leute vierteilten, verkehrt aufhängten und die Sowjetischen Kriegsgefangenen am Spieß brieten. Wissen Sie das?“ Worauf Jodl antwortete: „Das weiß ich nicht nur nicht, sondern ich glaube es auch nicht.“ [29]

Pokrowsky hat nicht weiter gefragt. Nachmittags am selben Tag kam Pokrowsky auf das Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen zu sprechen. Er zitierte von einem Brief Rosenbergs an den Oberbefehlshaber der Wehrmacht vom 28. Februar 1942:

„Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen [..] ist eine Tragödie größten Ausmaßes [...] Ein großer Teil von ihnen ist verhungert oder durch die Unbilden der Witterung umgekommen. Tausende sind auch dem Fleckfieber erlegen [...]“ [30]

Daraus ergibt sich aber, daß das Massensterben als eine Tragödie empfunden wurde, und daß dies nicht der Zweck der Kriegsgefangenschaft war, sondern als eine logistische Katastrophe angesehen wurde. Jodl konnte allerdings nicht viel dazu sagen, denn er war für Kriegsgefangenenangelegenheiten nicht zuständig und verfügte daher nicht über eigenes Wissen.

OKW-Prozeß

Auch der Nürnberger OKW-Prozeß oder „Feldmarschall Prozeß“ war kein Prozeß gegen die Wehrmacht als solche, sondern gegen 13 hochrangige Angeklagte. Was den Anklagepunkt „Verbrechen gegen den Frieden“ betrifft, so mündete er in einen Freispruch“

„Wie immer die Befehlshaber und Stabsoffiziere tun, die nicht zur politischen Führung gehörten, wenn sie Feldzüge planen, die Mittel zu ihrer Ausführung vorbereiten, befehlsgemäß gegen ein anderes Land vorzugehen beginnen und den Krieg nach seiner Einleitung ausfechten, erfüllt nicht den durch Völkerrecht für rechtswidrig erklärten Tatbestand der Planung, Vorbereitung, Einleitung und Durchführung eines Krieges oder der Einleitung einer Invasion. Auf Grund des Akteninhalts kommen wir zu dem Ergebnis, daß die Angeklagten nicht zur politischen Führung gehört haben und eines Verbrechens nach Maßgabe des Punktes Eins der Anklageschrift nicht schuldig sind.“ [31]

Und weiter:

„Das Verbrechen der maßgebenden Politiker ist um so größer, als sie die bereite Masse der Soldaten und Offiziere zur Ausführung einer völkerrechtswidrigen Straftat benutzen; der einzelne Soldat oder Offizier, der nicht zur politischen Führung gehört, ist nichts als ein Werkzeug der maßgebenden Politiker, zumal er der strengen Disziplin unterworfen ist, die notwendig und kennzeichnend ist für eine militärische Organisation.“ [32]

Im OKW-Prozeß wurde vor allem auf die Hitlerschen Kommissarbefehle [33] und Kommandobefehle abgestellt, und auf die Praxis, Kriegsgefangene an den SD zu übergeben [34] , oder für den Bau von Befestigungen zu verwenden [35] , oder Zwangsarbeiter zu rekrutieren und nach Deutschland zu deportieren. Dort gelang es auch der Verteidigung nachzuweisen, daß viele Feldmarschälle und Generäle bemüht waren, die Vorschriften der Haager und Genfer Konventionen einzuhalten.

Es gelang der Anklage nicht, dem Feldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, Wissen über die SD-Mordaktionen nachzuweisen:

„Daher können wir aus dem vorliegenden Beweismaterial nicht entnehmen, daß der Angeklagte Leeb von der Ermordung von Zivilpersonen durch die Einsatzgruppen in seinem Befehlsbereich Kenntnis hatte, oder daß er sich mit solchen Handlungen stillschweigend einverstanden erklärt hat.“ [36]

Den völkerrechtswidrigen Kommissarbefehl hat Leeb nicht verteilt. jedoch wurde er dieses Anklagepunktes überführt: Laut Eintragung im Kriegstagebuch der Heeresgruppe Nord ist von dort der Gerichtsbarkeiterlaß Barbarossa unterstellten Einheiten zugegangen.

„Es ist kein Beweis dafür erbracht worden, daß bei der Weitergabe dieses Befehls irgendwelche  Aufklärungen oder Anweisungen ergangen sind, die seine rechtswidrige Anwendung hätten verhindern können. Da der Befehl auf dem Dienstweg unmittelbar bei ihm durchlief, trug der Befehl Leebs gewichtige Autorität ebenso in sich wie die von Leebs Vorgesetzten. Unsere Akten ergaben, daß der Befehl von ihm unterstellten Einheiten in rechtswidriger Weise angewendet worden ist. Da Leeb diese Maßnahme ins Rollen gebracht hat, muß er ein gewisses Maß von Verantwortung für ihre Anwendung auf sich nehmen. [37]

Er wurde mit drei Jahren Kerker bestraft. Offenbar hat das amerikanische Gericht Leebs Verteidiger geglaubt:

„Er war kein Freund oder Anhänger der NSDAP und ihrer Weltanschauung. Er war Soldat in einem riesenhaften Feldzug und hatte die Verantwortung für mehrere hunderttausend Soldaten und für eine zahlreiche eingeborene Bevölkerung in einem riesigen Gebiet. Es ist nicht bedeutungslos, daß nicht ein einziger verbrecherischer Befehl als Beweisurkunde vorgelegt worden ist, der seine Unterschrift oder ein Zeichen seiner Billigung trägt.“ [38]

Der Befehlshaber der 18. Armee, Feldmarschall Georg von Küchler wurde mit zwanzig Jahren Haft bestraft, der Höchststrafe, die das Gericht für einen Befehlshaber im Felde auswarf. Dies vor allem, weil er die Verantwortung für das Gefangenensterben im Herbst und Winter 1941 trug. Jedoch reichte das Aktenmaterial nicht aus, „um Küchlers strafrechtliche Verantwortung für die Ausrottungsaktion der Einsatzgruppe A in seinem Befehlsbereich festzustellen.“ [39]

Generaloberst Hermann Hoth, Befehlshaber der 4. Panzerarmee, wurde zu fünfzehnjähriger Haft verurteilt. Die 17. Armee hatte unter Hoth im Frontabschnitt Süd bis Mitte November 1941 366.000 Gefangene gemacht. Wegen Nachschublücken mußte die Nahrung der Armeeangehörigen halbiert und die Verpflegung der Gefangenen noch geringer werden. Nach einem Bericht des Oberquartiermeisters der 17. Armee vom 25. November 1941 fehlten Schuhwerk und Unterwäsche, Lungenentzündungen und Darminfektionen häuften sich. Der mangelhafte Bekleidungsstand machte sich besonders beim Arbeitseinsatz im Winter bemerkbar. „Es war  völkerrechtlich unzulässig, die Kriegsgefangenen unter diesen unmenschlichen Bedingungen dort zu behalten. Es war Hoths Pflicht, sie an einen Platz zu transportieren, wo sie ordnungsgemäß versorgt werden konnten.“ [40] Dazu soll bemerkt werden, daß im Hinblick auf die reelle Kriegslage und auf die Tatsache, daß die Rotarmisten in miserabelster Verfassung in seine Obhut fielen, dieses Urteil mit Skepsis betrachtet werden muß.

Reemtsmaausstellung:

Ich habe die Ausstellung “Verbrechen der Wehrmacht“ in München gesehen und halte sie für eine politisch gewollte Geschichtsklitterung. Auch andere Kenner der Materie wie Prof. Dr. Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, Prof. Dr. Franz Seidler, von der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München, Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt und Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker halten die Ausstellung für unseriös.

Audiatur et altera pars ist ein fundamentales Prinzip, daß nicht nur für Juristen gilt. Auch Historiker, Politiker und Journalisten sollten bemüht sein, die verschiedenen Seiten zu hören, bzw. alle Aspekte einer Frage sine ira et studio abzuwägen. Dies ist eine selbstverständliche Voraussetzung bei der Wahrheitssuche.

Daß Wehrmachtssoldaten Kriegsverbrechen begangen haben, ist aktenkundig. Die Nürnberger Prozesse und etliche Verfahren vor alliierten und deutschen Gerichten haben dies ausreichend belegt. Daß Soldaten anderer Armeen Kriegsverbrechen begangen haben, wurde seinerzeit von der Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts durch richterliche Ermittlungen genau und zuverlässig dokumentiert. Die Originalakten sind im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg aufbewahrt. Über die Echtheit ihrer Ermittlungen gibt es keinen Zweifel. Alliierte Kriegsverbrechen sind auch von seriösen nicht-deutschen Historikern untersucht worden, vor allem von Amerikanern, Briten und Kanadiern.

Eine andere Frage ist, ob die Kriegsverbrechen der deutschen, sowjetischen, amerikanischen und britischen Armeen als Einzelverbrechen oder irgendwie als Organisationsverbrechen anzusehen sind. Mit anderen Worten: Verhielten sich das Oberkommando der Wehrmacht und die kämpfende Truppe systematisch außerhalb der Bestimmungen der Haager und Genfer Konventionen, und wenn ja, geschah dies an allen Kriegsschauplätzen und während des ganzen Krieges? Dieselbe Frage gilt für die alliierten Armeen. Eine weitere Frage ist, ob die deutsche Kriegführung brutaler als die sowjetische oder amerikanische war. Heißt dies Aufrechnung? Keinesfalls. Es geht darum einzuordnen, um zu verstehen. Denken heißt vergleichen.

Ein Buch, ein Artikel, eine Ausstellung, die Einzelverbrechen illustriert, ohne sich mit dem Gesamtbild auseinanderzusetzen, ist irreführend und wissenschaftlich nicht ernst zu nehmen.

Wer behauptet, die Wehrmacht wäre eine Verbrecherbande gewesen, muß den Beweis erbringen, daß Einzelbeispiele von Verbrechen repräsentativ sind. Auch tausend Beispiele von Verbrechen beweisen nichts, wenn man weiß, daß an allen Kriegsschauplätzen -in Polen, in Frankreich, in Italien, in Griechenland, und auch in der Sowjetunion-  Verstöße gegen die Haager und Genfer Konventionen durch die Wehrmachtgerichtsbarkeit systematisch untersucht und in vielen Fällen scharf bestraft wurden. Freilich gab es Verbrechen, die nicht geahndet werden konnten, z.T. wegen des Barbarossa- Gerichtsbarkeitserlasses; es gab aber auch den Disziplinarerlaß von Brauchitschs, und sehr viele Urteile zum Schutze der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten, auch in der Sowjetunion, belegen dies. Verschweigt man die vielen Urteile deutscher Militärgerichte zum Schutze der Zivilbevölkerung, so verfälscht man die Geschichte. Hier geht es nicht um eine Idealisierung oder Beschönigung der Wehrmacht. Die Urteile sind für jeden da, der sie lesen möchte. Zweifler mögen sich zum Bundesarchiv in Korneliemünster bei Aachen begeben. [41]

Aber gesetzt den Fall, daß eine Ausstellung sogar 10.000 Kriegsverbrechen durch die Wehrmacht präsentieren könnte, so müßte darauf hingewiesen werden, daß mehr als 18 Mio. Menschen als Wehrmachtssoldaten gedient haben. Verallgemeinerungen sind eines mündigen Publikums nicht würdig. Außerdem muß man bedenken, daß die pauschale Verurteilung der Wehrmacht Millionen von Menschen diffamiert, die ihre Pflicht getan und sich nichts zu Schulden haben kommen lassen. Dazu gehörte der Oberbefehlshaber Ost, Generaloberst Johannes Blaskowitz, der den Mut hatte, bei Hitler energisch zu protestieren, als er von Ausschreitungen der SS in Polen erfuhr. Deshalb wurde er im Mai 1940 abgesetzt. [42]

Die Verallgemeinerung diffamiert sogar auch Tausende von Wehrmachtsgegnern des Naziregimes, nicht zuletzt General Ludwig Beck, Karl Sack, den Chef der Heeresrechtsabteilung, Stauffenberg, Tresckow, Yorck von Wartenburg, von Witzleben, Hoepner, Stieff, Hagen, Hase, Bernardis, Klausing, Adam von Trott zu Solz, Moltke, Canaris, die sämtlich hingerichtet wurden.

Die Ehre eines Menschen ist ein wichtiger Wert, den die Gesellschaft schützen muß. jede demokratische Verfassung basiert auf der Menschenwürde, welche die Ehre und Reputation des Menschen beinhaltet. Diffamierung und üble Nachrede verletzen die Menschenwürde.

Artikel 17 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte besagt: „Niemand darf […] rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.“

Die pauschale Diffamierung der Wehrmacht stellt eine Verletzung dieses Menschenrechtes dar, nicht nur gegenüber ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und ihren Familien, sondern auch gegenüber allen Deutschen der Kriegsgeneration. Anständige Menschen sollen sich dieser Diffamierungskampagne widersetzen, denn wenn die Menschenrechte verachtet werden, leiden schließlich alle.

ANMERKUNGEN:

[01] Senior Fellow, International Human Rights Law Institute, Chicago. Gastprofessor des Völkerrechts, DePaul University. Dr.iur. (Harvard), Dr.phil. (Göttingen),/Mitglied des P.E.N. Autor der Bücher: Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle. Verlag Universitas Langen Müller, 1. Auflage. München 2001. * Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. Ullstein Taschenbuch, 10. erweiterte Auflage. Berlin 1999. * Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Kohlhammer Verlag, 4. erweiterte Auflage. Stuttgart 1995.

[02] Oppenheim, International Law. 9 th edition. 1992.

[03] SCHINDLER, Dietrich – TOMAN, Juri, The Laws of Armed Conflicts. Henri Dunant Institute, Geneva, Martinis Nijhoff Publishers. Dordrecht 1988.

[04] Report of the International Committee of the Red Cross on its activities during the Second World War (September 1, 1939/June 30, 1947). Vol. I. General Aactivities. Vol. II The Central Agency for Prisoners of War. Vol. III. Relief Activities. Genf 1948. ICRC, Report of the Joint Relief Commission of the International Red Cross 1941-1946. Genf 1948.

BURCKHARDT, Carl J., Das Kriegswerk des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Genf 1945.

[05] Im Artikel 8 der 4. Konvention erlaubt.

[06] Friedrich, Jörg, Das Gesetz des Krieges, das deutsche Heer in Rußland 1941-1945. Piper Verlag. München 1991. S. 320 ff.

[07] Prof. Reinhard Maurach verfaßte für die Gesamtverteidigung im OKW-Prozeß ein Gutachten über einige zwischen der UdSSR und dem Deutschen Reich obwaltende juristische Besonderheiten (Dok. 79, Fall XII, Gesamtverteidigung). Maurach legte dar, daß die Wehrmacht im Rußlandfeldzug nicht an die Haager Landkriegsordnung gebunden gewesen sei. Die UdSSR habe dieses Vertragswerk nicht unterzeichnet. Auch zählten die darin niedergelegten älteren Kriegsbräuche nicht, „weil die Sowjetunion ein ungeschriebenes Völkerrecht nicht anerkennt und überhaupt nach ihrer Grundauffassung vom Sowjetstaat, seinen Zielsetzungen und seinem Verhältnis zur übrigen Staatsgewalt als außerhalb der das Völkerrecht tragenden Ideengemeinschaft stehend zu betrachten ist.“

[08] de ZAYAS, Alfred, “Combatants”, in: Bernhardt R. (ed.), Encyclopedia of Public International Law. Vol. 3. Amsterdam 1982.

[09] RABUS Walter, A New Definition of the levée en masse. Netherlands Journal of International Law, Bd. 24. 1977. S. 232-241.

[10] Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg. Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher. Bd. 1. Nürnberg 1947. S. 189 ff.

[11] Ebd., S. 328,367

[12] Ebd., S. 410.

[13] PAGET, Reginald, Manstein. Seine Feldzüge und sein Prozeß. Wiesbaden 1952. MANSTEIN E. v., Verlorene Siege. Bonn 1955. MANSTEIN E. v., Aus einem Soldatenleben 1887-1939. Bonn 1958. MANSTEIN, Rüdiger v. – FUCHS, Theodor, Manstein. Soldat im 20. Jahrhundert. München 1981.

[14] IMT, Bd. 17, S. 560.

[15] IMT, Bd. 15, S. 376.

[16] Ebd., S. 377 f.

[17] KAHLSHOVEN, Frits, Belligerent Reprisals. Dordrecht 1971. PARTSCH K.J. “Reprisals”, in: BERNHARDT R., Encyclopedia of Public International Law. Bd. 9. S. 330-335.

[18] IMT, Bd. XXI, S. 412 f.

[19] Ich habe sie konsultiert und möchte anderen Historikern vorschlagen, diese Dokumente in einer kommentierten Ausgabe herauszugeben.

[20] BASSIOUNI, M. Charif, “Hostages”, in: BERNHARDT R., Encyclopedia of Public International Law. Vol. 8. 1985. S. 265-268.

[21] Fall VII, Verhandlungsniederschrift, S. 10.446.

[22] TAYLOR, Telford, Die Nürnberger Prozesse. S. 98 ff.

[23] IMT, Bd. 42, Affidavit General Staff and OKW-935, S. 261.

[24] Fall VII, Verhandlungsniederschrift, S. 10.441 f.

[25] Fall VII, Verhandlungsniederschrift, S. 10.439.

[26] IMT, Bd. 42, Affidavit General Staff and OKW-939, S. 262.

[27] IMT, Bd. 42, Affidavit General Staff and OKW-935, S. 259.

[28] de ZAYAS, Alfred, Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle. Kapitel 8. S. 18. Im Jahre 1983 hat der WDR einen Dokumentarfilm als Auftragsproduktion von Lübbe-TV erstellt und am 18. bzw. 21. März 1983 im ersten Programm unter dem Titel „Kriegsverbrechen im Westen / Kriegsverbrechen im Osten. Aus den Akten der Wehrmachtuntersuchungsstelle“ ausgestrahlt.

[29] IMT, Bd. 15, S. 595.

[30] IMT, Bd. 15, S. 596. Vgl. die Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen durch die Amerikaner unmittelbar nach dem Krieg, vor allem in den Rheinwiesenlagern. BACQUE, James, Der geplante Tod. Berlin 1990.

[31] Fall XII, S. 9.852.

[32] Fall XII, S. 9.849

[33] Fall XII, S 9.892 f, 9.993 f.

[34] “Die Berichte ergeben, daß Kriegsgefangene dem SD, einer Polizeiorganisation, zugeführt worden sind und daß nach dieser Überstellung die Armee keine weitere Aufsicht über die Gefangenen führte und anscheinend weder wußte noch bestimmen konnte, was mit ihnen geschah. Ob sie umgebracht wurden, was bei vielen zweifelsohne der Fall gewesen ist oder ob nicht, darauf kommt es nicht an. Die Rechtswidrigkeit besteht in ihrer Überstellung an eine Organisation, die, wie der Angeklagte zweifelsohne inzwischen gemerkt hatte, verbrecherisch war.“ Fall XII, S. 10.046.

[35] Fall XII, S. 9.920 f, 9.825 f, 10.002 f, 10.023.

[36] Das Urteil gegen das Oberkommando der Wehrmacht. Berlin (DDR) 1961. S. 141.

[37] Ebd., S. 140.

[38] Ebd.. S. 144.

[39] Ebd., S. 160.

[40] Ebd., S. 169f.

[41] de ZAYAS, Alfred, Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle. Kapitel 4. Siehe auch de ZAYAS, Alfred, „Die Rechtssprechung der Wehrmachtsgerichtsbarkeit zum Schutze der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten“, in: Humanitäres Völkerrecht. Heft 3. 1994. S. 118-124. SEIDLER Franz, Die Militärgerichtsbarkeit der Deutschen Wehrmacht, 1939-1945. München 1991. LATERNSTER Hans, Die Verteidigung deutscher Soldaten. Bonn 1950.

[42] Nürnberg-Dokument NO-3011.

Anmerkung der SWG: Der vorstehende Text entstammt dem Manuskript eines Vortrages, den der Autor anläßlich der Eröffnung der 2. reemtsmaischen „Antiwehrmachtausstellung“ am 27. 02. 2004 in Hamburg bei einer Großveranstaltung der SWG gehalten hat. -

See also the published text of a lecture at the University of Graz, Austria, in Stefan Karner (ed.) Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945, Leykam Verlag, Graz, 1998, pp. 147-161.

Copyright ©2004 Alfred De Zayas. All contents are copyrighted and may not be used without the author's permission. This page was created by Nick Ionascu.