Rhein-Zeitung vom 03.03.2003
"Ein klarer Bruch des Völkerrechts" Prominenter US-Gelehrter de Zayas verurteilt Kriegspläne Amerikas
"Ein klarer Bruch
des Völkerrechts"
Prominenter US-Gelehrter de Zayas verurteilt Kriegspläne Amerikas
Ein Krieg gegen den Irak ist nach Ansicht des US-Juristen Alfred-Maurice de Zayas ein massiver Bruch des Völkerrechts. Der Havard-Gelehrte und langjährige hochrangige UN-Mitarbeiter schließt nicht aus, dass die US-Administration später einmal juristisch zur Verantwortung gezogen werden könnte.
MAINZ. Alfred-Maurice de Zayas , früherer Sekretär des UN-Menschenrechtsausschusses, gehört zu den prominentesten Kritikern der US-Regierung. Als Gast der 3sat-Sendung "neunzehnZehn" weilte er für einen Abend in Mainz.
Lässt sich ein Irak-Krieg völkerrechtlich rechtfertigen?
Derzeit auf keinen Fall. Die Vereinten Nationen haben 1974 definiert, wann es sich um einen Angriffskrieg handelt, der von der UNO geächtet wurde. Man kann die entscheidende Resolution 3314 so interpretieren, dass bereits die Androhung von Gewalt beziehungsweise ein Aufmarsch, wie wir ihn jetzt in der Golfregion erleben, gegen das Völkerrrecht verstoßen. Zudem ließe sich über 3314 auch herleiten, dass ein Krieg ohne eine zweite UN-Resolution keinesfalls rechtens ist.
Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.
Ein Konsortium von Staaten, die dem Völkerrecht besonders verbunden sind, etwa Frankreich, Deutschland und Belgien, könnten ein Gutachten beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag anstrengen. Die Juristen dort würden dann möglicherweise feststellen, dass es sich um einen Angriffskrieg handelt. Oder die Arabische Liga wendet sich an Den Haag. Vorausgesetzt natürlich, es kommt überhaupt zum Krieg.
Welche juristische Schachzüge bleiben dem Irak?
Wenn er beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag vorstellig wird, tritt zunächst einmal Artikel 41 in Kraft. Der besagt sinngemäß, dass in der Zeit, in der der Gerichtshof mit einer Streitfrage befasst ist, bestimmte Schritte unterlassen bleiben müssen. Dazu zählt sich auch ein militärischer Angriff.
Ist das nicht alles etwas theoretisch?
In den USA haben mehr als 100 Juristen Präsident Bush und seine Mitstreiter in der Regierung öffentlich davor gewarnt, das Völkerrecht zu missachten. Ein Krieg unter den derzeitigen Bedingungen wäre ein Bruch von Artikel 5 des Statuts von Rom, in dem ja ebenfalls ein Angriffskrieg verurteilt wird. 1998 wurde in Italien die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs (ICC) beschlossen.
Die USA haben das Statut des Weltgerichts nicht ratifiziert.
Aber sie haben es unterschrieben. Die Wiener Vertragsrechtkonvention besagt, dass ein Staat, der eine Unterschrift gegeben hat, den Vertrag nicht unterwandern darf. Bilaterale Abkommen, die US-Bürger vor einer Auslieferung schützen, sind also ungültig. Nach Ablauf ihrer Amtszeit könnten Bush oder Rumsfeld in Mexiko, Deutschland oder Frankreich verhaftet und an den Strafgerichtshof ausgeliefert werden. Das Gleiche gilt übrigens für Tony Blair, denn Großbritannien hat das Statut des Strafgerichtshofs sogar ratifiziert.
Ein derartiges Vorgehen klingt abenteuerlich.
Aber es ist juristisch gedeckt. Wenn ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs feststellt, dass es sich um einen Angriffskrieg handelt, kann Artikel 5 des Statuts von Rom angewendet werden. Das heißt, Personen können strafrechtlich verfolgt werden.
Würde eine zweite UN-Resolution rechtlich etwas ändern?
Gibt es dafür eine Mehrheit im Sicherheitsrat, legen Frankreich oder Russland ihr Veto ein. Wenn Bush und seine Berater intelligent sind, zeigen sie Einsicht und betrachten den Aufmarsch als eine von den kostspieligeren Militärübungen. Sie hat ja durchaus Wirkung auf den Irak gehabt.
Die Amerikaner sprechen nicht von einem Aggressionskrieg, sondern von einem Präventivkrieg.
Das Völkerrecht ist unbestechlich. Die USA sind dabei, seine Grundsätze zu brechen. Das lässt sich auch nicht mit dem 11. September rechtfertigen. Ich habe es sehr bedauert, dass in Amerika so wenig gefragt wurde, warum uns dieser Anschlag getroffen hat. Mit unserer Wirtschaftspolitik und der Unterstützung von Unrechtregimen haben wir selbst Unrecht begangen. Jede israelische Kugel, die ein palästinensisches Kind trifft, ist eine amerikanische, jede israelische Rakete, die in einer palästinensischen Stadt einschlägt, ist eine amerikanische. Mit amerikanischem Geld wurden die Palästinensergebiete kolonisiert.
Verliert die UNO weiter an Bedeutung?
Ohne die UNO gäbe es uns schon gar nicht mehr. Hätten Sowjets und Amerikaner dieses Gesprächsforum nicht gehabt, wäre bei der Kubakrise 1962 der Dritte Weltkrieg ausgelöst worden.
Das Gespräch führte
Dietmar Brück
Datenbank RZTG
Dokumentennummer: 0303030657 |