Publications
Ex Tempore
pen club
Photos
Links
Guestbook
English Spanish Franch German
Si vis pacem, cole justitiam
 
Home / Books / Articles-monographies-chapters in books / Lectures & speeches / Interviews - Verbrechen gegen Frieden bestrafen

 

 

"Verbrechen gegen Frieden bestrafen" © St. Galler Tagblatt; 14.05.2004

Die US-Gefangenenmisshandlungen in Irak und Guantanamo stellen die Menschenrechtein Frage. Dennoch gab es keine UNO-Resolution gegen die USA. Dies sagt Alfred de Zayas, Jurist und früherer Sekretär des UNO-Menschenrechtsausschusses. Herr Zayas, die Misshandlungen von Irakern durch US-Soldaten löstenEmpörung in der westlichen und arabischen Welt aus. Die US-Regierung kündigte ein hartes Vorgehen gegen die Soldaten an. Hat die Menschenrechtskommission die US-Regierung in diesen Fällen zur Rede gestellt?

Alfred de Zayas: Die UNO-Menschenrechtskommission (MRK), die nur einmal im Jahr in Genf tagt, hat ihre 60. Sitzungsperiode vor zwei Wochen beendet. Es wurden Resolutionen zu vielen Themen angenommen: über das Recht auf Entwicklung,über die Menschenrechtslage in Kuba, über das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, über die israelische Praxis der gezielten Tötung von Palästinensern.

Und obwohl Delegationen von mehreren Staaten die Situation in Irak erwähnten, wurde keine Resolution gegen die USA verabschiedet. Warum nicht?

de Zayas: Die Kommission ist ein politisches Forum der Diskussion, kein Expertenkomitee wie der Menschenrechtsausschuss, der die Anwendung des Paktesüber bürgerliche und politische Rechte berät. Gerade weil ich Amerikaner bin, bedaure ich, dass die US-Delegation dort mit ziemlicher Arroganz auftrat und Drohungen vor allem gegenüber den schwächeren Ländern aussprach, falls Resolutionen eingereicht werden sollten. Und auch wenn die USA nun «ein hartes Vorgehen gegen die Soldaten» ankündigten, wird dies leider nur für die jetzigeöffentliche Meinung sein. Straflosigkeit für die Misshandlung und Tötung von Kriegsgefangenen ist keine Seltenheit. Im Vietnamkrieg wurden unzählige Kriegsverbrechen von US-Soldaten begangen und nicht verfolgt. Wichtiger noch wäre die Verbrechen gegen den Frieden zu verfolgen und zu bestrafen, denn der Vietnamkrieg war zweifelsohne eine US-Aggression, so wie der Angriff auf Irak am 20. März 2003 und die unselige «Shock and Awe»-Politik der Regierung Bush, die zehntausende Zivilopfer zur Folge hatte.

Die wegen Folter beschuldigten US-Soldaten sagten, dass sie die Genfer Konvention nicht gekannt hätten. Wie kommt es, dass die Richtlinien der Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen nicht hinreichend bekannt sind?

de Zayas: Die Ausbildung in den Haager und Genfer Konventionen ist immer mangelhaft gewesen. Im Zweiten Weltkrieg sind etliche deutsche Kriegsgefangene erschossen worden, hunderttausende wurden monatelang in offenen Lagern gehalten, wo zehntausende starben. Historiker wissen dies, aber man redet kaum darüber. Nur ein Beispiel: Der US-Leutnant Vicente Acunto und andere nicht identifizierte US-Soldaten haben am 8. April 1945 dreiundzwanzig deutsche Kriegsgefangene ohne Grund erschossen. Nur Acunto wurde vors Kriegsgericht gestellt. Im Laufe des kurzen Prozesses wurde festgestellt: «Anscheinend jeder - vom Kompaniekommandanten bis hin zum Divisionskommandanten, der Armeeoberbefehlshaber miteingeschlossen - befahl oder empfahl die Hinrichtung von Kriegsgefangenen.» Zu seiner Verteidigung behauptete Acunto nur, nichts von der Haager und Genfer Konvention über Gefangenenbehandlung gewusst zu haben. Urteil: freigesprochen.

Bereits bei der Behandlung der Häftlinge in Guantanamo gerieten die USA in heftige Kritik, weil sie die Inhaftierten als «irreguläre Kämpfer» bezeichneten und ihnen damit den Status «Kriegsgefangene» verweigerten. Wie setzt sich die MRK für die Häftlinge und deren Rechte dort ein?

de Zayas: Während der ersten fünf Wochen ihrer 60. Sitzungsperiode schwieg die MRK zum Skandal von Guantanamo. Es ist unbegreiflich, dass die EU der MRK keine diesbezügliche Resolution vorlegte - nur weil sie nicht gegen die USA stimmen wollte. Erst am Ende der fünften Woche stellte Kuba eine Resolution zur Diskussion. Es schien sicher, dass eine «No action motion» von den USA geplant war, die Erfolg gehabt und sogar die Unterstützung der EU gehabt hätte. Aber auch wenn diese «No action motion» abgelehnt worden wäre - aber sie wurde nie formell vorgelegt noch zurückgezogen -, hiess es, dass die Kommission die kubanische Resolution ablehnen werde, obwohl diese nur die Anwendung der dritten Genfer Konvention von 1949 verlangte. Am Ende hat die kubanische Delegation - wohl unter massivem US-Druck- keine Abstimmung über die Resolution verlangt, was vom UNO-Sekretariat als ein «Rückzug» der Resolution interpretiert wurde. Somit unternahm die Kommission absolut nichts im Fall Guantanamo. Immerhin wiesen Amnesty International und andere Nichtregierungsorganisationen auf die schändliche Menschenrechtslage in Guantanamo hin. Amnesty International veranstaltete am 8. Mai 2004 in Genf eine Konferenz über Guantanamo mit hochkarätiger Beteiligung.

Mit wie viel Widerstand seitens der USA ist die MRK konfrontiert?

de Zayas: Die US-Regierung und ihre Botschafter versuchen, das Unhaltbare zu rechtfertigen. Hoffen wir, dass das oberste Gericht der USA in seinem im Juni erwarteten Urteil die Menschenrechte der Guantanamo-Häftlinge verteidigt.

Wieso können sich die USA derart über internationale Konventionen hinwegsetzen, ohne dass dies Folgen für die USA hat?

de Zayas: In London, Paris und Berlin fehlt ganz einfach der politische Wille, den USA die Leviten zu lesen und sie mit konkreten wirtschaftlichen Konsequenzen zu konfrontieren. Man hat Angst, Geschäfte und Märkte zu verlieren. Man wartet wohl ab, bis diese leider faschistoide Regierung im November abgewählt wird.

Wie sollte mit Häftlingen wie etwa Saddam Hussein verfahren werden, die selbst die Menschenrechte verletzt haben?

de Zayas: Saddam Hussein hat wie jeder Mensch Recht auf ein faires Verfahren. Jedoch darf es keine Siegerjustiz sein. Hussein sollte nur von seinem eigenen Volk und nach irakischem Recht angeklagt und verurteilt werden. Aber auch George W. Bush, Tony Blair und Donald Rumsfeld sollen zur Verantwortung gezogen werden. Denn sie haben das Verbrechen der Aggression begangen, und dies ist laut Nürnberger Prinzipien ein schlimmeres Verbrechen als gewöhnliche Kriegsverbrechen. Auf das Konto von Bush und «Komplizen» gehen Zehntausende von Menschenleben, die Verletzung der rechtlichen Weltordnung und vor allem die Verletzung des Gewaltverbotes gemäss der UNO-Charta.

Der Bau einer Sperranlage durch Israel entlang dem Westjordanland ist umstritten. Wie beurteilen Sie den Bau?

de Zayas: Nicht nur umstritten, sondern völkerrechtswidrig. Allerdings muss man wissen, dass das Völkerrecht und seine Umsetzung nicht identisch sind. Es gibt etliche Völkerrechtsverletzungen, die niemals mit Strafe oder Sanktionen belegt werden.

Kann man noch von Wahrung der Menschenrechte hinsichtlich des Konflikts zwischen Palästinensern und Israelis sprechen?

de Zayas: Israel hat in völliger Straflosigkeit etliche Resolutionen des Sicherheitsrates, der Generalversammlung und der MRK ignoriert. Alle Friedenspläne seit Oslo sind hauptsächlich aufgrund der Verletzungen durch Israel gescheitert. Solange die USA Israel eine Freikarte geben und alle Völkerrechtsverletzungen und Verbrechen Israels decken, wird es keinen Frieden in Nahost geben können. Ein Anruf aus Washington könnte viel bewirken. Er wird aber nicht kommen. Die Hauptverantwortung für das Elend liegt also in Washington, nicht in Tel Aviv.

Was ist der Unterschied zwischen ethnischer Säuberung und Völkermord?

de Zayas: Ethnische Säuberung ist eine sehr schwere Verletzung des Völkerrechts und kann sogar Völkermord darstellen, aber nicht immer. Man kann einem Volk sein Land rauben, es zur Flucht zwingen, ohne dass die Gruppe ganz oder teilweise zerstört wird. Die Definition des Völkermordes befindet sich im Artikel II der Genozid-Konvention von 1948. Bei Völkermord muss man die Absicht haben, die Gruppe zu zerstören, wie beim Völkermord gegen die Armenier, gegen die Juden im Zweiten Weltkrieg, gegen die Tutsis in Ruanda. 1974 hat die Türkei Nordzypern besetzt und etwa 180 000 griechische Zyprioten, die dort seit Jahrtausenden zu Hause waren, vertrieben. Dies war eine Form ethnischer Säuberung, aber kein Völkermord. Es war natürlich eine grobe Verletzung vom Heimatrecht der Zyprioten und von etlichen Artikeln der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie die Europäische MRK und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg in Urteilen und Berichten festgestellt haben.

Betreibt die Menschenrechtskommission Aufklärungsarbeit in Ländern, die ethnische Säuberungen vornehmen? Wenn ja, wie?

de Zayas: Verschiedene Sonderberichterstatter und Arbeitsgruppen der MRK beschäftigen sich mit ethnischen Säuberungen. Zur Zeit des Krieges in Ex-Jugoslawien hat die MRK eine Sondersitzung gehalten und etliche Berichte vorgelegt, die sicher Einfluss auf das Friedensabkommen von Dayton hatten, das auch das Rückkehrrecht garantiert.

Menschenrechtsverletzungen gibt es täglich, weltweit. Haben Sie Hoffnung, dass sie künftig unterbunden werden können?

de Zayas: Seit der Gründung der UNO hat man erhebliche Fortschritte im Bereich der Menschenrechte gemacht. Die Normen gibt es. Einige Umsetzungsmechanismen auch. Was oft fehlt, ist der politische Wille. Manchmal können wirtschaftliche Sanktionen nützlich sein. Manchmal machen sie keinen Sinn und treffen nur Unschuldige. Ich bin optimistisch, dass sich allmählich eine Menschenrechtskultur ausbildet. Hierbei spielt die Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Man kann den positiven Beitrag von Amnesty International und Human Rights Watch nicht genug loben. Aber der Mensch ist, wie er ist. Wenn die Bibel es aber nicht geschafft hat, in zweitausend Jahren den Menschen von der Sünde abzubringen, wird die UNO-Menschenrechtserklärung es auch nicht schaffen. Doch wir versuchen es weiter, jeder Fortschritt lohnt sich, vor allem für den Menschen, dem man konkret hilft.

Interview: Anjana Bhagwati

Alfred de Zayas (promovierte in Harvard und Göttingen. Er verfasste zahlreiche Bücher und ist Professor an der Universität für Internationale Studien in Genf. Er spricht heute um 10.30 Uhr an der Universität St. Gallen)

Copyright ©2004-2006 Alfred De Zayas. All contents are copyrighted and may not be used without the author's permission. This page was created by Nick Ionascu.