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Homines dum docent, discunt (Seneca) ! |
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BERLIN 20. Januar 2006 Sehr verehrte Frau Herzogin von Oldenburg, sehr geehrte Kollegen, meine Damen und Herren! Kämpfen gegen Ungerichtigkeit ist eine bürgerliche Pflicht. Ein Opfer darf nicht schweigen. Wenn es alles hinnimmt so können künftig andere Menschen leichter zum Opfer gemacht werden. Ungerechtigkeiten und Willkür rügen ist notwendig und vor allem heilsam in einer demokratischen Gesellschaft. Das nationale Verfassungsrecht verspricht Gerechtigkeit, liefert sie aber häufig nicht. In einem Rechtsstaat, wo die Menschenrechte gelten, sollen Politiker und Richter bemüht sein, Gerechtigkeit überall zu schaffen. Dennoch wissen wir, daß viele Richter und Rechtsexperten das Recht im Namen der Politik verbiegen. Dies ist Realität. Menschenrechtler haben mit dieser Realität in der ganzen Welt zu tun. Auch das Völkerrecht bedeutet nicht automatische Gerechtigkeit, und die interenationale Instanzen sichern sie nicht immer. Wie oft sind wir von Urteilen in Straßburg oder Genf überrascht, ja zutiefst enttäuscht! Wäre das Recht Mathematik, so würden viele Opfer ihr Recht schon längst bekommen haben. Aber die Institutionen und vor allem die Menschen versagen. Nach dem Prinzip ubi jus, ibi remedium, sollte eine willkürliche Konfiskationen durch Restitution behoben werden. Dies vor allem, wenn der Staat die Möglichkeit hat, das Eigentum zurückzugeben, ansonsten würde sich der Staat ungerechterweise bereichern. Die Nachkriegsjahre im sowjetisch besetzten Deutschland brachten ungeheuer viel Leid mit sich. Der sog. Boden- und Industriereform war eine Vergewaltigung der Menschenrechte. Die Kriminalisierung, Internierung, Verfolgung und Vertreibung von Menschen aus Ihrem Familienbesitz eine juristische und moralische Schande. Von einem Rechtsstaat erwartet man Rehabilitierung und Wiedergutmachung. Mir - als nicht-Deutscher Beobachter der deutschen Szene ist es mir kaum nachzuvollziehen, wieso die Bundesrepublik soviel Willkür und so viel Ungerechtigkeit aus den Nachkriegsjahren hat bestehen lassen. Durch die Duldung des Unrechts hat sich die Bundesrepublik selbst zuschulde kommen lassen, denn sie handelte nicht im Einklang mit ihren Verpflichtungen unter den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Sie haben in Deutschland prozesiert und verloren, Sie haben Restitution beantragt, und dies wurde Ihnen verweigert. Sie haben Rückkehr in die heimatlichen Wohnsitze beantragt, und dies ist Ihnen verwehrt worden. Deutschland ist Staatspartei zum Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte seit seinem Inkrafttreten am 23. März 1976. Deutschland ist Staatspartei zum Fakultativprotokoll zum Pakt erst nach der Wende, also seit dem 25. November 1993. Gemäß dem Fakultativprotokoll können sich Individuen an den UN-Menschenrechtsausschuss in Genf mit einer Beschwerde wenden. Genauso wie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, muß jeder Beschwerdeführen zunächst bestimmte Zulässigkeitskriterien erfüllen. Er muß z.B. die innerstaatlichen Rechtswege erschöpft haben, und derselbe Fall darf nicht gleichzeitig vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bearbeitet werden. Bezüglich vielen Ländern wie die Niederlande oder Tschechien kann ein Fall zunächst in Straßburg und dann in Genf untersucht werden. Bezüglich Deutschland ist dies allerdings nicht möglich, denn Deutschland machte einen diesbezüglichen Vorbehalt als es das Fakultativprotokoll ratifizierte. Das bedeutet, daß ein Beschwerdeführer kann sein Glück in Straßburg suchen, und wenn ihm dort Gerechtigkeit versagt wird, zum Menschenrechtsausschuss in Genf kommen kann. Allerdings ist nur jener Beschwerdeführer verhindert. Ein anderer Beschwerdeführer mit wesentlich demselben Fall kann durchaus vor dem Ausschuß kommen. Sogar derselbet Beschwerdeführer, wenn er andere faktische oder juristische Aspekte des Falles vor dem Ausschuß bringt. Darüberhinaus ist zu klären, daß auch wenn Beschwerdeführer A mit der Frage der Restitution vor dem Ausschuß scheitern sollte, so kann Beschwerdeführer B mit einer ähnlichen Klage Erfolg haben. Jeder Fall vor dem Ausschuß wird individuell nach der spezifischen Sachlage untersucht. Eine weitere Hürde ist die rückwirkende Anwendbarkeit des Paktes. Viele Beschwerden werden nur deshab abgelehnt, weil die Verletzung, die gerügt wird, vor dem Inkrafttreten des Paktes oder des Fakultativprotokolls geschehen ist. Dieses Problem läßt sich aber beseitigen, wenn der Beschwerdeführer nicht auf die ursprünglichen Fakten bzw. der Konfiskation abstellt, sondern auf die Konsequenzen und auf die fortdauernde rechtswidrige Situation, die selbst eine Verletzungen des Paktes darstellt. Mit anderen Worten, die diskriminierende Konfiszierung durch die sowjetische Besatzungsmacht oder durch die Regierung der DDR kann nicht direkt beanstandet werden, weil sie lange vor Inkrafttreten des Paktes in 1976 geschah. Was gerügt wird ist die Restitutions- und Rehabilitierungsgesetzgebung sowie die diskriminierende Handhabung der Gesetze, und die Willkür der bundesdeutschen Gerichten – alle nach dem Inkrafttreten des Paktes und des Fakultativprotokolls für Deutschland geschehen. Der Menschenrechtsausschuß hat eine interessante Jurisprudenz bezüglich Restititutionsgesetzgebung entwickelt. Bezüglich der kommunistischen Enteignungen in der Tschechischen Republick hat der Menschenrechtsausschuss eine Reihe Fälle für zulässig erklärt und dann auch Verletzungen des Artikels 14 (über das Recht auf ein faires Verfahren) und des Artikels 26 (über das Recht auf Gleichheit der Behandlung und das Verbot der Willkür) festgestellt. Dies geschah in Fällen, wo die Beschwerdeführer Tschechen waren – etwa in der Sammelbeschwerde Simunek et al, im Fall Josef Adam, im Fall Blazek et al. Und jüngst im November 2005 im Fall Kriz. In allen diesen Fällen war das Eigentum in den 40er und 50er Jahren konfisziert worden, aber die diskriminierende und unfaire Entschädigungsverfahren fanden in den 90er Jahren statt, d.h. nachdem das Fakultativprotokoll für Tschechien in Kraft getreten war. Somit wurde der Pakt nicht rückwirkend auf die Enteignungen angewandt, sondern auf die Willkür der tschechischen Behörden, die Restitution verweigert hatten. Zu bemercken auch: zwei Fälle, in welchem die Beschwerdeführer
tschechische Juden waren – mit demselben Resultat – Verletzung
des Paktes und Verpflichtung zur Wiedergutmachung. Und schließlich
kamen drei Fälle, wo die Beschwerdeführer Deutsche bzw. Österreicher
waren – Des Fours Walderode, Petzold und Czernin. Nun war Riedl-Riedenstein ein faktisch und juristisch komplizierter Fall. Ich finde die Sachlage in den Fällen über Verweigerung der Restitution etwa in Brandenburg oder Sachsen einfacher und darum aussichtsreicher. Um Erfolg zu haben, muß eine Klage genau formuliert werden, und
dabei soll die Verletzung von mehreren Artikel des Paktes gerügt
werden. Zwar gibt es keinen Eigentumsschutz im IPBPR, dafür aber
ein Recht auf ein Beschwerdeverfahren (Art.2), auf Residenzfreiheit und
Rückkehr in den eigenen Wohnsitz (Art. 12), auf eine faire Verhandlung
vor einem unabhängiten Tribunal (Art. 14), ein Recht auf Schutz gegen
Eingriffe gegen Wohnung und Privatleben (Art. 17), ein Recht auf Bekundung
seiner Religion z.B. in der eigenen Familienkapelle (Art. 18), (Ich denke
z.B. an Herrn Ben Pfeiffer und an die Familienkapelle wo Mitglieder der
Familie von Plessern begraben lagen, bis sie umgebettet wurden). Darüber
hinaus und vor allem gibt es ein Recht auf Gleichheit der Behandlung,
bzw. auf Nicht-Willkür (Art. 26) in allen Situationen, auch bei der
Restitution von beschlagnahmtem Eigentum. Bezüglich Art. 26 hat die
Bundesrepublik zwar ein Vorbehalt formuliert. Dieser Vorbehalt ist aber
umstritten, und der Ausschuß könnte ihn durchaus ablehnen.
Es lohnt sich auf alle Fälle, den Artikel 26 zu rügen und die
Zulässigkeit des Vorbehaltes zu testen. Darum meine ich, daß wenn es so weit ist, eine Klage vor dem Menschenrechtsausschuss gute Aussichten hat. Erfreulicherweise gibt es keine 6-Montatige Frist, um einen Fall vor dem Ausschuß zu bringen. Dies können Sie im Jahre 2006 aber auch im Jahre 2007, 2008 usw. tun. Und dann, nach einer eventuellen positiven Entscheidung des Ausschusses muß die Entscheidung noch in die Tat umgesetzt werden, was leider nicht automatisch ist. So hat z.B. Tschechien die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses bisher ignoriert, und die Bundesrepublik Deutschland hat die Gelegenheit versäumt, diese respektlose Haltung dem Völkerrecht gegenüber zu rügen. Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht getan, um die positiven Entscheidungen in den deutschen Fällen durch den diplomatischen Schutz mehr Gewicht zu verleihen. Insofern hat Deutschland dem Völkerrecht schlecht gedient, als es die Aufnahme Tschechiens in die EU befürwortete und aktiv fördete, ohne dabei zu sichern, daß Tschechien die Enscheidungen des Menschenrechtsausschusses respektierte und entsprechend umsetzte. Neben der Prozedur des Menschenrechtsausschusses kann man auf die Prozedur 1503 der UNO-Menschenrechtskommission hinweisen. Dabei geht es um systematische Verletzungen der Menschenrechte. Artikel 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte schutz das Recht auf Eigentum. Die Verletzung dieses Rechtes durch die Verweigerung der Wiedergutmachung kann sicher bei der UNO-Menschenrechtskommission und künftig bei dem UNO-Menschenrechtsrat angezeigt werden. Gewiß ist diese Prozedur weniger juristisch und weniger Effektif als die Prozedur des Fakultativprotokolls des Menschenrechtsausschusses. Dennoch lohnt es sich, auch vor dem Kommission die Schande der sog. Bodenreform zu thematisieren. Außerdem kann man gleichzeitig eine Sammelklage unter der Resolution 1503 vor der Menschenrechtskommission einbringen, und eine Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschus gemaß des Fakultativprotokolls vorlegen. In diesem Zusammenhant läßt sich auch auf die Arbeit der UNO-Unterkommission hinweisen, vor allem auf Resolution 2002/30 über das Recht auf Rückkehr in die Heimat, und auf Resolution 2005/21 über das Recht aller Flüchtlinge und Vertriebener auf Restitution. Der Sonderberichtserstatter der Unter-Kommission Professor Sergio Pinheiro arbeitet z.Zt. auf einen Bericht für die kommende Unter-Kommission vom August dieses Jahres. Man soll ihm auch Materialien über die Situation in Deutschland zukommen lassen. Schliessen lassen Sie mir auf die Rolle der Nicht-staatliche Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte erinnern. Zwar haben diese Organisationen die Hände voll mit anderen Menschenrechtsverletzungen in der Welt. Es ist aber nich ausgeschlossen, daß auch diese Organisationen eine bestimmte logistische Hilfe bei den Vereinten Nationen leisten könnten. Meine Damen und Herren, das Recht auf Restitution ist ein allgemeines Rechtsprinzip. Dieses Prinzip ist vom Menschenrechtsausschuß mehrfach anerkannt worden – auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, z.B. in den berühmten Urteile in den Fällen Loizidou gegen die Türkei. Es ist ja ein Skandal, daß der Bundestag, die Landgerichten, Oberlndesgerichte und Bundesgerichte die eklatanten Ungerechtigkeiten der SBZ- und DDR-Zeit nicht 1990 gleich behoben haben, und daß die Sophismen der Bundesreichter es nun nötig machen, sich an internationale Instanzen zu wenden. Es sei denn, daß ein menschenrechtsbewußtere Bundestag eine neue gesetzliche Grundlage zu Beseitigung der Ungerechtigkeiten schafft. In der Tat wäre es viel besser, wenn die politischen Instanzen Deutschlands Gerechtigkeit täten, ohne dazu von den Vereinten Nationen aufgefordert zu werden. Ich danke Ihnen. Alfred de Zayas ist US-Amerikaner und UN-Beamter im Ruhestand, ehemaliger Sekretär des Menschenrechtsausschusses und Chef der Beschwerdeabteilung im Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. Seitdem ist er Gastprofessor für Völkerrecht an verschiedenen nordamerikanischen und europäischen Universitäten (Chicago, Vancouver, Genf, Trier, Alcala de Henares). Autor des Buches „Die Nemesis von Potsdam“ (Herbig 2005), „Die deutschen Vertriebenen“ (Leopold Stocker, Graz, Januar 2006) Generalsekretär, PEN International, Centre Suisse romande. |
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