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Geislingen, 26. Juli 2008

 

DANKESREDE ANLÄSSLICH DER VERLEIHUNG DES KULTURPREISES DER SÜDMÄHRISCHER LANDSMANNSCHAFT

 

VERTREIBUNG UND VÖLKERRECHT

 

Von Alfred de Zayas

 

Lieber Herr Longin, Lieber Herr Vogler,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Amann, Herr Tölg, Herr Nowak, Herr Zeisel, Prälaten, Ehrengäste, Preisträger,

 

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren.

 

Vor zehn Jahren hatte ich die Ehre, bei Ihnen hier in Geislingen zu sprechen. Es freut mich, wieder hier zu sein.  Damals im Jahre 1998 war ich noch Sekretär des UNO-Menschenrechtsausschusses in Genf.  Inzwischen bin von der UNO pensioniert und lehre in Genf.  Heute bin ich freier und darf vortragen und schreiben, was ich für gerecht und notwendig halte, ohne Rücksicht auf UNO-Political Correctnes zu nehmen, die allzu oft Kritik an die Politik von manchen priviligierten Staaten nicht schätzt.

 

Wie Sie vielleicht wissen, hat mich vor elf Jahren der Bund der Vertriebenen die Plakette für Verdienste um das Selbstbestimmungsrecht der Völker in Berlin verliehen, zu einer Zeit als die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen noch nicht existierte und das Versprechen eines Forschungs- und Gedenkstätte für die deutschen Vertriebenen in Berlin nicht einmal sichtbar war.

 

Heute ehren Sie mich hier in Geislingen mit Ihrem Kulturpreis. Eigentlich wäre es gerechter, wenn ich Ihnen Ehre erweisen würde, denn Sie sind es, die grosse Anerkennung verdienen – für Ihre beispiellose Aufbauarbeit, für Ihre Charta, und für ihre friedliche Integration in Deutschland und in Europa.  Sie haben eine enorme Leistung vollbracht, und gewiss einen höheren Anspruch auf einen Preis dann ich.  Ich bin der festen Überzeugung, dass der Bund der Vertriebenen und die Landsmannschaften den Friedensnobelpreis verdient haben, und sehr viel würdiger als viele andere Friedensnobelpreisträger sind.

 

Sie Südmährer haben schwere Ungerechtigkeit erlitten. Sie haben Ihr Leiden mit Würde getragen. Sie waren Opfer rassistischer Dekrete, Internierung, Massaker, Vertreibung und Verschleppung.  Wo bleibt das menschliche Mitgefühl und die geschichtliche Anerkennung?  Als amerikanischer Beobachter der deutschen Szene, stelle ich erstaunt und traurig fest, dass Sie heute von manchen Medien und Presseorganen nicht nur nicht geehrt werden, sondern in die merkwürdige Kategorie der sog. „Täter“ eingereiht werden.

 

Vor bald 60 Jahren wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen  in New York die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet.

 

Artikel 1 der Erklärung lautet:

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechte geboren.“

 

Auf der Basis dieses Gleichheitsprinzips muss man die Ansprüche der Vertriebenen formulieren und durchsetzen.  Denn Vertreibung ist Völkermord. Aber nicht nur Völkermord.  Sie ist auch Verbrechen gegen die Menschheit, Rassismus, Terror.

 

Artikel 2 der Menschenrechtserklärung besagt:

 

„Jeder Mensch hat Anspruch auf in dieser Erklärung verkündigten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse…“

 

Dies bedeutet, dass auch Sie, Südmährer, einen Anspruch auf Gerechtigkeit haben.  Unter keinen Umständen sollen Sie resignieren und auf Ihre gerechten Ansprüche verzichten, denn Verzicht bedeutet Hinnahme der Diskriminierung und schwächt somit die Rechtsordnung und die Rechtssicherheit.  Wenn die ethnischen Säuberungen der 90er Jahren in Jugoslawien international als völkerrechtwidrig verurteilt wurden, wenn sie zu Bestrafung und Restitution führten, so müssen die Vertreibungen und Verschleppungen der 40er Jahre zumindest zu Anerkennung der Opfer und zu Wiedergutmachung führen.

 

In den Vereinten Nationen wird seit zehn Jahren ein Recht anerkannt, dass zwar stets existiert hat, aber bisher kaum formuliert worden war – ich spreche vom Recht auf Wahrheit. The Right to Truth . Sie haben einen Anspruch auf die Wahrheit über den Vertrag von St. Germain, über die Verletzung ihres Rechtes auf Selbstbestimmung, über die systematische Diskriminierung der Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei der 20er und 30er Jahren, über den Brünner Todesmarsch, über die Benesch Dekrete, die Internierung, Enteignung, und Vertreibung – alle grobe Menschenrechtsverletzungen. Und wenn man der Jurisprudenz des Internationalen Strafrechtstribunals für das ehemalige Jugoslawien folgt, und das letzte Urteil des Internationalen Gerichtshofes im Fall Bosnien v. Serbien aufmerksam liest, dann ist es zwingend, dass auch die Massaker gegen die Südmährer – analog an die Massaker in Bosnien und Herzegowina ebenfalls als Völkermord bezeichnent werden können oder sogar müssen.

 

Meine Damen und Herren

 

Sie sollen auf Ihr Recht auf Wahrheit beharren, weil die Menschenrechte – und das Völkerrecht überhaupt – mit dem Prinzip der Gleichheit stehen oder fallen.  Sie sollen auf Ihr Recht auf Restitution deswegen nicht verzichten, weil die Nicht-Umsetzung des Völkerrechts in einem Fall das ganze Ordnungssystem in Frage stellt.  Sie sollen auf Gerechtigkeit bestehen, gegen die Verlogenheit der sog. „normativen Kraft des Faktischen“ wirken, und das zynische Prinzip „Macht ist Recht“ verwerfen.  Beharren Sie auf Ihr Recht, nicht des Geldes wegen, sondern der Gerechtigkeit wegen, um das Gleichheitsprinzip und die Rechtsordnung nicht zu korrumpieren.

 

Artikel 6 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagt:  „Jeder Mensch hat überall Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson“.  Die Sudetendeutschen waren Rechtspersonen -- Jedoch wurde ihnen im Jahre 1945 Rechte und Würde beraubt -- gemäss der rassistischen Benes Dekrete, Ihre Rechte und Ihre Möglichkeit, in den tschechischen Gerichte als Individuen zu klagen, Ihre Heimat und Ihr Eigentum.

 

Über Vertreibung und Völkerrecht habe ich einiges geschrieben – so z.B. in englischer Sprache den Beitrag in der „Encyclopedia of Public International Law“, in deutscher Sprache das einschlägige Kapitel im Katalog der Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“, des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.  Darüber hinaus jüngst beim Institut für Zeitgeschichte im Band über „Die Potsdamer Konferenz: 60 Jahre Danach“.  Vor zwei Monaten habe ich eine Broschüre „50 Thesen zur Vertreibung“ veröffentlicht, die aus 17 historische Thesen, 18 völkerrechtliche Thesen und 15 Schlussfolgerungen besteht.  Erlauben Sie mir, aus den völkerrechtlichen Thesen zu zitieren:

 

„Die Vertreibung der Deutschen war nach dem 1945 geltenden Völkerrecht verbrecherisch. Die Haager Landkriegsordnung von 1907 war im Zweiten Weltkrieg anwendbar. Artikel 42–56 beschränken die Befugnisse von Okkupanten in besetzten Gebieten und gewähren der Bevölkerung Schutz, insbesondere der Ehre und der Rechte der Familie, des Lebens der Bürger und des Privateigentums (Artikel 46), und verbieten Kollektivstrafen (Artikel 50). Eine Massenvertreibung bedeutet eine ungeheuere Verletzung der Haager Landkriegsordnung. Auch gemäß der „Martenschen Klausel“ in der Präambel der IV. Haager Konvention von 1907 sind Vertreibungen rechtswidrig. Die Vertreibung kann auch nicht als Repressalie verstanden werden, denn kriegerische Repressalien können nur unter Bewahrung des Proportionalitätsprinzips und unter sehr beschränkten Bedingungen durchgeführt werden, die im Falle der Vertreibung der Deutschen niemals gegeben waren. Nach der Kapitulation der Wehrmacht durften Repressalien ohnehin nicht mehr angewendet werden.  Die Vertreibungen im Sommer und Herbst 1945, nach Einstellung der Kampfhandlungen, waren völkerrechtswidrig, denn sie verletzten Völkergewohnheitsrecht sowie auch die Minderheitenschutzverträge, welche Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien verpflichteten.

 

Die Rechtsprechung des Internationalen Militär-Tribunals in Nürnberg verurteilte die Vertreibungen, die von den Nationalsozialisten durchgeführt worden waren, als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit. Das Völkerrecht hat per definitionem universale Geltung, und darum stellt die Vertreibung der Deutschen durch die Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, und Jugoslawen, gemessen an denselben Prinzipien, ebenfalls Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit dar.

 

Die Potsdamer Konferenz endete nicht mit einem völkerrechtlichen Abkommen, sondern lediglich mit einem Schlusskommuniqué.  Artikel XIII des Potsdamer Kommuniqués konnte nicht und hat auch keine Legalisierung der Vertreibung der Deutschen bewirkt und konnte dies auch nich tun. Denn die Alliierten hatten keine unbeschränkte Verfügungsgewalt über das Leben der Ostdeutschen. Auch wenn es ein „Interalliiertes Transferabkommen“ gegeben hätte (und Artikel XIII stellt kein solches Übereinkommen dar), müsste es nach völkerrechtlichen Prinzipien beurteilt werden.

 

Nach dem Stand des heutigen Völkerrechts sind Zwangsumsiedlungen völkerrechtswidrig. Artikel 49 der IV. Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 verbietet Zwangsumsiedlungen. Artikel 17 des Zweiten Zusatzprotokolls von 1977 zu den Genfer Konventionen von 1949 verbietet ausdrücklich Vertreibungen auch in innerstaatlichen Konflikten. Vorläufige Evakuierungen sind ausnahmsweise nur dann gestattet, wenn zwingende militärische Gründe zu dem einzigen Zweck, die Bevölkerung zu schützen, dies erfordern. Unmittelbar nach Beendigung der militärischen Gefahr, müssen die Evakuierten in ihre Heimatorte zurückgeführt werden.  Evakuierungen der Zivilbevölkerung, die sowieso nur vorübergehend sein dürfen, sind illegal, wenn sie aus einer Lebensraumpolitik abgeleitet werden. In Friedenszeiten verstoßen Vertreibungen gegen die UNO-Charta, gegen die Menschenrechtserklärung vom 10. Dezember 1948, gegen die Menschenrechtspakte von 1966 und gegen die Internationale Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Sie verstoßen ebenfalls gegen das Vierte Protokoll der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, deren Artikel 3 besagt: „Niemand darf aus dem Hoheitsgebiet des Staates, dessen Staatsangehöriger er ist, durch eine Einzel- oder eine Kollektivmaßnahme ausgewiesen werden …“; und Artikel 4 dieser Konvention: „Kollektivausweisungen von Fremden sind nicht zulässig.“

 

In Kriegs- sowie Friedenszeiten stellen Vertreibung und Verschleppung völkerrechtliche Verbrechen dar. Gemäß Artikel 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs gelten Vertreibungen als Kriegsverbrechen, gemäß Art. 7 als Verbrechen gegen die Menschheit. Unter bestimmten Umständen verletzen Sie ebenfalls den Artikel 6 über den Völkermord.

 

Vertreibung und Verschleppung erfüllen  die Kriterien des Artikels II der UNO Konvention für die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948, wenn die Absicht des Vertreiberstaates nachweisbar ist, eine bestimmte Volksgruppe auch nur teilweise zu vernichten.  Dies war zweifelsohne die Absicht Titos und Benes’s, wie in ihren Reden und Dekreten ausreichend belegt.  Dies ist auch die Auffassung führender Völkerrechtslehrer u. a. Felix Ermacora und Dieter Blumenwitz.

 

Die Generalversammlung hat in ihrer Resolution 47/121 vom 18. Dezember 1992 die „ethnischen Säuberungen“, die seinerzeit in Jugoslawien stattfanden, als Völkermord eingestuft.  Diese Resolution wurde bestätigt und bekräftigt in unzähligen späteren Resolutionen, so in No. 48/143 vom Dezember 1993, 49/205 vom Dezember 1994, 50/192 vom Dezember 1995, 51/115 vom März 1997, usw. Auf der Basis der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafrechtstribunal für das ehemalige Jugoslawien lässt sich feststellen, dass die Vertreibung der Deutschen mit millionenfachen Morden und Schänden um ein Vielfaches schlimmer als die ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien war, und dass, wenn Srebenica Völkermord darstellt, dies auch für den Brünner Todesmarsch, das Massaker von Aussig, die Tötungen in den Lagern von Lamsdorf, Swientochlowice, Theresienstadt, Gakowo, Rudolfgnad, usw. ebenfalls gelten muss.

 

Bei den Vereinten Nationen wird seit zehn Jahren das Recht auf Wahrheit anerkannt. Alle Opfer haben einen Anspruch auf die Wahrheit und sie sollen darauf bestehen, denn Verbrechen, die durch Verschweigen und Unwahrheit versteckt bleiben, werden auch leichter wiederholt, während unzutreffende Verbrechensbeschuldigungen das Recht und die Menschenwürde, die Ehre und den Ruf der Beschuldigten erheblich verletzen (Artikel 17 des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte).

 

Das Völkerrecht gilt gleichermaßen für alle Menschen und Staaten. Darum sind die Staaten erga omnes  (gegenüber allen) verpflichtet, die Normen des Völkerrechts konsequent anzuwenden, ohne willkürliche Ausnahmen. Ein Staat gefährdet die Rechtssicherheit und stellt die Glaubwürdigkeit der völkerrechtlichen Rechtsordnung in Frage, wenn er nach unterschiedlichen Maßstäben handelt. Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit sind in gleichem Masse in allen denkbaren Situationen verwerflich, unabhängig von der Nationalität der Opfer.

 

Nach dem Prinzip ubi jus, ibi remedium, besitzen Flüchtlinge und Vertriebene Anspruch auf Rehabilitierung und Wiedergutmachung.  Sie haben ein Recht auf Rückkehr als auch ein Recht auf Restitution. Das Abkommen von Dayton, das der Krieg in Bosnien und Herzegowina 1995 beendete, hat diese Rechte anerkannt und durch die Human Rights Chamber in Sarajevo teilweise in die Tat umgesetzt.

 

Wenn eine Enteignung von Privateigentum im Zusammenhang mit einem Verbrechen gegen die Menschheit erfolgt bzw. Bestandteil eines Genozids ist, darf die Staatengemeinschaft diese Enteignung nicht anerkennen. Der Staat der Nationalität der  Opfer dieser Enteignungen ist zum diplomatischen Schutz seiner Bürger verpflichtet, denn die Ausübung des diplomatischen Schutzes ist in diesen Fällen keine Ermessensfrage mehr .

 

Alle Vertreibungsopfer haben einen Anspruch auf Reparationen. Der Staat kann auf dieses Recht nicht verzichten, denn es geht um die  individuellen Rechte Opfer eines nicht-verjährbaren Verbrechens.  Nur das Individuum kann auf die Einforderung seines Rechtes verzichten. Bekanntlich kann das Individuum keine Beschwerde beim Internationalen Gerichtshof in den Haag einreichen (nur Staaten sind berechtigt), aber es kann sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bzw. an das UNO Menschenrechtsausschuss wenden. Jede internationale Beschwerde setzt aber die Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtswege voraus.

 

Die Verharmlosung der Vertreibung der Deutschen beinhaltet eine schwere Menschenrechtsverletzung, denn sie bedeutet eine unzulässige Diskriminierung der Opfer.  In diesem Zusammenhang muss auf Artikel 26 des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte erinnert werden, der die Gleichheit aller Menschen garantiert und jede Willkür und Diskriminierung verbietet. Die Missachtung des Status der Vertriebenen als Opfer kann zudem eine Verletzung des Artikels 16 dieses UNO-Paktes beinhalten, der das Recht auf Anerkennung als Rechtsperson garantiert. Eine Verharmlosung der Vertreibung oder die Verleugnung der Vertreibungsverbrechen kann darüber hinaus eine Verletzung des Artikels 20 des UNO-Paktes darstellen, wenn eine Aufstachelung zu Hass, Erniedrigung und Diskriminierung beabsichtigt wird, oder zumindest stellt sie eine Verletzung des Artikels 17 des genannten UNO-Paktes dar, der Beeinträchtigungen der Ehre und des Rufes von Menschen verbietet.

 

15. Die deutschen Vertriebenen und ihre Nachkommen sind keine Opfer zweiter Klasse. Jede Diskriminierung der Vertriebenen in den Medien, in Schulbüchern, im politischen Dialog bedeutet eine Verletzung universeller menschenrechtlicher Normen.

 

Meine Damen und Herren

 

Der erste UNO-Hochkommissar für Menschenrechte Dr. Jose Ayala Lasso hat sich mit den ethnischen Säuberungen in Jugoslawien beschäftigt und eine Studie über die menschenrechtlichen Aspekte von Vertreibungen im Auftrag gegeben.  Er hat sich nicht nur mit den Ereignissen in Jugoslawien beschäftigt, sondern auch mit anderen Vertreibungen in Europa und der Welt.  Ayala Lasso hat sich der Ereignisse von 1945 gestellt und die deutschen Vertriebenen in ihrer Opfer Eigenschaft anerkannt. Er stellte am 28. Mai 1995 anläßlich der Gedenkstunde „50 Jahre Vertreibung“ in der Paulskirche zu Frankfurt a.M. fest:

„Das Recht, aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht …Ich bin der Auffassung, dass, hätten die Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr über die Implikationen der Flucht, der Vertreibung und der Umsiedlung der Deutschen, nachgedacht, die heutigen demographischen Katastrophen, die vor allem als ethnische Säuberungen bezeichnet werden, vielleicht nicht in dem Ausmaß vorgekommen wären. In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen zu sprechen kommen. Es ist gut, dass Menschen, die Unrecht gelitten haben, bereit sind, den Teufelskreis von Rache und Vergeltung zu brechen und sich auf friedlichen Wegen für die Anerkennung des Rechtes auf die Heimat und für den Wiederaufbau und die Integration Europas zu arbeiten. Eines Tages wird dieses Opfer besser gewürdigt werden.”

Zehn Jahre später, am 6. August 2005, sprach sich Ayala Lasso in Berlin anläßlich der Gedenkstunde „60 Jahre Vertreibung“ wie folgt aus:

 

„Das Recht auf die eigene Heimat ist allerdings nicht nur ein kollektives, sondern auch ein individuelles Recht und eine Grundvoraussetzung für die Ausübung zahlreicher bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte“

 

Die von Ayala Lasso veranlasste und begleitete Studie des UNO-Sonderberichterstatters Awn Shawkat Al-Khasawneh (heute Vizepräsident des Internationalen Gerichtshofes in den Haag) mundete in einem Schlussbericht vom Juli 1997, in welchem alle Vertreibungen verurteilt werden.  Der Bericht zog Schlussfolgerungen und formulierte eine Erklärung über die Völkerrechtswidrigkeit von Vertreibungen.  

Artikel 4 dieser UNO-Erklärung stellt fest:

1. Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden, Sicherheit und Würde in seiner Wohnstätte, in seiner Heimat und in seinem Land zu verbleiben.

2. Niemand darf dazu gezwungen werden, seine Wohnstätte zu verlassen

     

Artikel 6 stipuliert:

Jegliche Praxis oder Politik, die das Ziel oder den Effekt hat, die demographische Zusammensetzung einer Region, in der eine nationale, ethnische, sprachliche oder andere Minderheit oder eine autochthone Bevölkerung ansässig ist, zu ändern, sei es durch Vertreibung, Umsiedlung und/oder durch die Sesshaftmachung von Siedlern oder eine Kombination davon, ist rechtswidrig.
 

Artikel 7 besagt

Bevölkerungstransfers oder -austausche können nicht durch internationale Vereinbarungen legalisiert werden –

Also, auch die Potsdamer Vereinbarungen könnten die Vertreibung der Deutschen nicht legalisieren, und sie haben auch keine Legalisierung erwirkt, obwohl polnische und tschechische Journalisten, Politiker und Historiker dies behaupten, und sogar einige deutsche Medien es auch so gelten lassen wollen.
 

Artikel 8

Jeder Mensch hat das Recht, in freier Entscheidung und in Sicherheit und Würde in das Land seiner Herkunft sowie innerhalb dessen an den Ort seiner Herkunft oder freien Wahl zurückzukehren. Die Ausübung des Rückkehrrechts schließt das Recht der Opfer auf angemessene Wiedergutmachung nicht aus, einschließlich der Rückgabe von Gütern, die ihnen im Zusammenhang mit dem oder als Ergebnis des Bevölkerungstransfers entzogen wurden, Entschädigung für jegliches Eigentum, das ihnen nicht zurückgegeben werden kann und allfällige andere, völkerrechtlich vorgesehene Reparationen.

Diese Erklärung wurde von der UNO Menschenrechtskommission im Jahre 1998 angenommen und anschliessend vom Wirtschafts- und Sozialrat verkündet.  Zwar hat die Generalversammlung diese Erklärung noch nicht verabschiedet – aber, meine Damen und Herren, haben Sie Geduld – denn die Generalversammlung nimmt sich immer ihre Zeit – so hat sie beinahe 20 Jahre gebraucht, um eine Erklärung über die Rechte der Autochthonen Völker zu verabschieden.

Nun komme ich auf meine Feststellung zurück, dass Vertreibung Völkermord ist.  Welche Kriterien müssen nach der Konvention vom 9. Dezember 1948 erfüllt werden?

 

Die Völkermordkonvention spricht von der „Absicht“, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören – z.B.

  1. durch Tötung von Mitgliedern der Gruppe
  2. durch Verursachung von schweren körperlichen oder seelischen Schäden an Mitgliedern der Gruppe,
  3. durch Auferlegung von Lebensbedingungen, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder nur Teilweise herbeizuführen.

 

Den Beweis dieser Tatbestände liefern abertausende Erlebnisberichte der Opfer – und zwar nicht nur in der Ost-Dokumente des Bundesarchivs, sondern auch in den einschlägigen Beständen in den britischen, amerikanischen und schweizerischen Archiven.  Auch die Beobachtungen von amerikanischen Politikersn wie Robert Murphy, James Byrnes und General Eisenhower, sowie von britischen Persönlichkeiten wie Victor Gollancz, Bishop Bell of Chichester und Bertrand Russell belegen die Tötungen und die schweren körperlichen und seelischen Schäden, die die deutschen Vertriebenen erlitten haben. 

 

Was die Absicht der Täter betrifft, belegen vor allem die Benes Dekrete Nr. 12, 33 und 108 diese Absicht, auch die Reden und Erklärungen von Benes, Ripka, Bierut, Tito und anderen Politikern in Polen, der Tschechoslowakei und Jugoslawien. 

 

Noch schlimmer und unmenschlicher als die Vertreibungen der Reichs- und Volksdeutscher waren die Verschleppungen zur Sklavenarbeit im Ural, Workuta, Sibirien.  Etwa 1.8 Millionen deutsche Zivilpersonen wurden unter furchtbaren Bedingungen verschleppt, und nach angaben des Roten Kreuzes starben schätzungsweise 35% dieser unglücklichen „Reparationsverchleppte“.  Diese Verschleppungen verletzten in besonders eklatanter Weise die Bestimmungen der Haager Landkriegsorgnung und stellten im Sinne vom Artikel 6(b) und vom Artikel 6(c) des Nürnberger Statuts Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit dar.  Allerdings wurde keiner wegen dieser Megaverbrechen vor einem Tribunal gebracht, geschweige denn bestraft.

 

Meine Damen und Herren

 

Die andere Seite des völkerrechtlichen Vertreibungsverbotes ist eben das Recht auf die Heimat.  Die Vereinten Nationen haben in etlichen Resolutionen die drei Hauptelemente des Rechtes auf die Heimat anerkannt:

1) das Recht, in Sicherheit und Würde in der Heimat zu verbleiben,

 2) das Recht von Flüchtlingen und Vertriebenen, in die Heimat zurückzukehren,

und 3) das Recht auf Restitution.

 

Diese Rechte wurden in Resolutionen des Sicherheitsrates, der Generalversammlung und der UNO-Menschenrechtskommission bezüglich der 200,000 Zyprioten, die 1974 bei der Invasion Zyperns durch die Türkei vertrieben wurden, anerkannt und bestätigt.  Dies taten ebenfalls die Europäische Menschenrechtskommission und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in mehreren Urteilen gegen die Türkei.

Bezüglich das Recht aus Entschädigung besteht im allgemeinenVölkerrecht die Norm, dass Privateigentum ohne Entschädigung nicht beschlagnahmt werden kann.  Das Recht, Repressalien zu nehmen erstreckt sich nur auf Staatseigentum, nicht aber auf private Häuser, Frabriken, Bankanlagen usw.

 

Die Völkerrechtswidrigkeit von Konfiskationen Privateigentums  wurde auch in mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgestellt, z.B. in den Urteilen von 1996 und 1998 im Fall Loizidou v. Türkei.  Im übrigen wurden die Loizidou Urteile z.T. umgesetzt, und am 3. Dezember 2003 erhielt Frau Titina Loizidou mehr als eine Million Euro als Entschädigung für ihr in Nordzypern widerrechtlich beschlagnahmtes Eigentum.  Ihr Recht auf Rückkehr in die Heimat bleibt jedoch unerfüllt.

 

Der UNO-Menschenrechtsausschuss, dessen Sekretär ich war, hat die Republik Tschechien in drei Fällen betreffend Sudetendeutschen verurteilt:

 

Des Fours Walderode gegen Tschechien

Petzoldova gegen Tschechien

und

Czernin gegen Tschechien

 

Jedoch hat die Tschechische Republik diese Urteile bis heute nicht in die Tat umgesetzt.  Dies hat der Ausschuss im Juli 2007 schwer moniert, anlässlich der Untersuchung des zweiten Staatenbericht Tschechiens. 

 

Wie Sie sehen, sind das Völkerrecht und seine Umsetzung nicht identisch.  So können das Rückkehrrecht und das Recht auf Restitution nicht immer verwirklicht werden.  In der Tat warten Millionen von Diaspora-Palästinensern auf Rückkehr in Palästina, auch Millionen von Diaspora-Armeniern.

 

Meine Damen und Herren,

 

Es gilt, mit den Normen des Völkerrechts an die Weltöffentlichkeit zu gehen und solidarisch die gleichen Rechte der deutschen Vertriebenen zu artikulieren und dafür Anerkennung, Rehabilitierung und Restitution zu verlangen.

 

Um das Informationsdefizit der Weltöffentlichkeit zu überwinden, müssen die Medien darüber berichten, die Universitäten weiterhin forschen und lehren, Wanderausstellungen für das allgemeine Publikum organisiert werden. Darum ist auch das Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin so wichtig – sowie auch die Ausstellung „Erzwungene Wege“, die z.Zt. in Stuttgart gastiert.  

 

Ihnen wünsche ich Kraft und Beharrlichkeit.  Sie können davon überzeugt sein, dass das Völkerrecht und die Menschenrechte auf Ihre Seite stehen.

 

Aber das Völkerrecht ist eben keine Mathematik. Wenn es so wäre, so hätten Sie Restitution und Rückkehrrecht schon verwirklicht.

 

Trotzdem, wie Ovidius es sagte. Gutta cavat lapidem – stete Tropfen höhlt den Stein. Darum sollen Sie auf Ihre Menschenrechte bestehen, denn das Völkerrecht ist nur dann gerecht, und die Menschenrechte sind nur echt, wenn sie in allen Situationen gleich für alle Menschen und Völker angewandt werden.

 

Meine Damen und Herren,

 

Das Völkerrecht ist kein Selbstbedienungsladen, wo man à la carte das nimmt und das beiseite lässt. Wenn das Völkerrecht für die Polen, Tschechen, Slowaken, Slowenen, Kroaten, Bosniern, Serben, Armeniern, Türken und Griechen  gilt

So gilt es genauso für die Deutschen und für die Österreicher – sie gilt ohne Diskriminierung. Sie gilt für alle Vertriebenen und Ihre Nachkommen.

 

Was fehlt ist nämlich politischer Wille und intellektuelle Redlichkeit bei den Medien, bei den Historikern, bei den Juristen, bei den Politikern – in Polen, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Kroatien, Serbien – aber auch in Österreich und in Deutschland. 

 

Man braucht diese ungerechte Situation nicht hinzunehmen.  Also, liebe Südmährer, resignieren Sie nicht, denn Verzicht erlaubt nur die Fortsetzung und die Wiederholung des Unrechts.

 

Die Menschenwürde ermächtigt Sie, auf Ihre Menschenrechte zu bestehen.

 

Bis dahin freuen Sie sich über Ihre so reiche Kultur.  Freuen Sie sich über Adalbert Stifter und Franz Schubert und Rainer Maria Rilke.  Mich hat die deutschböhmische und deutschmährische Kultur bereichert und beglückt.  Dafür danke ich den Sudetendeutschen insgesamt und Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

 

Professor Dr.iur. et phil. Alfred de Zayas

Geneva School of Diplomacy

zayas@bluewin.ch

www.alfreddezayas.com

Autor der Bücher

Die Nemesis von Potsdam, 14. erweiterten Ausgabe, Herbig, München 2005.

Die Deutschen Vertriebenen, 5. erweiterte Ausgabe, Ares/Leopold Stocker Verlag, Graz, 2006

Heimatrecht ist Menschenrecht, Universitas Verlag, München, 2001.

Rainer Maria Rilke: Larenopfer.  Zweisprachige kommentierte Ausgabe, Red Hen Press, 2. verbesserte Ausgabe, Los Angeles 2008.

50 Thesen zur Vertreibung, Verlag Inspiration Un Limited, München 2008 (www.verlag-inspiration.de, info@verlag-inspiration.de)

Am 20. April 2005 wurde von der UNO-Menschenrechtskommission die einschlägige Resolution 2005/66 angenommen, UN Doc. E/CN.4/2005/66. Siehe auch Yasmin Naqvi, "The right to the truth in international law: fact or fiction?" International Review of the Red Cross, volume 88, Juni 2006, S. 245-273.

In den Erinnerungen von Konrad Adenauer lesen wir:  „Es sind Untaten verübt worden, die sich den von den deutschen Nationalsozialisten verübten Untaten würdig an die Seite stellen.“ DVA, Stuttgart, 1965, Band I, S. 186.

Dieter Blumenwitz, Rechtsgutachten Über die Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948, München 2002. Felix Ermacora, Die Sudetendeutschen Fragen. Rechtsgutachten. München, 1992.

Siehe UNO-Unterkommission für Menschenrechte, Resolutionen 2002/30 und 2005/21 sowie den Schlußbericht der Unterkommission über Vertreibung und die Menschenrechte UN Doc E/CN. 4/Sub. 2/1997/23 und die Ausführungen des ersten UN-Hochkommissars für Menschenrechte Dr. José Ayala Lasso vom 28. Mai 1995 in Frankfurt a. M. und 6. August 2005 in Berlin.  Siehe auch Pinheiro Principles on Restitution http://domino.un.org/pdfs/ocha_pinheiro_principles.pdf.                                                                                                                

 

Eckart Klein, Diplomatischer Schutz im Hinblick auf Konfiskationen deutschen Vermögens durch Polen, Bonn 1992. Dieter Blumenwitz, Das Offenhalten der Vermögensfrage in den deutsch-polnischen Beziehungen, Bonn 1992.

 

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