MULTILATERALISMUS IM 21 JAHRHUNDERT
ALFRED de ZAYAS - Aula der Universität Tübingen, 11. Mai 2019
Meinen Gruss zuvor!
Verehrte Professoren und Professorinnen, Liebe Gäste
meine Damen und Herren,
Unsere Weltprobleme bedürfen globaler Lösungen in internationaler Solidarität, durch multilaterale Konsultation, Kooperation und Verhandlung. Schliesslich leben wir alle auf diesen einen Planet und müssen miteinander auskommen. Wir müssen unseren Nächsten nicht immer als potentiellen Feind fürchten sondern vielleicht auch als potentiellen Partner sehen.
Multilateralismus bedeutet nicht “Global Governance” oder erzwungene Globalisierung. Er benötigt nicht das Verschwinden der Nationalstaaten oder gar der Staatsgrenzen. Multilateralismus bedeutet Dialog zwischen den grossen Staaten und den Kleinen, im Sinne der Artikel 1 und 2 der UNO Charta , der Resolutionen der Generalversammlung, der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, der Weltgesundheitsorganisation, der Welthandelorganisation, der UNESCO.
Zwar ist die UNO keine Weltregierung, keine supranationale Struktur, die alles vorschreibt. Die Organisation bietet vielmehr die Möglichkeit einer sinnvollen Koordinierung freier Staaten, fördert wirtschaftliche und politische Effizienz, und vermeidet Konflikte durch Verhandlungen.
Im Gegensatz zu Unilateralismus bzw. Exzeptionalismus oder Hegemonialismus, stellt der Multilateralismus keinen Gegensatz zum Regionalismus dar. Er achtet das Selbstbestimmungsrecht der Völker -- auch der Deutschen – die Souveränität der Staaten, das Recht auf die eigene Kultur, eigene Traditionen, und auch auf die eigene religieuse Weltanschauung. Somit muss der Multilateralismus -- richtig verstanden und praktiziert -- auch die Grundwerte europäischer Kultur achten.
Multilateralismus darf aber nicht zur Diktatur der Oligarchien oder der sog. “Eliten” ausarten, sondern muss stets auch das vox populi hören und sich durch echte Konsultationen und Referenden legitimieren. Denn die Völksvertreter sind Diener, nicht Herrscher, müssen tatsächlich vertreten und das tun, was die Wähler bestimmt haben. Mit anderen Worten, Entscheidungen über NATO Einsätze, Waffengeschäfte mit krigeführenden Staaten wie Saudi Arabien und Yemen, militärische Interventionen in Afghanistan, Iraq, Syrien, Freihandelsverträge wie TTIP und TISA dürfen nicht angenommen oder durchgeführt werden, es sei denn, dass die Wähler befragt werden sind und sich damit einverstanden erklären. “Freihandelsverträge”, die die soziale Gesetzgebung eines Staates gefährden, haben keine Legitimität, und dürfen nicht “top down” erzwungen werden , wie es bisher der Fall gewesen ist. Ich bin seit 2017 schweizer Bürger und schätze die schweizerische semi-direkte Demokratie, die eigentlich ganz gut funktioniert. In diesem Jahr allein habe ich bereits zehn Fragen per Referendum beantwortet. Dies gibt uns Bürger das Gefühl, dass unsere Sorgen und Meinungen tatsächlich ernstgenommen werden. Die sog. representative Demokratie in den Vereinigten Staaten ist insofern undemokratisch, denn mein Senator und meine Congresswoman tun was sie wollen, bzw. was die Lobbies befehlen. Man fühlt sich machtlos, denn unsere “Vertreter” repräsentieren uns nicht, und es macht nichts aus, ob man Republikaner or Demokrat wählt – regieren tun die Finanz und die Korporationen. Eigentlicht regieren nicht die Politiker, die gewählt werden, sondern der “Deep State”, jene Mächte, die niemals gewählt wurden.
Jedes Volk hat ein Recht, die eigene Zukunft zu gestalten, die eigene Prioritäten zu setzen, das eigene Tempo zu bestimmen. Diese ontologischen Rechte dürfen nicht eingeschränkt werden – nicht durch eine Weltregierung, nicht durch die Ketten von Freihandelsverträgen, Auflagen des Internationalen Währungsfonds , oder durch totalitäre EU Gesetze zur Bildung einer Einheitsmeinung und einer Einheitspolitik. Ich habe zu diesem Themen Berichte für die UNO Generalversammlung und UNO Menschenrechtsrat verfasst. Freie Menschen lehnen die Gleichschaltung ab, wollen keine Homologation des Glaubens, kein erzwungenes Multi-kulti, keine "politische Korrekheit", die die eigene Persönlichkeit und Identität unterdruckt, die zur Zensur und Selbst-Zenzur führen (siehe Anlagen I und II zu meinen 2018 Bericht an den UNO Menschenrechtsrat ). Multilateralismus heisst nicht Unterwerfung – heisst aber internationale Solidarität für den Frieden, Entwicklung und Menschenwürde.
Nun streben wir eine Zusammenarbeit aller Menschen und Kulturen im Sinne der UNESCO an, eine Freundschaft unter Gleichen, die keine Orwellsche Dystopie duldet, sondern die Eigenschaften von jeden von uns bewahrt und bekräftigt. Darum brauchen wir kein Atlantic Council, kein Bilderberg, kein Council on Foreign Relations, keine Illuminati, keine Trilateral Commission, und auch keinen Globalen Migrationspakt und auch keinen Globalen Flüchtlingspakt. Was wir brauchen, ist guten Willen und vor allem Ethik, etwas, das bei vielen Politikern in Amerika, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland - abhanden gekommen ist.
Unsere Vorfahren haben 1945 eine Weltorganisation gegründet, wo sich die Staaten, die Völker, die Zivilgesellschaft treffen können, um gemeinsame Probleme zu diskutieren. In der heutigen Welt ist so eine Organisation unerlässlich, und wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erschaffen, vor allem in Hinblick auf die Gefahren von Nuklearwaffen, chemischen Waffen, Biowaffen, künstliche Intelligenz, Naturkatastrophen, Epidemien, Klimawandel, Desertifikation, Verlust der Biodiversität, usw. Diese Probleme, die die ganze Menschheit bedrohen. Im Sinne des Multilateralismus spricht man auch von der Schaffung einer UNO-Parlamentarischen Versammlung, bzw. eine World Parliamentary Assembly, die auch mehr Raum für den Multilateralismus ermöglichen würde . Leiter dieser Bewegung ist der Berliner Politologue Andreas Bummel.
Multilateralismus ist keine neue Ideologie. Bereits im 16. Jahrhundert schrieb Erasmus von Rotterdam an den Reformator Zwingli „Me velle civis totius mundi non civis oppidi“: Nicht Bürger dieser Stadt, sondern Bürger der ganzen Welt wolle er sein. Man kann aber Weltbürger und Europäer sein, Weltbürger und Deutscher, Weltbürger und Amerikaner sein. Rainer Marie Rilke hat ein einschlägiges Gedicht geschrieben – In Dubiis, aus dem 90- Gedichtyzyklus “Larenopfer”. Jenes Gedicht endet mit den Worten:
Ist sein Heim die Welt, es misst ihm
doch nicht klein der Heimat Hort;
denn das Vaterland, es ist ihm
dann sein Haus im Heimatsort.
Ich habe diesen Zyklus ins englische Übersetzt und in Amerika veröffentlicht, mit einem schönen Vorwort vom Papst der Rilke und Hesse-Forschung, Professor Ralph Freedman, ein emigrierter Deutscher aus Hamburg. Demanächst erscheint meine Übersetzung des Zyklus “Das Lied des Lebens” von Hermann Hesse, der hier in Tübingen kein unbekannter ist! Tatsächlich absolvierte Hesse zwischen Oktober 1895 und Juni 1899 eine dreijährige Buchhändlerlehre. Er arbeitete als Gehilfe in der Heckenhauerischen Buchhandlung, Holzmarkt 5, und wohnte in der Herrenberger Straße 28 zur Untermiete. Er entwickelte sich weiter zu Romanschreiber und Dichter – und Befürworter des Friedens und des Multilateralismus.
Es gibt eine lange Ahnenreihe aufklärerisch gesinnter Protagonisten eines europïschen Multilateralismus, neben Erasmus auch Leibniz, Rousseau, und Immanuel Kant, die mit einer Sehnsucht nach einer friedlicheren Welt verbunden waren.
Nach der Katastrophe des ersten Weltkrieges versuchte man, eine multilaterale Organisation zu gründen, den Völkerbund, der keine effektive Verhandlungsmechanismen entwickelte und leider den zweiten Weltkrieg nicht verhindern konnte.
Am 24. Oktober 1945 ist die Charta der Vereinten Nationen in Kraft getreten und man kann feststellen, dass die Vereinten Nationen bisher viel erfolgreicher gewesen ist als der Völkerbund es jemals war. Damals fehlten die Kultur und die Mechanismen des Multilateralismus. Die UNO hat durch multilaterale Verhandlungen bewiesen, dass viele Herausforderungen der modernen Welt durch diplomatische Konferenzen, Vereinbarungen, Abkommen, Protokolle, Deklarationen gemeistert werden konnten; durch Vereinbarungen, in denen alle Bereiche des menschlichen Lebens kohärent koordiniert werden können. Spezialisierte Organisationen, wie die Weltgesundheitsorganisation, Weltorganisation für geistiges Eigentum, Internationale Arbeitsorganisation, Internationale Atomenergieorganisation, Internationale Zivilluftfahrorganisation, tragen zur Weltsicherheit bei.
Die Charta der Vereinten Nationen liefert eben das Credo des Multilateralismus.
In der Präambel der Charta verpflichten sich die Staaten und die Völker der Vereinten Nationen, "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren", im Glauben an die Grundrechte des Menschen, an die Würde und Wert der menschelichen Persönlichkeit, und so den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit für alle zu fördern. Für diese Zwecke verpflichten sich die Staaten, "Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden mitendander zu leben, ... (und die) Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren."
Leider dauerte die Kooperation der Siegerstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht allzu lange, und die Welt erführ über 40 Jahre den sog. kalten Krieg und mehrere gefährliche Momente. Wenn die Organisation der Vereinten Nationen nicht existiert hätte, wäre die Welt vielleicht schon längst in einen dritten Weltkrieg gestolpert, denn Spannungen gab es genug, z.B. die Kubakrise vom Oktober 1962, als die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion durch Ihre UNO-Botschafter Adlai Stevenson III. und Valentin Zorin ihre Meinungsverschiedenheiten öffentlich und friedlich austragen konnten, und dadurch konnte ein Kompromiss endlich erreicht werden.
Der Fall der Berliner Mauer in 1989 und die Politik von Michail Gorbachov führten zur Dissolution der Sowjetunion und der Abschaffung des Warschauer Paktes. Ich entsinne mich, was für Hoffnung und Optimismus wir alle empfanden. Ein Ende der nuklearen Konfrontation, des Wettrüstens schien erreichbar. Endlich konnte die Welt aufatmen und hoffen, dass Abrüstung zur Entwicklung in der Welt führen würde . Es ist ja skandalös, dass in Amerika noch 40% des Haushaltes für militärische Ausgaben verschwendet werden, und dass Trump von den Europäern verlangt, dass sie noch mehr für das Militär ausgeben, wenn, was nötig ist, ist nämlich Frieden-Stiften und Kooperation zwischen den Staaten, nicht die künstliche Schaffung von Feinbildern und ständige Kriegspropaganda. Man denke, was man im eigenen Lande für das Gesundheitswesen, Erziehung, Instandhaltung von Brücken, Staudämme usw. bei reduzierten Militärausgaben hätte erreichen können.
Hätten die Vereinigten Staaten und die Europäer die Entspannung verantwortungsvoll genützt, hätte eine Welt der Sicherheit durch Multilateralismus entstehen können. Die Nato wurde aber nicht wie der Warschauer Pakt aufgelöst -- sondern erheblich gestärkt. Ich halte es für eine kurzsichtige, ja zynische Provokation, dass die Vereinigten Staaten das Versprechen an Gorbachev, die NATO nicht nach Osten auszudehnen , brach, und dass die Europäer fröhlich mitmachten. Kein Wunder, dass sich Russland sehr direkt bedroht fühlte und fühlt. Somit war die Hoffnung auf nukleare Absrüstung, auf internationale Kooperation und auf Multilateralismus bewusst durch Washington zerstört.
Nichts ist der Ideologie des Multilateralismus feindlicher, als der hegemoniale Anspruch der Vereinigten Staaten, seine Politik von Witschaftskriegen, Finanzblockaden und Sanktionen gegenüber politische und wirtschaftliche Rivalen, sowie die Erpressung anderer Staaten - sogar von befreundeten Staaten wie Deutschland.
Wiederholte Male hat die UNO Generalversammlung Sanktionen und unilaterale Zwangsmassnahmen als menschenrechtsfeindlich verworfen, auch die UNO unter-Kommission für Menschenrechte in einem ausführlichen Bericht im Jahre 2000, auch der Menschenrechtsrat in mehreren Resolutionen, ebenfalls der UNO Sonderberichtserstatter über Sanktionen, Idriss Jazairy . Man hat dokumentiert, dass Wirtschafts-Sanktionen töten, und dass sie mit den Menschenrechten nicht in Einklang gebracht werden können. Nicht nur die unilateralen Sanktionen, sondern auch die vom UNO Sicherheitsrat gegen den Iraq 1991-2003 verhängten Sanktionen, die zum Tode von mehr als eine Million Irakern führten. Meine Freunde und Kollegen Denis Halliday und Hans-Christoph Graf von Sponeck sind beide von ihren Ämtern in Baghdad aus Protest zurückgetreten, weil sie die Sanktionen als eine Art des "Genozids" ablehnten.
Man möchte beinahe sagen, dass im Vergleich zur heutigen Situation sich die alte Bipolarität der Welt in den Jahren 1945 bis 1990 eher als friedensfördernd erwies. Im Zeitalter des Unilateralismus der Vereinigten Staaten sahen wir den illegalen Einsatz der NATO in Jugoslawien im Jahre 1999 sowie auch die völkerrechtswidrige Invasion und Zerstörung Iraks im März 2003, vielleicht die größte Verletzung der UNO-Charta und der Nürnberger Prinzipien seit dem zweiten Weltkrieg. Mein ehemaliger Chef, der 2018 verstorbene Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat wiederholte Male den Irakkrieg als "illegalen Krieg" bezeichnet.
Ich darf die UNO-Charta noch einmal in Erinnerung rufen. Im Artikel 1, Absatz 1, wird das Hauptziel der Vereinten Nationen formuliert: "den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmassnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach dem Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen."
Im Absatz zwei des ersten Artikels beabsichtigt die Organisation "freundschaftliche, auf der Achtung von dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln, und andere geeignete Massnamen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen."
In Absatz drei wird auf eine internationale Zusammenarbeit abgestellt, "um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen" und die Menschenrechte für alle zu verwirklichen.
Was erwartem wir denn vom Multilateralismus?
Konkret im Artikel 2, Absatz 3, verpflichten sich die Staaten, ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel beizulegen, so dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Noch wichtiger, im Absatz 4, verpflichten sich die Staaten jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen. – Wie viele Androhungen hören wir aus Washington ? Gegen Nordkorea, gegen Venezuela, gegen Cuba, gegen Nicaragua, gegen den Iran, usw. Alles völkerrechtswidrig - und leider in totaler Impunität.
Deshalb ist es so wichtig, dass Staaten die Kooperationsorgane der Vereinten Nationen nützen, so z.B. die Generalversammlung, den Menschenrechtsrat, den Wirtschafts- und Sozialrat, die Abrustungskonferenz, UNCTAD, UNHCR, und die spezialisierten Organisationen wie UNESCO, UNICEF, Weltgesundheitsorganisation, Welt-Bank, Internationale Währungsfonds, Welt Handels Organisation usw..
Kapitel VI der UNO Charta ist der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten gewidmet. Im Artikel 33 wird die Beilegung durch Verhandlung, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen, oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl.
Kapitel VIII ist den regionalen Abmachungen gewidmet. Die Europäische Union ist eine solche regionale Abmachung. Auch die NATO. Nun stipuliert der Artikel 53 der Charta dass "ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats dürfen Zwangsmassnahmen auf Grund regionaler Abmachungen oder seitens regionaler Einrichtungen nicht ergriffen werden.” Mit anderen Worten, die EU- Sanktionen z.B. gegen Russland sind mit der UNO Charta nicht in Einklang zu bringen. Umso weniger, die militärischen Interventionen in Jugoslawien und Irak. Im Falle Libyens gab es zwar eine Reosultion zur “humanitären Hilfe” - Resolution 1973 -- die allerdings schamlos gebrochen wurde, denn die Resolution hatte keine militärischen Aktionen erlaubt, und gewiss nicht die Bombardierung der Zivilbevölkerung Libyens.
Als besonders gefährlich für den Weltfrieden muss also die Theorie der "humanitären Intevention" bzw. der "Responsability to Protect" bezeichnet werden. Keine von beiden "Doktrinen" beruht auf einer verbindlichen, vertraglichen Vereinbarung und keine kann das Gewaltverbot im Artikel 2(4) der Charta abändern.
Gäbe es sogar einen Vertrag zwischen NATO Staaten, um in Venezuela zu intervenieren, wäre dieser Vertrag null und nichtig -- und zwar ex tunc – denn es wäre contra bonos mores und gegen Artikel 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention. Außerdem muss man hier auf Artikel 103 der UNO Charta erinnern, der stipuliert: "Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta vorrang".
Wohin dann mit dem Multilateralismus?
Ein Blick in den Kapitel IX der UNO-Charta is lehrreich. Artikel 55 stipuliert, dass "um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker beruhende Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen: a) die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg; b) die Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art sowie die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebieten der Kultur und der Erziehung; c) die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion.“
Artikel 56 ferner: "Alle Mitgliedstaaten verpflichten sich, gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Artikel 55 dargelegten Ziele zu erreichen."
Zuweilen scheint es aber, als ob dieser Verpflichtungen nur auf dem Papier stehen, denn die Politik von vielen Staaten wiedersprechen sie.
Der Statut von Rom war ein Versuch, das internationale Strafrecht durch einen internationalen juristischen Mechanismus zu stärken. Es beteiligen sich 132 Staaten daran, aber wichtige Staaten, wie die Vereinigten Staaten unterminieren den Internationalen Gerichtshof. Nichts ist mehr contra bonos mores, mehr gegen Geist und Buchstabe des ICC-Vertrages, als die US- bilatera-len Verträge mit etwa 80 Staaten, um zu verhindern, dass US-Bürger vor dem ICC kommen. Diese bilateralen Immunitäts- bzw. Impunitäts-Verträge verstoßen gegen das allgemeine Völkerrecht, gegen den Zweck des Rom-Statuts und gegen den Multilateralismus. Ähnlich haben die Vereinigten Staaten Ihre internationalen Verpflichtung im Vertrag über Nukleare Mittel-streckenraketen , das Atomabkommen mit Iran , das Pariser Klimaabkommen , den Arms Trade Treaty über Handel in konventionellen Waffen , das Fakultativprotokoll zur Wiener Konvention über Diplomatische Bezielungen , das Protokoll zur Streitbeilegung usw. gekündigt . Ferner hat die US fundamentale Prinzipien der Weltordnung verworfen z.B. bei der Anerkennung der israelischen Hoheit über die Golan Höhen , ein frontaler Attack gegen Sicherheitsrat Resolutionen 242, 338, 497 , gegen das Völkerrecht und den Multilateralismus.
Mein eigenes Land, die Vereinigten Staaten sind die grösste Gefahr für den Multilateralismus und für den Weltfrieden geworden. Mein eigener Präsident benimmt sich wie ein Outlaw im Wilden Westen – ein Verräter gegen den Geist der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wofür Eleanor Roosevelt und andere so viel geleistet hatten.
Ich würde es begrüßen, wenn künftig Deutschland in der UNO eine unabhängigere Politik vertreten würde, unabhängig von den Vereinigten Staaten und unabhängig von der EU. Deutschland sollte seine guten Dienste als Vermittler anbieten, z.B. zwischen Katalonien und Spanien, und zwischen Regierung und Opposition in Venezuela. Ich bin durchaus der Meinung des Abgeordneten Armin-Paul Hampel, der die Anerkennung von Juan Guaidó durch Aussenminister Haas als unklug anprangerte. Da hat Deutschland eine Gelegenheit verpasst, sich als Mediator zu profilieren.
Christicher Multilateralismus
Papst Benedikt XVI war stets ein Befürworter des Multilateralismus und des Friedens. Er bezog sich auf die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit und auf die sieben geistigen Werke. Wichtig ist, dass die Barmherzigkeit sich nicht nur auf materielle Dinge bezieht. "Wenn wir nur für das Materielle sorgen, tun wir zu wenig. In der Entwicklungshilfe ist deshalb den Witerschauenden immer klar gewesen, wie wichtig est ist, den Menschen die eigene Bildung zu geben, die sie befähigt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Nur wenn wir dem Geist helfen, wenn wir dem ganzen Menschen helfen, helfen wir wirklich."
Papst Franziskus hat stets für Frieden und Multilateralismus plädiert. In seiner Jahresbeginn Ansprache an das diplomatische Corps im Vatikan erinnerte er daran, dass 2019 das hundertjärige Jubiläum der Gründung des Völkerbundes darstellt, “der Anfang multilateraler Diplomatie, wobei Staaten versuchen, ihre gegenseitige Beziehungen weg von der Herrschaftsmentalität, die zum Krieg führt, zu befreien”. Ferner sagte der Papst, dass “unerlässlich für den Erfolg multilateraler Diplomatie ist der gute Wille und der gute Glaube aller Seiten, ihre Bereitschaft, sich gegenseitig offen und aufrichtig zu verhalten, und ihre Bereitschaft Kompromisse einzugehen. Fehlt eine dieser Bedingungen, suchen die Staaten unilaterale Lösung, die dann die Herrschaft der Starken über die Schwachen begründet.”
In seiner Enzyklika "Laudato Si" erinnert der Papst uns an unsere kollektiven Verpflichtung und Verantwortungen anderen gegenüber, auch gegenüber der Umwelt. “Die Sorge um die Natur, die Gerechtigkeit gegenüber den Armen, das Engagement für die Gesellschaft und der innere Friede sind untrennbar miteinander verbunden“.
“Wenn wir uns der Natur und der Umwelt ohne diese Offenheit für das Staunen und das Wunder nähern, wenn wir in unserer Beziehung zur Welt nicht mehr die Sprache der Brüderlichkeit und der Schönheit sprechen, wird unser Verhalten das des Herrschers, des Konsumenten oder des bloßen Ausbeuters der Ressourcen sein, der unfähig ist, seinen unmittelbaren Interessen eine Grenze zu setzen.”
Und wieder: “Es gilt, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen.”
Genau darum geht es im Multilateralismus.
J. G. Ruggie (Hg.): Multilateralism Matters: The Theory and Praxis of an Institutional Form, New York 1993.Miles, Kahler, “Rising Powers and Global Governance”, in International Affairs, Volume 89, Issue 3, 1 May 2013, Pages 711–729. John Gerard Ruggie, “Multilateralism: The Anatomy of an Institution,” in International Organization, Summer 1992, pp. 561-598.
https://www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_632116/lang--de/index.htm
https://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/72/187
Rainer Maria Rilke, “Larenopfer”. Übersetzung de Zayas (Red Hen Press, Los Angeles 2008)
In dubiis
Es dringt kein Laut bis her zu mir
von der Nationen wildem Streite,
ich stehe ja auf keiner Seite;
denn Recht ist weder dort noch hier.
Und weil ich nie Horaz vergaß,
bleib gut ich aller Welt und halte
mich unverbrüchlich an die alte
aurea mediocritas.
II
Der erscheint mir als der Größte,
der zu keiner Fahne schwört,
und, weil er vom Teil sich löste,
nun der ganzen Welt gehört.
Ist sein Heim die Welt; es misst ihm
doch nicht klein der Heimat Hort;
denn das Vaterland, es ist ihm
dann sein Haus im Heimatsort.
In doubt
No sound nor sense I hear
of the nations’ angry strife.
No side I favour, only life,
for justice is not there nor here.
I never can forget Horace,
and show good will to every class,
observing wise old maxims as
aurea mediocritas .
II
I hold a person in esteem
who will not swear to flags unfurled,
remaining free from every scheme,
belonging to the open world.
And be the globe a home for all,
one misses still the native earth,
the homespace, intimate and small,
for such is patriotism worth.
Hesse, Spätsommer, aus dem Zyklus “Das Lied des Lebens”
Noch einmal, ehe der Sommer verblüht,
wollen wir für den Garten sorgen,
die Blumen giessen, sie sind schon müd,
bald welken sie ab, vielleicht schon morgen.
Noch einmal, ehe wieder die Welt
irrsinning wird und von Kriegen gellt,
wollen wir an den paar schönen Dingen
uns freuen und ihnen Lieder singen.
Late summer
Once more, before the summer blossoms out,
let us again our garden tend,
the flowers water, they look weathered out,
and soon they wilt, tomorrow they may end.
Once more, before the planet goes insane
and sinks again in howling wars and wrongs,
let’s cherish those good things that do remain,
take pleasure in them, sing them songs.
http://www.un.org/documents/ga/res/51/a51r103.htm
https://www.globalpolicy.org/global-taxes/42501-the-adverse-consequences-of-economic-sanctions.html
https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22072&LangID=E
http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/3661134.stm
https://www.refworld.org/docid/4d885fc42.html
In meinem 2012 Bericht an die Generalversammlung untersuchte ich die Gefahren der “Responsibility to Protect” Doktrin (R2P). “Contrary to some trends and perceptions, the idea of the “responsibility to protect”, contained in General Assembly resolution 60/1, the World Summit Outcome, did not replace the Charter-mandated international law of non-interference in the internal affairs of sovereign States. The responsibility to protect is not a lex specialis that derogates from Article 2, paragraphs 3, 4 and 7, or any other provision of the Charter. This is all the more true as in 2005 world leaders declared that ‘[e]ach individual State has the responsibility to protect its populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity’ The principle of non-intervention remains very much valid and is confirmed in countless resolutions of the General Assembly and the Human Rights Council. Therefore, responsibility to protect must not be abused to circumvent the Charter or engage in sabre-rattling or propaganda for war, which is specifically prohibited by article 20 of the International Covenant on Civil and Political Rights. Any intervention in other States must satisfy strictly defined benchmarks and take place only as an ultima ratio. In July 2009, the General Assembly revisited the responsibility to protect doctrine, holding a plenary debate on the question. The President of the Assembly identified four benchmark questions that should determine whether and when the system of collective security could implement the responsibility to protect: (a) Do the rules apply in principle, and is it likely that they will be applied in practice equally to all States, or, in the nature of things, is it more likely that the principle would be applied only by the strong against the weak?; (b) Will the adoption of the responsibility to protect principle in the practice of collective security be more likely to enhance or undermine respect for international law?; (c) Is the doctrine of responsibility to protect necessary and, conversely, does it guarantee that States will intervene to prevent another situation like the one that occurred in Rwanda?; (d) Does the international community have the capacity to enforce accountability upon those who might abuse the right that the responsibility to protect principle would give States to resort to the use of force against other States? In this context, it should be recalled that the Charter of the United Nations imposes certain erga omnes obligations on States. One of those obligations is to condemn the illegal use of force and to deny recognition of territorial changes arising from the illegal use of force. While there is an international responsibility to protect, there is, first and foremost, an international responsibility to protect humanity from the scourge of war.” A/HRC/21/45
In meinem 2018 Bericht an den Menschenrechtsrat habe ich die "Doktrin" der Responsibility to Protect angeprangert, denn sie bezweckt, die Charta zu unterminieren, um die hegemonialen Interessen einiger Staaten zu legitimieren, auch wenn diese in klaren Widerspruch gegen Artikel 2(4) der Charta stehen. (Siehe Absatz 32 des 2018 Berichtes und Fussnote 18 http://ap.ohchr.org/documents/dpage_e.aspx?si=A/HRC/37/63 ).
https://www.nzz.ch/international/inf-vertrag-die-usa-steigen-aus-dem-abkommen-mit-russland-aus-ld.1456446
https://www.nzz.ch/international/usa-steigen-aus-atomabkommen-mit-iran-aus-ld.1321468
https://www.nzz.ch/international/umweltpolitik-der-usa-trump-kuendigt-pariser-klimaabkommen-auf-ld.1298900
https://www.theguardian.com/us-news/2019/apr/26/trump-nra-united-nations-arms-treaty-gun-control
On 12 October 2018, the Secretary-General received from the Government of the United States of America a communication notifying its withdrawal from the Optional Protocol. The communication reads as follows: “... the Government of the United States of America [refers] to the Optional Protocol to the Vienna Convention on Diplomatic Relations Concerning the Compulsory Settlement of Disputes, done at Vienna on April 18, 1961.This letter constitutes notification by the United States of America that it hereby withdraws from the aforesaid Protocol.” https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=III-5&chapter=3&clang=_en
https://www.reuters.com/article/usa-diplomacy-treaty/u-s-withdrawing-from-vienna-protocol-on-dispute-resolution-bolton-idUSW1N1UJ00V
https://www.reuters.com/article/us-usa-israel/trump-recognizes-disputed-golan-heights-as-israeli-territory-in-boost-for-netanyahu-idUSKCN1R61S6
http://unscr.com/en/resolutions/497
https://www.youtube.com/watch?v=VuXInZFawDA
Joseph Kardinal Ratzinger. Gott und die Welt, S. 272.
https://www.vaticannews.va/en/pope/news/2019-01/pope-weakening-multilateral-system-affects-most-vulnerable.html
http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html
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