BUDAPEST 31 MAY 2006
Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen
Sehr verehrte Frau Dr. Schmidt, sehr geehrter Herr Dr. Szabo,
Das Nachkriegsprogramm der Anglo-Amerikaner wurde in der Atlantik
Charta niedergelegt, die Churchill und Roosevelt im August 1941
mitten im Atlantik vereinbarten. Darin erhalten war eben das
Selbstbestimmungsrecht der Völker . In den Konferenzen
von Teheran, Jalta und Potsdam wurde die Atlantic Charta ad
Akta gelegt.
Unwillkürlich denkt man an die Wilsonschen 14-Punkte 26
Jahre davor, die leider kaum eine Rolle bei den Pariser Friedensverhandlungen
von 1919-20 spielten, und gewiss nicht in den Vertraegen von
Versailles, St. Germain und Trianon.
Da wir nur begrenzte Zeit haben, werde ich heute auf die Ergebnisse
der Potsdamer Konferenz abstellen.
Die Konferenz, auch als Berliner Konferenz bekannt, wurde im
Schloss Cecilienhof in Potsdam am 17. Juli eroeffnet und dauerte
knappe zwei Wochen. Die Konferenz endete am 2. August mit der
Verkündung eines 14-Punkte- Kommuniques. Besonders wichtig
waren Artikel II, über die Einrichtung eines Rates der
Außenminister, Artikel III über die Abschaffung nationalsozialistischer
Gesetze, die Verhaftung von deutschen Politikern und Militärs,
Artikel IV über Reparationsleistungen von Deutschland,
Artikel VI über Königsberg und Ostpreußen, Artikel
IX über die provisorischen Festlegung der Westgrenze Polens,
und Artikel XIII über die « Ordnungsgemäße
Überführung deutscher Bevölkerungsteile. ».
In diesem Vortrag werde ich mich auf Artikel XIII konzentrieren,
seinen Ursprung, seine damalige Bedeutung, seine politische
Verwendung und Mißbrauch und schließlich auch seine
völkerrechtliche Auslegung, welche ich mit 2 historischen
und 2 voelkerrechtlichen Thesen illustrieren werde.
1. Die Anglo-Amerikaner wünschten aus eigenem Interesse
keine Bevölkerungsumsiedlungen, denn diese verursachten
Kosten für sie als Besatzungsmächte. Die Vertreibung
erschwerte nämlich ihre Aufgabe, für die Unterkunft
und Ernährung der deutschen Zivilbevölkerung in ihren
Besatzungszonen zu sorgen. Sie nahmen die Umsiedlungen aber
hin, weil ihr Kriegsalliierter Stalin dies verlangte, und weil
die Rote Armee ohnehin die Gebiete kontrollierte, aus denen
die deutsche Bevölkerung geflohen war oder vertrieben wurde.
Gewiß, tragen die Anglo-Amerikaner eine historische, moralische
und auch juristische Verantwortung für das Unheil, daß
durch die Vertreibung verursacht wurde, denn sie haben das völkerrechswidrige
Prinzip des Bevölkerungstransfers bereits 1942-43 akzeptiert,
und dies in den Konferenzen von Teheran und Jalta bestätigt.
Sie wollten aber nachweislich weit geringere Umsiedlungen, die
sich über eine längere Zeit hätten hinziehen
sollen. Die Hauptverantwortung für die überstürzte
und deshalb besonders verlustreiche Vertreibung tragen daher
die Sowjetunion und die Staaten, aus wem Machtbereich die Deutschen
vertrieben wurden
Die Anglo-Amerikaner hatten selber kein eigenes geopolitisches
oder wirtschaftliches Interesse daran, die Deutschen aus dem
Sudetenland oder aus Ostpreußen auszusiedeln. Im Gegenteil.
Diese Bevölkerungstransfers könnten für die Besatzungsmächte
nur negative Konsequenzen haben, denn die Vertriebenen müssten
irgendwo untergebracht und irgendwie ernährt werden, und
die amerikanische, britische und französische Besatzungszonen
waren zu einem großen Teil zerstört.
Die Anglo-Amerikaner hatten sich bereits im Juli 1942, kurz
nach dem Nazi-Massaker in Lidice von Benes überreden lassen,
daß eine bestimmte Anzahl von Sudetendeutschen als illoyale
« fünfte Kolonne » nach dem Kriege ausgesiedelt
werden sollte. Von ursprünglich einer beschränkten
Anzahl sog. illoyalen Elemente wuchs die tschechoslowakische
Forderung auf Umsiedlung der Deutschen zunächst auf eine
Million, dann auf zwei Millionen und schließlich auf 3.4
Millionen Sudeten- und Karpatendeutschen. Als dann auch die
Sowjetunion und Polen Ansprüche auf Ostpreußen, Danzig,
Pommern und Schlesien erhoben, dehnte sich das Problem weiter
aus. Allerdings darf die Hinnahme eines Prinzips in der Theorie
nicht mit seiner Umsetzung in der Praxis verwechselt werden.
Ein gewisses Unbehagen plagte das amerikanische Außenministerium,
seit die Idee des Transfers der Deutschen von den Politikern
erörtert worden war. Dies wird in einem Memorandum vom
Mai 1944 sichtbar :
« Diese Regierung sollte es ablehnen, daß gleich
nach Beendigung der Feindseligkeiten Massenumsiedlungen deutscher
Bewohner aus dem Nachbarländern in das Reich vorgenommen
werden. »
Ähnlich im britischen Foreign Office im Juli 1944, als
ein « Transfer Committee » eingesetzt wurde, das
dem Kabinet berichtete. Das Transfer Committee dachte an eine
begrenzte Umsiedlung und an Entschädigung für die
Umzusiedelnden .
Im November 1944 äußerte sich das amerikanische
State Department : « Die Regierung der Vereinigten Staaten
sollte keine allgemeine Umsiedlung von Bevölkerungen unterstützen.
»
In seiner Kampagne zur Durchsetzung radikaler Vertreibungspläne
gegen die Sudetendeutschen schrieb der tschechoslowakische Statsminister
Hubert Ripka an den diplomatischen Vertreter der Verteinigten
Saaten bei der Londoner Exilregierung am 23. November 1944.
Dort erklärte er die tschechoslowakische Absicht zur «
Entfernung von etwa zwei Dritteln der deutschen Bevölkerung
» Daraufhin antwortete aber die amerikanische Mission
am 16. Januar 1945 : « Zweifellos werden ähnliche
Fragen bezüglich des Transfers von Deutschen aus anderen
Gebieten entstehen. Da dieses Problem deshalb eine Gesamtsumme
von Millionen von Menschen betreffen kann, ist es eine Angelegenheit
großer Sorge für die Besatzungsmächte bei der
Aufrechterhaltung der Ordnung in Deutschland… Die amerikanische
Regierung ist deshalb der Meinung, Umsiedlungen der Art, wie
sie in der Note Eurer Exzellenz in Erwägung gezogen werden,
nur in Ausführung angemessener internationaler Vereinbarungen
durchgeführt werden sollten .. Solange solche internationale
Vereinbarungen nicht vorliegen, ist die amerikanische Regierung
der Meinung, daß keine einseitigen Umsiedlungsaktionen
durchgeführt werden sollten. »
In einem Memorandum des Mitteleuropa-Abteilung im US-Außenministerium
vom 11. Januar 1945, das zur Vorbereitung der Konferenz von
Jalta erstellt wurde, heißt es, « Das Außenministerium
befürwort eine Poltik, durch welche diese Transfers auf
einem Minimum gehalten werden, langsam und in geregelter Weise
vonstatten gehen und unter internationalen Aufsicht stehen,
auf der Grundlage von Abkommen zwischen den alliierten Hauptmächen
einerseits und Polen und der Tschechoslowakei andererseits.»
Im Vorbereitungspapier für die Jalta Konferenz heißt
es ferner : « Wir sollten uns den übertriebenen Forderungen,
die gegenwärtig von der Provisorischen Regierung in Lublin
wegen einer ‘Entschädigung’ auf Kosten Deutschlands
erhoben werden, die Stettin und Breslau an Polen brächten
und die Umsiedlung von 8 bis 10 Milionen Deutschen erfordern
würden, widersetzen. »
Auf der Konferenz von Jalta protestierte Churchill gegen die
übertriebenen territorialen Ansprüche der Polen und
sagte, daß « ein beachtlicher Teil der britischen
öffentlichen Meinung entsetzt wäre, wenn vorgeschlage
würde, Deutsche in großer Zahl auszuweisen. »
Ferner sagte er, « ich habe ein Telegramm des Kriegskabinetts
erhalten, das jede Grenze, die bis zur Neiße geht, ablehnt.
Das Kabinett ist der Meinung, daß das Bevölkerungsproblem
viel zu groß ist, um bewältigt zu werden. »
In der Zeit zwischen der Konferenz von Jalta und der Potsdamer
Konferenz hat sich die anglo-amerikanische Haltung in dieser
Frage nicht geändert. Die Briten wollten weiterhin die
Mitwirkung einer Population Transfers Commission, das auch für
Fragen der Entschädigung zuständig sein sollte. In
einem Papier für die Europäische Beratende Kommission
vom 16. März 1945 werden die noch zu klärenden Probleme
erörtert : « Es handelt sich um (1) die Gebiete,
aus denen die Bevölkerung ausgewiesen werden soll ... (II)
um die Anzahl der auszuweisenden Menschen ; (III) um die Grundsätze,
nach denen die Personen für die Ausweisung bestimmt werden
; (IV) um die Bedingungen für die Überführung
von Besitz und die Regelung finanzieller Ansprüche; (V)
um den Zeitplan für die Durchführung der Aussiedlung,
und (VI) um einen besonderen Mechanismus, der zur Regelung und
Kontrolle der Aussiedlungen nötig werden könnte ».
Vorläufig sollte die European Advisory Commission die Regierungen
jener Länder, aus denen wahrscheinlich deutsche Bevölkerungsteile
ausgewiesen werden sollten, informieren, « vor einer Vereinbarung
über die einzuschlagende Politik der Zuzug solcher Personen
nach Deutschland oder Österreich von dem jeweiligen Kontrollrat
genehmigt werden sollte, dem wiederum bindend vorgeschrieben
werden muß, daß er alle Umsiedlermaßnahmen
den vorrangigen Aufgaben der Besatzung unterordnet.... Nach
Auffassung der britischen Delegation ist es wichtig, an dem
Prinzip festzuhalten, daß die Umsiedlungen, die viele
komplexe Probleme mit sich bringen werden, als allgemeine internationale
Angelegenheit betrachtet werden und deshalb sorgfältiger
Überwachung und Regelung unterworfen werden müssen.
»
In einem Telegramm des britischen Foreign Office an das amerikanische
State Department vom 22. Juni 1945 heißt es : «
Nach unserer Meinung müssen wir den Tschechen klarmachen,
daß es Sache des Alliierten Kontrollrats in Deutschland
sein wird, nachdem die prinzipiellen Hauptfrage von den Regierungen
geklärt sind, darüber zu entscheiden, wann und in
welchen Etappen deutsche Minderheiten von außerhalb der
Grenzen Deutschlands in dieses Land hereingenommen werden können
»
Am 3. Juli 1945 sandte der stellvertretende tschechoslowakische
Aussenminister Wladislaw Clementis dem amerikanischen Geschäftsträger
in Prag ein Schreiben, in dem er auf die « politische
Notwendigkeit » der « Evakuierung » der deutschen
und ungarischen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei hinwies.
Daraufhin, in einer Note an das britische Aussenministerium
zitierte das amerikanische State Department aus der amerikanischen
Note vom 25. Januar und fügte hinzu, daß : «
die Festlegung der Methode und des Zeitpunkts der Repatriierung
der gegenwärtig in der Tschechoslawakei befindlichen Reichsdeutschen
und die Umsiedlung der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei
dem Alliierten Kontrollrat in Deutschland überlassen bleiben
soll. »
2. In Potsdam verfügten die Anglo-Amerikaner nur über
unzureichende Informationen über die tatsächliche
Situation in dem von Rußland besetzten Teil Deutschlands.
In dieser materiellen Frage haben Stalin und die eingeladene
polnische Delegation konsequent gelogen.
Die Stimmung in Potsdam beschrieb Sir Dennis Allen, Teilnehmer
an der Potsdamer Konferenz und zuständig in der britischen
Delegation für die Frage der Deutsch-Polnische Grenze und
des Artikels IX des Protokolls, wie folgt:
„Wir waren uns damals dessen bewußt – und
zu einem heute nur schwer nachzuvollziehenden Grad --, daß
wir zu wenig Infomrationen über das Geschehen in Osteuropa
hatten und daß wir kaum etwas tun konnten, um den Gang
der Dinge dort zu beeinflussen. Die Erfahrungen der Nazi-Zeit
und des Krieges überhaupt hatten zu einer gewissen Abstumpfung
der Gefühle und zur Gleichgültigkeit über das
menschliche Leben geführt, ferner aber auch zur Hoffnung,
daß trotz allem die Kriegskoalition weiterhin befestigt
werden könnte, und zwar zu einem realistischen System für
Nachkriegskooperation in Europa und in der ganzen Welt. Es herrschte
die Auffassung, daß wir unsere Sorgen über das Geschehen
im Osten, das wir sowieso nicht ändern konnten, nicht zu
nachdrücklich vertreten sollten, wenn dies den Konstrollrat
und die Vereinten Nationen gerade in der Geburtsphase beeinträchtigen
könnte. Wenn unsere Hoffnunge enttäuscht werden sollten,
sollten nicht wir, sondern die Russen die Verantwortung dafür
tragen.“
Bei der Eröffnung der Potsdamer Konferenz am 17. Juli
1945 hatten weder Churchill noch Truman eine richtige Vorstellung
davon, wie viele Deutsche noch östlich der Oder-Neiße
Linie oder im Sudetenland lebten, wie viele geflohen waren,
und wie viele vertrieben worden waren. Bei der fünften
Plenarsitzung am 21. Juli 1945 wies Truman auf den deutschen
Charakter der Gebiete an Oder und Neiße hin und auf die
neun Millionen Deutschen, die dort ansässig waren. Stalin
antwortete, viele von ihnen seien im Krieg getötet worden,
die übrigen geflohen, nicht ein einziger Deutscher lebe
in dem Territorium, das Polen übergeben worden sei. Darauf
flüsterte Admiral William Leahy dem Präsidenten zu
: « Natürlich nicht, die ‘Bolschies’
haben sie alle umgebracht. » Stalin sagte ferner : «
Die tschechoslowakischen Behörden haben die Deutschen evakuiert
und sie befinden sich jetzt in Dresden, Leipzig und Chemnitz.
»
So einfach war es aber für Stalin nicht, denn die Engländer
und Amerikaner waren zutreffenderweise davon überzeugt,
daß, obwohl Millionen bereits vertrieben worden waren,
noch Millionen im Osten verblieben, die schließlich in
die westlichen Besatzungszonen kommen könnten. Auf der
fünften Plenarsitzung legte Churchill seine eindeutige
Ablehnung des sowjetisch-polnischen Plans dar und verlangte,
daß jede Umsiedlung begrenzt bleibe. Als Stalin meinte,
es gäbe keine Deutschen mehr in den Ostprovinzen, entgegnete
Churchill « Sie sind deshalb fortgegangen, weil sie Angst
vor den Kriegshandlungen hatten, doch da der Krieg jetzt beendet
ist, könnten sie zurückkehren ». Noch deutlicher:
« Wir haben uns enverstanden erklärt, Polen für
das östlich der Curzon-Linie abgetrennte Gebiet auf Deutschlands
Kosten zu entschädigen. Doch eines muß das andere
ausgleichen. Jetzt verlangt Polen bedeutend mehr, als es im
Osten abgibt. Ich bin nicht der Meinung, daß das dem Wohle
Europas dient, von dem der Alliierten schon ganz zu schweigen.
Wenn drei oder vier Millionen Polen von östlich der Curzon-Linie
umgesiedelt werden, so hätte man drei oder vier Millionen
Deutsche im Westen umsiedeln können, damit sie den Polen
Platz machen. Eine Umsiedlung von jetzt bereits 8 Millionen
Menschen ist eine Sache, die ich nicht unterstützen kann.
Der Ausgleich soll den Verlusten entsprechen, anders wäre
es auch für Polen selbst nicht gut. Wenn die Deutschen—wie
Generalissimus Stalin sagte – das Land östlich und
westlich der Oder verlassen haben, dann hätte man sie zur
Rückkehr dorthin ermuntern sollen. Jedenfalls haben die
Polen kein Recht, eine katastrophale Lage in der Nahrungsmittelversorgung
der deutschen Bevölkerung hervorzurufen...Wir wünschen
nicht, daß eine zahlenmäßig große deutsche
Bevölkerung ohne ihre Nahrungsmittelreserven bei uns verbleibt.
Nehmen wir zum Beispiel die riesigen Bevölkerung des Ruhrgebietes...
Wenn für sie nicht ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung
gestellt werden, dann werden in unserer eigenen Zone Verhältnisse
wie in den deutschen Konzentrationslagern herrschen. »
Truman äußerte sich ähnlich : « Es hat
den Anschein einer vollendeten Tatsache, daß ein bedeutender
Teil Deutschlands Polen zur Besetzung übergeben worden
ist. Was bleibt dann für die Entnahme von Reparationen
übrig? Sogar bei uns in den USA reicht die Kohle nicht.
Allerdings schicken wir dennoch in diesem Jahr 6.5 Millionen
tonnen Kohle nach Europa. Ich denke, daß dieser Teil Deutschlands,
nämlich das Kohlenbecken , sowohl im Hinblick auf die Reparationen
als auch im Hinblick auf die Nahrungsmittelversorgung als bei
Deutschland verbleibend angesehen werden muß. Ich bin
der Meinung, daß die Polen kein Recht haben, sich diesen
Teil Deutschlands anzueignen. »
Dazu meinte Churchills Nachfolger als Premierminister, Clement
Attlee, der ebenfalls an der Potsdamer Konferenz teilnahm :
« ich bin der Meinung, man muß die Ressourcen Gesamtdeutschlands,
wie es im Jahre 1937 war, zur Erhaltung und Versorgung der gesamten
deutschen Bevölkerung nützen. » Dazu Truman
: « Ich kann mich im Hinblick auf die Lösung der
Repartionsfrage und im Hinblick auf die Versorgung der gesamten
deutschen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Kohle nicht
mit der Fortnahme des östlichen Teils von Deutschland in
den Grenzen von 1937 einverstanden erklären. »
An der sechsten Plenarsitzung am 22. Juli beharrte Stalin auf
einer polnische Westgrenze an die westliche Neiße. Churchill
betonte, dies sei « völlig unnannehmbar … Wenn
von einer Umsiedlung von 8 oder 9 Millionen Menschen die Rede
ist, dann halten wir das nicht für richtig. ».
Deutlicher hätten die Anglo-Amerikaner auf der Potsdamer
Konferenz nicht sein können. Aber Stalins Rote Armee saß
fest in den Ostprovinzen, und Stalin allein entschied. Natürlich
drängten die Anglo-Amerikaner, die Frage der Reparationen
aus Oberschlesien, der Nahrungsmittelversorgung aus Schlesien
und Pommern, und die Frage des « Bevölkerungstransfers
» zu thematisieren. Aber gewiß nicht, um weitere
Vertreibungen anzuordnen, sie zu genehmigen oder zu legitimieren,
sondern um sie zu stoppen und um ein Instrument zu schaffen,
um wenigstens zu versuchen, bereits laufenden, wilden Vertreibungen
in geordnete Bahnen zu lenken. So wurde in der neunten Plenarsitzung
am 25. Juli die Frage an einem Ausschuss weitergegeben. Dieser
Ausschuss bestand aus Sir Geoffrey Harrison, Cavendish Cannon
und den beiden Russen Arkadij Sobolev und Wladimir Semenov .
2 Voelkerrechtliche Thesen
1. Artikel XIII hat die Umsiedlung der Deutschen weder angeordnet,
noch die bereits vollzogenen Vertreibungen genehmigt oder gar
legalisiert. Artikel XIII verfolgte vielmehr zwei Ziele: Ein
Vertreibungsmoratorium und die Übertragung der Verantwortung
für Ausmaß, Zeitpunkt und Methode der Umsiedlung
an den Alliierten Kontrollrat in Berlin
Die Person, die am besten über das Entstehen des Artikels
Bescheid wußte, war Sir Geoffrey Harrison, Mitglied der
britischen Delegation und Verfasser des Entwurfs des Artikels,
der am 31. August 1945 von der Plenarsitzung agenommen wurde.
In einem Brief an Sir John Troutbeck, Chef der Deutschland-Abteilung
im Britischen Foreign Office, datiert vom 1. August 1945, erklärte
Harrison die Entstehung des Artikels :
« Der Unterausschuß ist dreimal zusammengetreten
und hat einen von mir vorgelegten Entwurf beraten ... Die Verhandlungen
waren nicht einfach – Verhandlungen mit den Russen sind
nie einfach ... Wir gerieten in eine große Ausseinandersetzung,
die in der Plenarsitzung behandelt werden mußte, über
die Aufnahme der letzten dreieinhalb Zeilen. (Das sowjetische
Ausschußmitglied) Sobolew vertrat die Ansicht, daß
der polnische und tschechoslowakische Wunsch, ihre deutschen
Bevölkerungen auszuweisen, einer historischen Mission entspreche,
welche die sowjetische Regierung keineswegs zu verhindern suche.
Die sowjetische Regierung halte es für die Aufgabe des
Alliierten Kontrollrats in Deutschland, die Aufnahme der ausgesiedelten
Bevölkerung möglichst rasch zu erleichtern. Cannon
(das amerikanische Mitglied) und ich wandten uns nachdrücklich
gegen diesen Standpunkt. Wir erklärten, daß wir für
den Gedanken an Massenausweisungen ohnehin nichts übrig
hätten. Da wir sie aber nicht verhindern konnten, wollten
wir dafür sorgen, daß sie in einer möglichst
geordneten und humanen Weise durchgeführt würden,
aber auch auf eine Art, die den Besatzungsmächten in Deutschland
keine untragbare Belastung auferlegt. »
Der entsprechende Artikel XIII wurde dann in der elften Plenarsitzung
am 31. August 1945 diskutiert . Es wurde nämlich ein Vertreibungstopp
vereinbart, und daß künftig der Alliierte Kontrollrat
in Berlin entscheiden sollte, wann und wie viele Deutsche umgesiedelt
werden könnten. Jeder eventuelle « Bevölkerungstransfer
» sollte in « geordneter und humaner Weise »
erfolgen. Stalin meinte aber, « Formal können die
Tschechen und Polen sagen, daß es für die Deutschen
kein Verbot gibt, dort zu leben, aber die Deutschen werden in
Wirklichkeit in eine solche Lage versetzt, daß es für
sie unmöglich ist, dort zu leben. Ich fürchte, daß
wenn wir einen solchen Beschluß annehmen, wird er keinerlei
ernsthafte Ergebnisse zeitigen » Dazu der amerikanische
Außenminister Byrnes : « Nach unseren Informationen
zwingen sie die Deutschen, Polen und die Tschechoslowakei zu
verlassen. Die Umsiedlung der Deutschen in andere Länder
vergrößert unsere Bürde. Wir möchten, daß
diese Regierungen in diesem Falle mit uns zusammenarbeiten.
» Dazu Stalin : « Die Polen und Tschechen werden
Ihnen sagen, daß es bei ihnen keine Anordnung zur Aussiedlung
der Deutschen gibt. Doch wenn Sie darauf bestehen, kann ich
mich mit diesem Vorschlag einverstanden erklären. »
Dazu Truman : « Es ist möglich, daß dieser
Vorschlag die bestehende Situation nicht verändert, doch
es gibt uns die Möglichkeit, daß wir uns an diese
Regierungen wenden können »
Was folgte war die Anweisung des Kontrollrates an Warschau
und Prag, ihre Vertreibungen einzustellen, die Verletzung dieser
Anweisung, die diplomatischen Protestnoten nach Warschau und
Prag durch die Amerikaner und die Briten. Doch die Situation
änderte sich nicht, und die anglo-amerikanische Position
blieb diesselbe, auch in den Monaten und Jahren nach Potsdam.
So legte am 19 Oktober 1945 der amerikanische Aussenminister
James Byrnes Artikel XIII wie folgt aus: « Wir sahen ein,
daß gewisse Aussiedlungen unvermeidlich waren, aber wir
beabsichtigten in Potsdam nicht, zu Aussiedlungen anzuregen
oder in Fällen, wo andere Regelungen praktikabel waren,
Verpflichtungen einzugehen »
Im britischen Parlament sagte der britische Außenminister
Bevin am 10. Oktober « Ich habe die polnische Regierung
ersucht, alle weiteren Vertreibungen von Deutschen zu unterlassen,
wozu sie nach der Konferenz von Potsdam ebenfalls aufgefordert
wurde durch die Regierung Seiner Majestät, die Regierung
der Vereinigten Staaten und die sowjetische Regierung. »
Daraufhin informierte Captan Marples das Unterhaus am 22. Oktober
1945, « nach einem Bericht des Internationalen Roten Kreuzes
sind Proteste gegen unorganisierte Depotationen von Deutschen
durch Polen und Tschechen ohne Wirkung geblieben, immer noch
strömen Flüchtlinge nach Berlin und sterben zu Tausenden
auf den Straßen. »
Somit ist klar, daß Artikel XIII keinesfalls als eine
Genehmigung oder Ermunterung zu Umsiedlungen ausgelegt werden
kann. Er war eben ein « Vorschlag », um mit den
polnischen und tschechoslowakischen Regierungen sprechen zu
können, um « die bestehende Situation » in
den Griff zu bekommen. Man hatte es nämlich mit einer humanitären
Katastrophe zu tun, verursacht durch die seit Monaten laufenden
wilden Vertreibungen. Artikel XIII war eine schwache Reaktion
darauf, aber keineswegs deren Legalisierung.
Wie Professor Otto Kimminich einst bemerkte « Es bedarf
keiner juristischen Fachkenntnisse, um aus der Lektüre
von Artikel XIII zu ersehen, daß auf der Potsdamer Konferenz
die Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa nicht angeordnet
worden ist. Aber auch eine Billigung der um diese Zeit bereits
durchgeführten oder im Gange befindlichen Vertreibung lässt
sich daraus nicht ableiten. »
Noch verbrecherischer als die Vertreibung selbst war vor allem
die Verschleppung Ostdeutscher zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion.
Dies bedeutete die Wiedereinfuehrung der Sklaverei in Europa
ein, und zwar in Friedenszeiten, gemaess dem Beschluss vom 11.
Februar 1945, den Churchill, Roosevelt und Stalin gemeinsam
in Jalta unterschrieben. Danach sollten deutsche Arbeitskraefte
als lebende Reparationen („Reparations in Kind“)
verwendet werden. So wurden 1.7 Millionen Ostdeutscher u.a.
65,000 Ungarndeutsche, vor allem aus dem Batska aund der Swaebischen
Turkei, nach Russland und Sibirien verschleppt. Diese Verschleppung
kostete inige Hunderttausende ihr Leben.
2. Die Vertreiberstaaten, insbesondere Polen und die Tschechoslowakei,
dürfen sich nicht auf Artikel XIII berufen, um eventuelle
Vorteile daraus zu ziehen, denn beide haben gegen Geist und
Buchstabe des Artikels verstoßen. Ungarn dagegen respektierte
die Potsdamer Anweisungen.
Soweit sich Polen und die Tschechoslowakei im Zusammenhang
mit der Vertreibung auf die Potsdamer Konferenz beziehen, sollten
sie den Beweis erbringen, daß sie sich ihrerseits an die
alliierten Vorgaben hielten. Est ist aber eine historische Tatsache,
daß sich weder Polen noch die Tschechoslowakei an die
Bedingungen von Artikel XIII des Protokolls hielten. Bei Ungarn
war es allerdings anders. Die Ungarndeutschen wurden erst ab
Januar 1946 umgesiedelt, und zwar in Abstimmung mit dem amerikanischen
General Lucius Clay, wie er in seinem memoiren festhielt. Das
in Potsdam veranlasste Vertreibungsmoratorium wurde allein durch
Ungarn geachtet, nicht aber durch Polen und die Tschechoslowakei.
Was die Methode des sog. Bevoelkerungstransfers betrifft, so
kann keine zwangsweise Umsiedlung als human gelten. Nach amerikanischen
und britischen Berichten wurden Tausende deutscher Zivilisten
in Schlesien und Boehmen interniert, die Umsiedlungen arteten
in brutale Vertreibungen aus, die Vertriebenen wurden öfter
unterwegs überfallen, vergewaltigt und beraubt, sie verloren
ihr gesamte Habe in der Heimat.
So warnte am 12. Oktober 1945 US-Botschafter Robert Murphy,
der politische Berater von General Dwight D. Eisenhower, in
einem Memorandum nach Washington:
« In Potsdam kamen die drei Regierungen überein,
daß die Umsiedlungen in geregelter und humaner Weise druchgeführt
und Polen und die Tschechoslowakei aufgefordert werden sollten,
die Ausweisungen von Deutschen vorübergehend einzustellen.
Trotz offizieller Beteuerungen spricht doch alles dafür,
daß man die beiden Punkte nicht beachtet hat … Wenn
die Vereinigten Staaten auch vielleicht keine Mittel haben,
einen grausamen, unmenschlichen und immer noch fortgesetzten
Prozeß aufzuhalten, so scheint es doch, daß unsere
Regierung unsere in Potsdam klar dargelegte Einstellung unmißverständlich
wiederholen könnte und müßte. Es wäre sehr
bedauerlich, wenn es einmal heissen sollte, daß wir an
Methoden beteiligt gewesen seien, die wir bei anderen Gelegenheiten
oft verdammt haben. »
Am 18. Oktober 1945 berichtete General Dwight D. Eisenhower
nach Washington. « In Schlesien verursachen die polnische
Verwaltung und ihre Methoden eine große Flucht der deutschen
Bevölkerung nach Westen ... Viele, die nicht weg können,
werden in Lager interniert, wo unzureichende Rationen und schlechte
Hygiene herrschen. Tod und Krankheit in diesen Lagern sind extrem
hoch ... Die von den Polen angewandten Methoden entsprechen
ganz gewiß nicht der Potsdamer Vereinbarungen... Die Todesrate
in Breslau hat sich verzehnfacht, und es wird von einer Säuglingssterblichkeit
von 75 Prozent berichtet. Typhus, Flekfieber, Ruhr und Diphtherie
verbreiten sich... »
Am 19. Oktober 1945 schrieb Sir Bertrand Russell an die Times
: « In Osteuropa werden jetzt von unseren Verbündeten
Massendeportationen in einem unerhörten Ausmaß durchgeführt,
und man hat ganz offensichtlich die Absicht, viele Millionen
Deutsche auszulöschen, nicht durch Gas, sondern dadurch,
man ihnen ihr Zuhause und ihre Nahrung nimmt und sie einem langen
schmerzhaften Hungertod ausliefert. Das gilt nicht als ‘Kriegsakt’
sondern als Teil einer bewußten ‘Friedenspolitik’
... im Potsdamer Protokoll wird vorgeschrieben, daß die
Ausweisungen von Deutschen in ‘geregelter und humaner
Weise’ durchgeführt werden sollten. Und es ist wohl
bekannt – durch öffentliche Berichte wie durch Briefe,
die zahlreiche britische Familien von Verwandten und Freunden
in den Besatzungsarmeen erhielten – daß diese Bedingungen
durch unsere russsischen und polnischen Verbündeten nicht
beachtet worden ist. »
So auch der britische Publizist Victor Gollancz in seinem 1946
erschienenen Buch Our Threatened Values :
« Sofern das Gewissen der Menschheit jemals wieder empfindlich
werden sollte, werden diese Vertreibungen als die unsterbliche
Schande all derer in Gedächtnis bleiben, die sie veranlaßt
oder sich damit abgefunden hgaben ... Die Deutschen wurden vertrieben,
aber nicht einfach mit einem Mangel an übertriebener Rücksichtnahme,
sondern mit dem denkbar höchsten Maß von Brutalität
.»
Manchmal liest man, daß nach den wilden Vertreibungen
vom Sommer und Herbst 1945, die Vertreibungen dann menschlich
und völkerrechtsgemäß waren. Juristisch ist
dazu zu bemerken, daß die zwangsweise Ausweisung und totaler
Beraubung von Bevölkerungen niemals mit dem Völkerrecht
in Einklang gebracht werden kann. Die Vertreibung bzw. der erzwungene
« Bevölkerungstransfer » ist ein Tatbestand
des Völkerstrafrechts, so wie in der Nürnberger Rechtssprechung
klar festgehalten. In manchen Situationen erfüllt eine
Vertreibung die Bedingungen des Artikels II der Völkermordskonvention
von 1948, welche auch rückwirkende Kraft entfaltet. Eine
Diskussion über die « Methode » einer Vertreibung
bzw. eines « Bevölkerungstransfers » ist nur
dann relevant, um festzustellen, wie schwer das ursprüngliche
Verbrechen der Vertreibung war, und ob es sich um Völkermord
handelte.
Über die Methode der Vertreibung der Deutschen haben Tausende
Opfer berichtet. Die Ost-Dokumente im Bundesarchiv und die «
Dokumentation der Vertreibung » herausgegeben von Prof.
Hans Rothfels und Prof. Theodor Schieder geben ausreichende
Auskunft.
Bezüglich der Methode der Vertreibungen vor und nach Potsdam
urteilte das amerikanische Repäsentantenhaus in einem ausführlichen
Bericht im Jahre 1950: « Die Verhältnisse waren so,
daß keine dieser Unternehmungen als human und geregelt
bezeichnet werden kann. »
Im Hinblick darauf, wirkt es beinahe surrealistisch, wenn man
liesst, was Professor Czeslaw Pilichowski, einsitgen Direktor
der Hauptkommission zur Erforschung von Naziverbrechen in Polen,
in einem Interview mit Radio Warshau gesagt hat :
« Hier muß ganz deutlich und mit reinem Gewissen
gesagt werden, daß Polen die Aussiedlung von Deutschen
aus den westlichen und nördlichen Gebieten, eigentlich
aus dem Gebiet ganz Polens, auf der Grundlage der Beschlüße
des Potsdamer Vetrages vom 2. August 1945 durchgefürt hat,
also auf der Gundlage des Völkerrechts und der Beschlüße
der Anti-Hitler und internationalen Koalition. »
Ähnlich schrieb Professor Boleslaw Wiewiora in seiner
Abhandlung über die polnisch-deutsche Grenze : «
Die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den polnischen
Nachkriegsterritorien war ein wesentlicher Bestandteil einer
allgemeinen Regelung für die nationalen Minderheiten; die
Alliierten haben sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs darauf
geeinigt »
Über das, was im Sudetenland und in der Tschechowslowakei
allgemein vor sich ging, liefert Edvard Benes in seinen Erinnerungen
ein vollkommen falsches Bild. Zunächst bekennt er sich
zum Grundsatz der geregenten Aussiedlung « Die Umsiedlungen
konnten genau kontrolliert und koordiniert und unter angemessenen
und humanen Bedingungen durchgeführt werden » Dann
bedauert er nicht seine eigenen Dekrete, und die Ungeheuerlichkeit
der Zerstörung der 800-jährigen Besiedlung des Sudetenlandes
durch Deutsche und die totale Enteignung der Deutschen durch
seine Dekreten Nr. 12 und 108, sondern begatellisiert die Verbrechen
wärend der Vertreibung. Er bedauerte nämlich, daß
« unsere subalternen Behörden einige sehr wenige
Ausschreitungen begingen, die des Landes von Masaryk nicht würdig
waren ».
Ähnlich beschönigend und bagatellisierend äußerte
sich der tschechische Historiker Radomir Luza dahingehend, daß
die Umsiedlung seien « im grossen und ganzen in angemessener,
humaner Weise » durchgeführt worden. »
Diese Legenden starben auch nicht mit dem Ende des Sowjetimperiums
und der kommunistischen Historiographie und Völkerrechtswissenschaft.
Die heutige offizielle polnische und tschechische Linie bleibt
dabei, daß der « Bevölkerungstransfer »
völkerrechtsgemäß gewesen und von Artikel XIII
des Potsdamer Protokolls gedeckt worden sei.
Schlußgedanken
Vor dreißig Jahren hatte ich Gelegenheit, mit vielen
alliierten Wissensträgern und Teilnehmern an der Potsdamer
Konferenz zu sprechen, u.a. Botschafter Robert Murphy, Botschafter
George Kennan, Botschafter James Riddleberger auf amerikanischer
Seite,sowie Sir Geofrey Harrison (den Verfasser des Entwurfs
zum Artikel XIII), Sir Dennis Allen, Sir Victor Cavendish-Bentinck
auf britischer Seite. Ich korrespondierte auch mit vielen Wissensträgern
u.a. mit W. Averell Harriman, John McCloy, Sir Patrick Dean
und Lord William Strang. Sie ergänzten und bestätigten
die Erkenntnisse, die sich aus der Auswertung der Potsdamer
Konferenzakten ergaben.
Im Hinblick auf die eindeutige völkerrechtliche und historiche
Lage ist es kaum zu begreifen, wie sich heute noch die Ansicht
verbreiten konnte, die Vertreibung sei von den drei Regierungschefs
in Potsdam beschlossen worden. Diese Geschichtsklitterung seitens
Polens und der Tschechoslowakei in den Jahren der sowjetischen
Vorherrschaft ist nicht erstaunlich. Befremdlich ist aber, daß
man sie heute, 61 Jahre nach Potsdam wieder noch hört und
liest.
Heute muss man erkennen, daß die Sowjetunion, Polen und
die Tschechoslowakei die Anglo-Amerikaner vor vollendeten Tatsachen
gestellt haben, und daß die Anglo-Amerikaner den Versuch
unternahmen, die noch laufenden Vertreibungen zu stoppen, zumindest
aber zu beschränken und in geordnete Bahnen zu lenken.
Fest steht auch, daß Stalin und die polnische Delegation
in wichtigen Angelegenheiten gelogen haben, z.B. um die Zahl
der noch „umzusiedelnden“ Deutschen. Fest steht
auch, daß sich die Polen und Tschechoslowaken an das Vertreibungsmoratorium
nicht hielten, und daß sie die gefordete Art und Weise
der Umsiedlungen – nämlich « in geregelter
und humaner Weise » in keiner Weise beachteten.
Darum ist es inakzeptabel, daß heute polnische und tschechische
Politiker, Journalisten, und leider auch einige Historiker,
völlig unhaltbare Thesen aufstellen, um daraus Rechtfergigungen
formulieren oder um politische Vorteile aus Artikel XIII ablzuleiten.
Die Welt nach Potsdam hat sich gründlich geändert.
Das sowjetische Imperium ist zusammengebrochen. Der Warschauer-Pakt
existiert nicht mehr. Geblieben ist die Curzon Linie, aber auch
die Oder-Neiße Grenze, die mit Recht als Stalin-Linie
bezeichnet werden kann. Verschwunden ist die deutsche Präsenz
in jahrhundertealten ostdeutschen Landschaften – in Ostpreußen,
Danzig, Pommern, Ostbrandenburg, Schlesien, und in Sudetenland.
Zerschlagen sind die deutschen Siedlungsgebiete in Ungarn, Slowenien,
Kroatien, Serbien und Rumänien. Geblieben ist die historische,
moralische und juristische Verantwortung der Russen, Polen ,
Tschechem, Slowaken, Ungarn, Slovenen, Kroaten und Serben für
die größte Vertreibung der Geschichte.
Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas
Autor: „Die Nemesis von Potsdam“, Herbig Verlag,
München 2005
Heimatrecht ist Menschenrecht, Universitas Verlag, Muenchen
2001
Die deutschen Vertriebenen, Leopold Stocker Verlag (Ares), Graz
2006.
zayas@bluewin.ch
www.alfreddezayas.com