Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ringes "Humanitas"
Frankfurter Presseclub, Freitag den 11. September 1998
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
Liebe Frau Steinbach, sehr geehrter Herr Nihm, sehr geehrter Herr Ratza !
Durch der Verleihung dieses Ringes machen Sie mir eine grosse Freude. Nicht zuletzt, weil Sie mich in eine Reihe mit Persönlichkeiten und Gelehrten gestellt haben, von denen ich viel halte. Es ist mir eine besondere Ehre, zusammen mit diesen mutigen Menschen genannt zu werden.
Unter den Ringträgern befindet sich Professor Thomas Buergenthal, den ich seit vielen Jahren kenne, bereits seit den 70er Jahren als er Mitherausgeber der vom Heidelberger Max Planck Institut veöffentlichten Enzyklopädie des Völkerrechts war, während ich im Editorial Committee mitwirkte. Heute ist Buergenthal Professor des Völkerrechts an der George Washington University in Washington, D.C. und gestern wurde er in New York zum zweiten Mal ins UNO-Menschenrechtsausschuss gewählt. Er wurde in Deutschland geboren, ü berlebte Auschwitz, und wanderte nach dem Studium in Göttingen in die USA ein. Er ist Mitglied des US Holocaust Memorial Council in Washington.
Nun zum West-Ost Kulturwerk und zum Ring "Humanitas": Fünf Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkriegen wollen wir alle die Freundschaft zwischen West und Ost, ja die Br ü derlichkeit zwischen allen Menschen dieser Erde, f ö rdern. Unweit von hier -- in der Frankfurter Paulskirche -- sind bereits viele gewichtige Worte zu den Menschenrechten artikuliert worden. Erlauben Sie mir, dass ich auf die Worte des ersten UNO-Hochkommissars José Ayala Lasso zurückkomme, damals am 28. Mai 1995, als der Bund der Vertriebenen die Gedentstunde "50 Jahre Vertreibung" veranstaltete. Dort in der Paulskirche hörten die Vertriebenen vom höchsten UNO Vertreter in Sachen Menschenrechte:
"Das Recht, aus der Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht... Ich bin der Auffassung, dass, hätten die Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr über die Implikationen der Flucht, der Vertreibung und der Umsiedlung der Deutschen nachgedacht, die heutigen demographischen Katastrophen, die vor allem als ethnische Säuberungen bezeichtnet werden, vielleicht nicht in dem Ausmass vorgekommen wären. In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen zu sprechen kommen. Es ist gut, dass Menschen, die Unrecht gelitten haben, bereit sind, den Teufelskreis von Rache und Vergeltung zu brechen und sich auf friedlichen Wegen für die Anerkennung des Rechtes auf die Heimat und für den Wiederaufbau und die Integration Europas zu arbeiten. Eines Tages wird dieses Opfer besser gew ü rdigt werden. Es besteht kein Zweifel, dass unter der nationalsozialistischen Besatzung den Völkern Ost- und Zentraleuropas unermessliches und unvergessliches Leiden zugefügt worden ist. Sie hatten daher einen legitimen Anspruch auf Reparation bzw. Wiedergutmachung. Jedoch dürfen legitime Ansprüche nicht durch die Verhängung von Kollektivstrafen auf der Grundlage allgemeiner Diskriminierung und ohne die genaue Untersuchung persönlicher Schuld verwirklicht werden..."
Meine Damen und Herren, ich zitiere Ayala Lasso um zu illustrieren, dass auch die deutschen Opfer sich auf die Menschenrechte berufen können und sollen, denn alle Opfer des Krieges und Gewaltherrschaft besitzen dieselbe dignitas humana , weil es keine besseren und schlechteren Opfer gibt. Die Menschenrechte diskriminieren nicht. Die Humanität verlangt, dass wir die Menschenrechte von allen Menschen gleich verteidigen und dass wir alle Menschenrechtsverletzungen gleich verurteilen. Dies hat der UNO Hochkommissar bewiesen, als er sich nicht scheute, den deutschen Vertriebenen sein Mitgefühl und seine Anerkennung zu zeigen. Er -- der Lateinamerikaner aus Ecuador -- tat dies, weil die Menschenrechte für alle gelten, in Africa, in Asien, in Osteuropa wie in Westeuropa.
Und Ayala ist nicht der einzige gewesen: weder der erste noch der letzte. In seinem Grusswort berief er sich auf die Arbeit der UNO Völkerrechtskommission, die Vertreibungen als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet hat. Er berief sich auf die vielen einschlägigen Resolutionen der UNO Unterkommission für Diskriminierungsverhütung und für den Schutz der Minderheiten.
Nach dem gewichtigen Wort Ayalas in der Paulskirche in 1995 hat das Recht auf die Heimat als allgemein gültiges v ö lkerrechtliches Prinzip weitere Best ä tigung erhalten. Der UNO Sonderberichtserstatter Dr. Shawkat Al Khasawneh (Jordanien) verurteilte alle Vertreibungen in seinem Schlussbericht vom August 1997 (UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1997/23). In seinem Entwurf einer UNO-Erklärung zur Ächtung von Vertreibungen heisst es im Artikel 4:
"Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden, Sicherheit und Würde in seiner Wohnstätte, in seiner Heimat und in seinem Land zu verbleiben. Niemand darf dazu gezwungen werden, seine Wohnstätte zu verlassen."
Weiter im Artikel 7:
"Bevölkerungstransfers und -austausch können nicht durch internationale Vereinbarungen legalisiert werden"
Dies, um zu zeigen, dass Siegerstaaten das Recht nicht besitzen, die Vertreibung von Völkern zu bestimmen oder nachtr ä glich gutzuheissen. Auch Siegerstaaten sind an das Völkerrecht gehalten.
Und weiter im Artikel 9:
"Die oben genannten Praktiken des Bevölkerungstransfers stellen Völkerrechtsverstösse dar, die sowohl staatliche Verantwortlichkeit als auch individuelle strafrechtliche Verantwortung begründen."
Al Khasawnehs Bericht wurde im März 1998 von der UNO-Menschenrechtskommission und im Juli 1998 vom UNO-Wirtschafts-und Sozialrat bestätigt. Das jüngste UNO-Bekenntnis zum Recht auf die Heimat lieferte am 26. August 1998 die Unterkommission in ihrer Resolutionen 1998/26 und 1998/27, die auch das Rückkehrrecht begründen.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, dass ich jetzt nicht als Jurist sondern als Historiker spreche. Und zwar geht es mir um die Verantwortung von Professoren der Geschichte, vollständig zu forschen und die Zusammenhänge darzustellen. Es darf keine Tabuthemen geben. Und trotzdem gibt es sie noch. Als ich als Fulbright Stipendiat nach Deutschland kam, um über die Vertreibung der Deutschen zu forschen, erlebte ich so manche Swierigkeiten. Mir wurde von vielen Seiten bedeutet, dass diese Thematik unerwünscht war. Umso mehr meine Entschlossenheit zu forschen und meine Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Die deutschen Vertriebenen waren die unknown victims des zweiten Weltkrieges. Unpitied and unknown . Ich wollte vor allem für meine Landsleute in Amerika schreiben, aber ich stellte fest, dass ein Informationsdefizit und ein Bewusstseinsmangel auch in Deutschland herrschte. Man sagte mir, ich würde keinen Verleger finden. Zwanzig Jahre nach der ersten Auflage meines "Nemesis at Potsdam" liegt die englische Fassung in 5. Ausgabe bei Picton Press vor, und die deutsche Übersetzung "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung" in 10. Ausgabe bei Ullstein.
Nun möchte ich einen Appell an die deutschen Historiker richten: Forschen Sie mehr über Tabuthemen. Geben Sie an Ihre besten Studenten Dissertationsthemen über die Vertreibung der Deutschen, über die Traumata, die die vielfach vergewaltigten Frauen erlitten haben, über die Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen in sowjetischer, jugoslawischer, französischer, amerikanischer Hand, über den Bombenkrieg, über den Verlust von deutschen bzw. europäischen bzw. Welt-kulturgütern, über die sozialen und kulturellen Folgen der Vertreibung für künftige deutsche Generationen. Viele Quellen in den ehemaligen sowjetischen, polnischen, tschechischen, DDR Archiven warten auf wissenschaftliche Auswertung.
Ebenfalls habe ich einen Appell an die Teilnehmer des Historikertages zu Frankfurt: Lassen Sie die geschmacklose Hexenjagd, die Diskreditierung, die Diffamierung von verstorbenen deutschen Historikern wie Theodor Schieder und Werner Conze! Lieber setzen Sie sich mit ihren Werken auseinander. Ich finde es beschämend, wenn nicht die Geschichte sondern die Historiker zum Ziel der Forschung wird. Überhaupt fände ich es bedauerlich, wenn die deutsche Geschichtswissenschaft zur Dienstmagd der Politik verkommen würde, und mir scheint, dass die Zunft genau in diese Richtung treibt.
Im übrigen kannte ich die Professoren Schieder und Conze persönlich, und habe sie und ihre historischen Werke geachtet. Ich kannte auch noch einen weiteren Mitherausgeber der Dokumentation der Vertreibung, nämlich Professor Hans Rothfels. Als Fulbright Stipendiat und auch später hatte ich die Ehre und die Freude, diesen aussergewöhnlichen Menschen mehrfach in seinem Hause in Tübingen zu besuchen. Professor Rothfels, Weltkriegsopfer (Beinamputierter), Emigrant in die Vereinigten Staaten und Patriot, hat sich für die historische Wahrheit in Amerika und in Deutschland eingesetzt. Seinem Lehrstuhl in Königsberg beraubt, weil er Jude war, kehrte er nach dem Kriege nach Deutschland zurück. Er hat aber den eigenen Nest nicht beschmützt. Der grosse Mann hat über den deutschen Widerstand gegen Hitler, über die deutschen Opfer Hitlers und über die deutschen Opfer der Vertreibung geschrieben. Das war ein Historiker von Format -- übrigens ein Freund von Schieder und Conze.
Meine Damen und Herren, es gibt ja so viele Aufgaben für die Zeitgeschichtler. Warum werden die Zeugnisse der Überlebenden der Vertreibung nicht systematisch gefilmt? Und zwar genauso wie der Amerikaner Steven Spielberg es im Bezug auf den Holocaust getan hat: als Videodokumentation. Es leben noch Tausende Vertriebener und ihre Kinder, deren Zeugnisse gesichert werden sollten.
Ich möchte auch vorschlagen, dass den Vertriebenen ein würdiges Denkmal in Berlin gesetzt wird. Die Erinnerung an die Vertreibung soll wach gehalten werden. Wie Ayala Lasso in der Paulskirche 1995 feststellte, wären vielleicht die ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien nicht in dem Masse geschehen, wenn sich die Politiker vorher mit der Ungeheuerlichkeit der Vertreibung der Deutschen auseinandergesetzt hätten, und wenn sie die Vertreibung von Menschen egal welcher Nationalität als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt hätten, wie heute von den Vereinten Nationen geschehen ist.
Schliesslich m ö chte ich einen Appell an die Presse richten: Wahren Sie den Pluralismus in Deutschland. Sorgen Sie dafür, dass die Meinungsfreiheit ausgeübt werden kann. Zuweilen bekommt man den Eindruck, dass die deutsche Presse gleichgeschaltet wird, gleichgeschaltet durch den Drang zum politischen Korrektness bzw. durch Selbstzensur. Diese Neigung stellt eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland dar und schliesslich auch für die Menschenrechte.
Meine Damen und Herren, der Ring "Humanitas" ehrt nicht die Misanthropen. Er stiftet Mut, sich f ü r die Menschen mehr einzusetzen, ermutigt mich, mehr zuzuhören, mehr Achtung für den anderen zu bringen. Aber das überaus Wichtigste: die Erkenntnis, dass alle Menschen gleich im Menschenwürde und in Menschenrechte sind, dass es keine Opfer zweiter Klasse gibt, die ignoriert und diskriminiert werden können. Darum sollen wir gegen die sog. politische Korrektheit kämpfen, weil sie sich oft in menschenverachtenden Kategorien bewegt. Nein, wir müssen uns für alle Opfer von Menschenrechtsverletzungen einsetzen, nicht nur für die Konsensus Opfer oder für die politisch korrekten Opfer. Darum lehne ich den Versuch ab, eine Aufarbeitung der Vertreibung der Deutschen zu unterbinden, weil diese angeblich einer "Aufrechnung" gleichkomme. Nein, der Vorwurf der Aufrechnung kommt aus der Waffenkammer des Totalitarismus, wo das Individuum nichts gilt. Der Vorwurf der "Aufrechnung" oder der "Relativierung" bedeutet eine Diffamierung und zugleich eine Einschüchterung der Opfer. Diese Modeworte sollten gebannt werden, denn sie sind menschenrechtsfeindlich.
Zum Schluss, meine Damen und Herren, lassen Sie mir auf den Wappenspruch Frankfurts zu sprechen kommen: "Stark im Recht". Ja, dies wollen wir alle. Stark für die Menschenrechte von allen Menschen. Vor allem stark für die Schwachen, für die politisch inkorrekten Opfer, for the unsung victims . Und, wenn ich auf den Spruch zum Tag der Heimat 1997 erinneren darf: "Gerechtigkeit schafft Frieden". Ich möchte hinzufügen: Frieden ermöglicht die Suche nach Gerechtigkeit, und vielleicht viel wichtiger: Frieden und Gerechtigkeit sind Menschenrechte.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
1 D. Blumenwitz u.a., 50 Jahre Flucht, Deportation, Vertreibung. Unrecht bleibt Unrecht. Dokumentation der Gedenkstunde in der Paulskirche am 28. Mai 1995, herausgegeben vom Bund der Vertriebenen, Bonn 1995, S. 4-5.
|