FREIBURGER KANTSTIFTUNG
VERLEIHUNG DES KANT-WELTBÜRGER-PREISES 2011, Freiburg i.Br.
am 7. Mai 2011
LAUDATIO auf BALTASAR GARZON
Sehr geehrter geehrter Graf von Sponeck, sehr geehrter Bürgermeister
v. Kirchbach, Herr Lange,
Sehr geehrter Juez Baltasar Garzon
Meine Damen und Herren
Es ist mir eine besondere Ehre, heute über Juez Baltasar Garzon
Real einige Worte zu sagen.
Weltbekannt als ein Pioneer im völkerrechtlichen und menschenrechtlichen
Bereich hat der heutige Preisträger bedeutende Impulse sowohl
zur Entwicklung der Doktrin als auch zur praktischen Anwendung der
Normen des Völkerrechts gegeben.
Juez Garzon hat sich Verdienste vor allem als Pionier bei der Erweiterung
und Umsetzung des völkerrechtlichen Prinzips der universellen
Jurisdiktion erworben, ein Prinzip, das auf das sich entwickelnde „Weltrecht“ aufbaut.
Sie, Juez Garzon, haben einen Durchbruch im Kampf gegen die Straflosigkeit
von Kriegsverbrecher und Verbrecher gegen die Menschheit erreciht. Mit
Recht gelten Sie als ein Pionier für die Rechte von verschwundenen
Personen, die sogenannten desaparecidos, in Lateinamerika
aber auch in Europa und in der Welt.
Nun sind viele Opfer von Ungerechtigkeiten auch Opfer des Schweigens – víctimas
del silencio . Sie, Juez Garzon, haben ihnen eine Stimme
verliehen und somit auch eine gewisse Rehabilitierung ermöglicht,
denn die Opfer wollen vor allem Anerkennung, Opfer zu sein. Diese
Opfer-Perspektive, diese Anerkennung des individuellen Leidens ist
schliesslich eine Voraussetzung, um die allgemeinen Menschenrechte,
die auf der Würde jedes Einzelnen beruht, umsetzen zu können.
Dies hat praktische Implikationen für Millionen Menschen, die
auf Gerechtigkeit warten -- auch auf geschichtliche Gerechtigkeit
-- die einen Anspurch auf unsere Aufmerksamkeit haben, auf unser
Mitgefühl. Wir schulden allen Opfern diese Anerkennung,
und wir wollen sie auch mit Respekt anhören.
Sie sind ein Pionier für das Recht auf Wahrheit (1),
denn es bleiben stets Tabu-Bereiche und politisch inkorrekte Wahrheiten,
die unterdruckt oder veschwiegen werden. Sie haben sich für
die Rechte von indigenen Völker eingesetzt und auch für
die Rechte der Migranten. Man muss wohl ein Don Quijote sein,
um zu wagen, gegen alle Menschenrechtsverletzungen und gegen alle
Tabus anzugehen. Aber jemand muss es tun. Und es ist
gut, dass es Menschen gibt, die den Mut aufbringen, notwendige
Wahrheiten offen zu artikulieren. Hier muss man erwähnen,
dass Sie nicht nur Richter sind, sondern auch Dozent und Autor
von mehreren Büchern, aus denen ich heute zitieren werde,
unter anderem Un
Mundo sin Miedo (Eine Welt ohne Angst) und La
Fuerza de la Razon (Die Kraft der Vernunft).
Für Ihr Lebenswerk haben 22 Universitäten Ihnen den Titel
Doktor honoris causa verliehen. Im Jahre 2009 wurden
Sie auch vom PEN Zentrum Deutschland mit dem Hermann-Kesten Preis
ausgezeichnet. Damals war ich selber Präsident des PEN
Zentrums Suisse romand und habe Ihre Auszeichnung begrüsst.
Meine Damen und Herren, Nach dieser kürzen Einführung erlaube
ich mir nun, einige Stadien des Lebens und Wirkens von Baltasar Garzón
in Erinnerung zu rufen.
Baltasar Garzon Real wurde am 26. Oktober 1955 in Torres in der
Provinz Jaen in Andalusien geboren. Er hat Rechtswissenschaft an der
Universität Sevilla studiert und sich dann als Richter qualifiziert. Seine
Laufbahn als Richter begann in Valverde del Camino, in Villacarrillo
und Almería, ehe er im Jahre 1983 abgeordneter Inspekteur
für Andalusien am Consejo General del Poder Judicial wurde. 1988
wurde Garzon einer der sechs Untersuchungsrichter an der Audiencia
Nacional in Madrid, dem höchsten Gericht für Strafsachen. In
den Jahren 1990 und 1991 eröffnete er Ermittlungsverfahren gegen
organisierte Kriminalität vor allem gegen den Drogenhandel
in der spanischen Provinz Galicia.
In Jahre 1993 kandidierte er bei der Parlamentswahl und zog in
das Abgeordnetenhaus für die sozialistische Partei von Felipe Gonzalez
ein. Er wurde alsbald Beauftragter für den nationalen
Anti-Drogenplan im Rang eines Staatssekretärs, jedoch kehrte
nach einem Jahr zu seiner eigentlichen Liebe zurück – zur
Gerichtsbarkeit.
Im Jahre 1995 leitete Garzon Ermittlungen zu den Grupos Antiterroristas
de Liberación – bzw. Antiterroristische Befreiungsgruppen
ein (2). Diese hatten
in den 80er Jahren gezielte Morde an basquische Personen verübt,
die mutmasslich ETA Mitglieder oder Sympatisanten waren. Wie
es sich offenbarte, waren dabei auch vollkommen Unschuldige betroffen. Die
von Garzon geleiteten Untersuchungen offenbarten mit grosser Wahrscheinlichkeit,
dass führende spanische Politiker einschliesslich der amtierenden
Innenminister über diese illegalen Aktionen Bescheid wussten
und somit in einer Art Staatsterrorismus verwickelt waren. Dieser
Skandal trug zur Abwahl der sozialistischen Partei im Jahre 1996
bei.
Garzon beschäftigte sich intensiv mit den Ermittlungen gegen
baskische-Terroristen und im Jahre 1998 ordnete die Verhaftung von
Mitgliedern des privaten baskischen Sprachschulvereinigung wegen
mutmasslicher Verbindung zu ETA. Ferner verranlasste
Garzon die Schliessung verschiedener baskischer Zeitungen und Radiosender,
die vermutliche Verbindungen zu ETA unterhielten. Im Oktober
2002 untersagte Garzon die Aktivitäten der Partei Batasuna,
weil diese vermutlich zu ETA gehörte. Das Verbot wurde
2009 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
aufrecht erhalten. Im Jahr 2005 ermittelte Garzon gegen eine
Organisation, die Schutzgeld von baskischen Unternehmen erpresste,
und erliess einen Haftbefehl gegen den politischen und militärischen
Sprecher der ETA, Francisco Javier Lopez, der im Mai 2008 mit anderen
Kadern in Frankreich verhaftet wurde. Er ermittelte auch gegen
den islamischen Terrorismus und gegen Al-Quaeda.
Der Name Garzon ist vielleicht am berühmtesten wegen seiner
Untersuchung von Menschenrechsverletzungen in Lateinamerika, insbesondere
für den Kampf gegen die Straflosigkeit von ehemaligen Führern
der Militärjuntas, etwa den argentinischen Militärchef
in Rosario, Leopoldo Fortunato Galtiere, gegen wen er einen internationalen
Haftbefehl bereits am 24. März 1997 erlies. Dann erliess Garzon
am 16. Oktober 1998 einen internationalen Haftbefehl gegen den ehemaligen
chilenischen Staatspräsidenten General Augusto Pinochet, dem
vorgeworfen wurde, Verantwortung für die Ermordung und Folter
spanischer Staatsangehöriger in Chile zu tragen. Dabei
stützte sich Garzon auf Berichte der chilenischen „Wahrheitskommission“,
die in den Jahren 1990 und 1991 die Verbrechen während der Diktatur
aufklärte. Hier hat man mit einer Pionierleistung zu tun,
denn bisher hatten Staatsoberhäupter und höhere Militärs
weitestgehend Immunität genossen – nicht nur während
der Amtszeit sondern auch, gemäss der Doktrin der sog. „Act
of State“, auch weiterhin, nachdem sie nicht mehr im Amt waren. Pinochet
befand sich seinerzeit in London für ärztliche Behandlung. Garzons
Audiencia Nacional erliess einen internationalen Haftbefehl und die
Regierung Spaniens stellte einen Auslieferungsantrag an Grossbritannien. Daraufhin
wurde Pinochet verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Damals
war Pinochet 78 Jahre alt und in zweifelhafter Gesundheit. Im
März 2000 wurde Pinochet aus Gesundheitsgrunden freigelassen
und kehrte umgehend nach Chile zurück, blieb aber auch in Chile
unter Hausarrest bis zu seinem Tod im Dezember 2006. Der
Fall Pinochet stellte einen nützlichen Präzedenzfall dar
und bewies eindrucksvoll, dass auch ehemalige Staatsoberhäupter
vor einem Gericht zu Verantwortung gezogen werden können. Diese
Entwicklung bereitete den Weg, so dass später z.B. der ehemalige jugoslawische
Präsident Slobodan Milosevic, der im Jahre 2001 an den Internationale
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ausgeliefert
wurde. Milosevic starb 2006 in Haft.
Der Fall Pinochet zeigte ferner, dass das „Image“ eines
ehemaligen Staatspräsidenten erfolgreich korrigiert werden
kann, und dass ein Staatspräsident, der Verbrechen anordnet
oder Verbrechen duldet, auch als Verbrecher eingestuft werden kann
und so in die Geschichte eingehen wird. Dies ist ein besonderer
Sieg nicht nur in abstracto für die Justiz sondern
und vor allem für die Opfer und für die Wahrnehmung von
Geschichte. Auch
wenn Pinochet starb, bevor er verurteilt werden konnte, bleibt
sein Image stets mit den Verbrechen der Diktatur verbunden. Die
Implikationen sind klar. Auch wenn George W. Bush wahrscheinlich
nie vor ein Gericht gestellt wird, so ist sein Image durch die
Verbrechen in Abu Ghraib und Guantánamo befleckt. Er
konnte natürlich
auch gemäss des Prinzips der universellen Juridiktion irgendwann
irgendwo belangt werden. Und er weisst es. So wollte
Bush am 12. März 2011 in Genf einen Vortrag halten aber mehrere
Opfervereinigungen haben sich an die Staatsanwaltschaft in Genf
gewandt, und es bestand die Gefahr, dass ein Ermittlungsverfahren
wegen Folter gegen Bush eröffnet werden könnte. So
hat Bush kurzfristig die Reise nach Genf abgesagt. Dies ist
auch in gewissem Sinne ein Sieg – und schliesslich auch ein
Sieg im Sinne Garzons.
Es war historisch und juristich gerechtfertigt, dass Juez Garzon
bereits im Jahre 2003 Stellung gegen den Iraq-Krieg und öffentlich
gegen die betreiber des Aggressionskrieges bezog, u.a. gegen
George W. Bush, Tony Blair und den seinerzeitigen spanischen Premierminister
José María Aznar . Somit bestätigte Garzon
die Priorität des Rechts über die Politik, so wie der
damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan, der den Iraq-Krieg
als eine Verletzung der UNO Charta verurteilte, und dann ganz offen
als „illegal
war“ bezeichnete.(3)
In einem Artikel erschienen am 20. März 2007 in El Pais,
genau vier Jahre nach dem Beginn des Angriffkrieges gegen Iraq,
schrieb Garzon, dass seit 2003 die sog. Coalition of the Willing
unter Verletzung des Völkerrechts „ein vernichtender
Angriff auf den Rechtssaat durchgeführt„ hatte
sowie die Werte der internationalen Gemeinschaft im Kern getroffen
hatte.(4) Er plädierte
für die Betrafung der Verantwortlichen Politiker, die das „Masaker“ befohlen
hatten.
In seinem Buch Un mundo sin miedo schreibt Garzon über
die beruflichen Konsequenzen, die er wegen seiner Kritik der Politik
der spanischen Regierung insbesondere des Premierministers Aznar
zu erleiden hatte.(5) Garzon
wusste sehr wohl, dass es ein Preis zu bezahlen war, aber er zögerte
nicht, seine Bürgerpflicht und seine Pflicht als juristisch-denkender
Mensch zu erfüllen.
Garzon veranlasste Untersuchungen wegen illegalen CIA-Flügen,
und wegen Folterverbrechen in Guantanamo, wobei er sich auf Klagen
von drei Guantanamo Opfern stützte, Lakcen Ikassrien,
Jamiel Latif al Banna und Omar Deghayes. Im April 2009
eröffnete er ein Verfahren und leitete Ermittlungen gegen
sechs Mitglieder der früheren amerikanischen Regierungen ein,
gegen jene Menschen, die Verantwortung für die berüchtigten torture-memos trugen,
die Folter so umzuformulieren versuchten, dass Foltertatbestände
irgendwie juristisch legitimiert erschienen. Die belangten
Personen waren Attorney General Alberto Gonzales, Rechtsberater
John Yoo, Staatssekretär Douglas Feith, William Haynes II,
Jay Bybee und David Addington.(6) Nach
der Suspendierung Garzons im Mai 2010 wurde der Guantánamo
Fall nicht eingestellt, sondern wird weiterhin von der Audiencia
Nacional behandelt, und zwar durch den Richter Pablo Ruz, der den
Fall im Juni 2010 übernahm.(7)
In seinem Buch Un Mundo sin Miedo legt Garzon seine Überzeugung
dar, dass die aus der Menschenwürde entstammenden Menschenrechte erga
omnes Verpflichtungen darstellen. Darum steht kein
Staat über
dem Weltrecht. Mit anderen Worten, es kann nicht
um die Herrschaft des Positivismus gehen. Auch Hitlers
Verbrechen waren von Nazi-Gesetzen und Dekreten gedeckt – sie
waren aber inkompatibel mit dem Weltrecht. Es geht vielmehr
darum, die allgemeinen Prinzipien des Rechts zu stärken und
einzusetzen, jene Prinzipien die wir aus dem Artikel 38 des Statuts
des Internationalen Gerichtshofes kennen. Es geht um immanente,
manchmal ungeschriebenen Prinzipien der Menschlichkeit, der
Zivilisation, der Gerechtigkeit, es geht um soft-law Normen
wie das Mantense Klausel in der Präambel der. IV. Haager Konvention
die Garzon in seinem Buch La Fuerza de la Razon auch erwähnt. In
seinen Worten: „Que la víctima sea universal es el
núcleo,
es la esencia del principio de jurisdicción universal; esa
es la enseñanza que se ha ido construyendo a lo largo de
todo el siglo veinte, desde la cláusula Martens de 1899…„(8) Also
geht es schliesslich um das Naturrecht.
Garzon sagt uns, weshalb eine Weltgerichtbarkeit notwendig ist: „Es
geht darum, tätig zu werden, wenn die nationale Gerichtsbarkeit
es nicht tun kann oder will und es sich um Delikte wie Völkermord,
Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen oder Terrorismus
handelt. Angesichts dieses Typs von Verbrechen, die sich gegen
die Menshheit im Ganzen richten, sind nationale Grenzen
irrelevant. Die gesamte Menschheit an allen Orten der Welt ist
Opfer der Aggression, und darum ist jeder und an jedem Ort zu handeln
aufgerufen.“(9)
In seinem neuesten Buch La Fuerza de la Razon (Die
Kraft der Vernunft) -- Juez Garzon schreibt über den
Begriff des universellen Opfers – „victima universal“(10) --
denn jeder von uns ist Opfer, wenn Verbrechen irgendwo begangen
werden. So
beginnt Garzón sein zweites Kapitel mit dem Satz von Baron
de Montesquieu „Die einem Einzelnen zugefügte Ungerechtigkeit
ist eine Bedrohung für alle“. Wir können
Montesquieu und Garzón beistehen. Denn die Menschenrechte
verpflichten uns, nicht selektiv gegen Menschenrechtsverletzungen
anzugehen, sondern auch gegen Ungerechtigkeiten gegen jeden Einzelnen. In
der Tat sind Opfer keine abstrakte Konstruktionen. Es sind
Menschen von Fleisch und Blut, und wir alle haben eine Verpflichtung
gegenüber
den Opfern. Wie der erste UNO-Hochkommissar für Menschenrechte,
Dr. José Ayala Lasso (Ecuador), oft sagte, gibt es keine
Opfer zweiter Klasse. Es gibt auch kein Völkerrecht
nach Belieben, noch Menschenrechte à la carte. Garzon
ist ebenso ein Gegner der Politik der doppelgter Moral, und verurteilt „la
doble moral o vara de medir“.(11)
Garzón beendet sein Buch mit einer Mahnug – er einnert
uns an die Würde des Opfers und an ihr Anspruch auf Rehabilitierung: „Quiero
que mis últimas palabras sean para todos aquellos que dedican
su esfuerzo a luchar por la justicia, la verdad y la reparación
a las víctimas de tantas atrocidades, y que a veces son
olvidadas, denostadas, culpabilzadas o tratadas selectivamente.
Todo esfuerzo es poco para conseguir una verdadera reparación.
Todas las instituciones y responsables púb licos y, más
aun, toda la sociedad, estamos obligados a compromerternos y pelear
para que definitivamente se obtenga esa meta, porque todos somos
responsables. Las víctimas nos muestran el camino que debemos
seguir si queremos recuperar nuerstra dignidad, porque ellas nunca
la perdieron.“(12) Die
nobelste Aufgabe der Justiz ist also, die Opfer zu schützen – alle
Opfer, ohne Diskriminierung -- und sie auch zu rehabilitieren.(13)
Nun wissen wir, Juez Garzón, dass Ihre Tätigkeit nicht
nur Freude war, und dass Sie nicht nur Freunde haben. Aber
derjenige, der etwas zu sagen hat, und der Mut hat, nicht nur zu
sagen, sondern auch zu handeln – er weisst, dass das Handeln
persönliche Konsequenzen haben kann. Wer etwas Neues wagt,
weckt oft Neid. Derjenige, der kritisiert, muss mit Widerstand
rechnen. Es ist immer einen Preis zu bezahlen, wenn man den status quo verändern
will. Auch Jean Jacques Rousseau hat in seinen Konfessionen über
mancherlei Anfeindungen berichtet. Im Jahre 2012 werden
wir in Genf die Dreihundertjahresfeier des Geburtes Rousseaus begegnen. Er
hatte sich für Menschenrechte und Menschenwürde eingesetzt,
auch wenn, wie wir wissen, er sich selbst nicht immer daran hielt. Errare
humanum est. In seinem Contrat Social schrieb
Rousseau über das Naturrecht, das höher ist als das geschriebene
Recht. In seinem Essai sur l’origine de l’inégalité wagte
er festzustellten, „Der Mensch ist frei geboren, und dennoch
ist er überall in Ketten.“ Dies hat Rousseau
genug Diffamierungen gebracht! Calumniare adacter, semper aliquid
haeret.
Und Sie, Juez Garzon, Sie haben es selber in La Fuerza
de la Razón erkannt: „Aquel que
toma la decisión de comprometerse, sea en el ámbito
de la justicia o sea en cualquier otro ámbito, va a tener
críticos.“(14)
Juez Garzon, Sie haben seit Juni 2010 in Den Haag dem Internationalen
Strafgerichtshof auch weitere Impulse gegeben. Nun ziehen Sie nach
Kolumbien, um dort mit der Organisation der Amerikanischen Staaten
im Friedensprozess mitzuwirken. Wir wünschen Ihnen
Erfolg bei der Suche nach Frieden, Frieden mit Gerechtigkeit
für alle. Vom Westfällischen Frieden kennen wir
den Satz „Pax Optima Rerum“ – der Friede ist
das höchste Gut. Arbeiten Sie bitte in diesem Sinne, im
Sinne der Rehabilitierung der Opfer – aller Opfer. Vermeiden
Sie aber Pauschalierungen und die Trennung der Menschen in
Opfer- und Täterkategorien. Es gibt böse Ideen und
böse Philosophien, es gibt böse Taten und Verbrechen, und
dann gibt es uns – die Menschen – und wir tun mal Gutes,
mal Böses. Es ist das Gewissen der Menschen, das wachgeruttet
werden muss. Der Mensch hat viel Gutes in sich, und es gilt, das
Gute zum Vorschein zu bringen. Wie wir wissen, ist die Situation
in Kolumbien sehr komplex und die Menschen befinden sich oft in sehr
unglücklichen Situationen, und zwar auf allen Seiten des Konflikts. Es
gilt also, einen Frieden mit Gerechtigkeit zu ermöglichen.
Wie Immanuel Kant in seinem Essay „Zum ewigen Frieden“ (1795) schrieb:
„Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand
genommen Gemeinschaft so weit gekommen ist, dass die Rechtsverletzung
an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine
phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts,
sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex
sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen
Menschenrechte überhaut, und so zum ewigen Frieden...“ (15)
Also doch: ein Weltbürgerrecht und ein
Weltgewissen.
Sie, Juez Garzon, haben dazu beigetragen, dass sich ein Bewusstsein über
die zwingende Notwendigkeit des Völkerrechts und der Menschenrechte
weiter entwickelt hat. Dies wiederum entfaltet eine Präventivwirkung,
denn das menschenrechtliche Bewusstsein lässt keine Verletzungen
der Menschenwürde zu. Zunächst muss man die Menschenrechte
in den Schulen und in den öffentlichen Medien lehren und populär
machen, dies aber auf nüchterner und nicht selektiver Weise. Dann
mussen Umsetzungsmechanismen geschaffen werden, wie der UNO Menschenrechtsrat,
der Menschenrechtsausschuss (16) aber
auch der Internationale Strafgerichtshof. Wir sind auf dem
richtigen Weg, ein Weg der von uns Beständigkeit und Beharrlichkeit
abverlangt. Dies tun wir mit Überzeugung und Optimismus im
Sinne der alten Weisheit : „der stete Tropfen höhlt
den Stein“.
Sie, lieber Baltasar Garzon Real, haben Mut gezeigt und somit auch
im Sinne der Kantschen Maxime gehandelt
„Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
– eine Weisheit, die auf die Episteln von Horaz
zurückgeht:
Dimidium facti, qui coepit, habet: sapere aude, incipe.(17)
Wir alle danken Ihnen für Ihren Mut und gratulieren zur Verleihung
des Kant Weltbürgerpreises.
Prof. Dr. Alfred de ZAYAS
Geneva School of Diplomacy
(1) Am 20. April
2005 hat die Menschenrechtskommission der UNO, heute Menschenrechtsrat,
eine einschlägige Resolution verabschiedet Resolution
2005/66, UN Doc. E/CN.4/205/66. Siehe auch den 2009 Bericht
der UNO Hochkommissarin für menschenrechte Navi Pillay, http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/12session/A-HRC-12-19.pdf,
21 August 2009. Siehe auch Yasmin Naqvi, "The right to
the truth in international law; fact or fiction?" International
Review of the Red Cross, Vol. 88, June 206, pp. 245-273.
(2) Garzon, La
Fuerza de la Razon, S. 43ff.
(3) http://news.bbc.co.uk/2/hi/3661134.stm
(4) El Pais, 20
März 2007. Tribuna : Baltasar Garzon Real : « A
instancias de Estados Unidos y Gran Bertrña y apoyado
por España entre otros paises, dió comienzo uno
de los episodios más sórdidos e injustificables
de la historia de la humanidad recientes. Quebrantando todas
las leyes internacionales, y, so pretexto de potenciar la lucha
contra el terrorismo, se ha desarrollado, desde 2003, un ataque
demoledor contra el Estado de derecho y la propia esencia de
la Comunidad Internacional” http://www.elpais.com/articulo/opinion/Aniversario/elpepiopi/20070320elpepiopi_16/Tes?print=1
(5) Un monde
sans peur, S. 270f.
(7)
Spanish Court
Gives Go-Ahead for Guantánamo Torture Investigation
to Continue. http://www.andyworthington.co.uk/2011/03/01/spanish-court-gives-go-ahead-for-guantanamo-torture-investigation-to-continue/
(8) La Fuerza
de la Razón, S. 72.
(9)
Un Mundo
sin Miedo, S. 190f.
(10)La Fuerza
de la Razón, S. 44.
(11) S. 69.
(12) La Fuerza
de la Razón, S. 207.
(13) S. 82-83.
(14) La Fuerza
de la Razón, S. 45.
(15) Immanuel
Kant, „Zur Ewigen Frieden“ in Kurt von Raumer, Ewiger
Friede, Verlag Karl Alber Freiburg i. Br., 1953, S. 435.
(16) Jakob Th.
Möller/Alfred de Zayas, United Nations Human Rights
Committee Case Law, N.P. Engel, Kehl am Rhein 2009.
(17) Gerhard
Fink (Ed.) Horatius Flaccus, Quintus: „Satiren=Sermones.
Briefe=Epistulae. Lateinisch/deutsch. Quintus Horacius Flaccus.“ Übersetzer:
Gerd Herrmann. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler.
2000.
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