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Felix qui potuit rerum cognoscere causas
(Virgil, Georgics, ii. 490)
 
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Der neue Uno-Menschenrechtsrat
wurde von der EU im Stich gelassen

von Professor Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Genf*

Die Hohen Vertreter der Staaten haben sich verpflichtet, den neuen Menschenrechtsrat effektiver zu gestalten und vor allem den Opfern zu helfen und dabei auf doppelte Moral und Politisierung zu verzichten.
Der Menschenrechtsrat ersetzt die Menschenrechtskommission (MRK), die von 1946 bis zum Frühjahr 2006 tagte und viel Gutes getan hat. In den letzten Jahren hatten die Vereinigten Staaten und die EU die Kommission als «diskreditiert» bezeichnet, weil auch sogenannte «Schurkenstaaten» in der Kommission sassen. Aber sind nicht auch die Generalversammlung und der Sicherheitsrat «diskreditiert», zumal auch dort Schurkenstaaten mitwirken? Und wer bestimmt eigentlich, wer die Schurkenstaaten sind? Sind Saudi-Arabien, Nord-Korea, der Iran die einzigen Schurkenstaaten? Oder vielleicht auch andere Staaten, die das Völkerrecht mit Füssen treten, wie Russland seit Tschetschenien, die Vereinigten Staaten mit ihren Angriffskriegen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Guantánamo oder Israel, das wegen gröbster Menschenrechtsverletzungen vom Uno-Menschenrechtsausschuss und vom Ausschuss gegen die Folter wiederholt verurteilt worden ist?
Und wenn die MRK in den letzten Jahren angeblich an Glaubwürdigkeit verloren hatte, hatten die EU-Staaten nicht dazu beigetragen? Ich war persönlich dabei, als im Jahr 2004 und 2005 Guantánamo in der MRK auf der Tagesordnung stand. Die «guten Staaten» der EU haben seinerzeit mächtig politisiert und eine doppelte Moral angewandt. Man erinnert sich an den atemberaubenden Zynismus einiger EU-Staaten und an die beschämende Tatsache, dass sämtliche EU-Staaten gegen die Guantánamo-Resolution stimmten, um ihren Nato-Alliierten und Freund, die USA, nicht zu verärgern.
Als jemand, der 22 Jahre lang mit der MRK und anderen Uno-Organen direkt zu tun hatte, halte ich die MRK keineswegs für eine diskreditierte Einrichtung. Im Gegenteil. Immerhin hat sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die zwei Menschenrechtspakte und etliche andere Verträge verabschiedet. Sie hat bedeutende Mechanismen ins Leben gerufen, wie die Arbeitsgruppen gegen willkürliche Verhaftungen, über verschwundene Personen, über die Rechte der Autochthonen und Sonderberichterstatter, über die Folter, über aussergerichtliche Tötungen berufen usw.
Die MRK tat Gutes, wofür wir im Namen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen dankbar sein müssen, und der Menschenrechtsrat kann auch viel Gutes bewirken. Auch wenn er politisch ist, oder gerade deswegen.
Der neue Menschenrechtsrat wurde am 19. Juni vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, eröffnet. Welche Ergebnisse hat der neue Menschenrechtsrat bislang zu melden? Als die erste Sitzungsperiode am 30. Juni zu Ende ging, hatte der Menschenrechtsrat eigentlich einige ganz gute Resolutionen und Entscheidungen angenommen, die Aufgaben der Sonderberichterstatter verlängert, neue Verfahrensregeln beraten. Die Erklärung über die Rechte der autochthonen Bevölkerungen, woran die MRK 11 Jahre gearbeitet hatte, wurde verabschiedet und an die Generalversammlung weitergeleitet. Auch eine neue Konvention über verschwundene Personen wurde verabschiedet.
Über die Situation im Nahen Osten konnte der Menschenrechtsrat nicht schweigen. Er verabschiedete eine viel zu mild formulierte Resolution. Diese Resolution 2006/106, «Human rights situation in Palestine and other occupied Arab territories», fordert die Sonderberichterstatter auf, in der folgenden Sitzungsperiode des Rates zu berichten und die Frage auf der Tagesordnung zu behalten. Im Hinblick auf die vielen durch Israel verletzten Resolutionen der Generalversammlung und der MRK erschien diese Resolution des neuen Menschenrechtsrates merkwürdig zahm. Zum Entsetzen von vielen Beobachtern – vor allem Mitgliedern der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – haben die EU-Staaten sowie auch Kanada, Australien und sogar die Schweiz in unaufrichtiger politischer Weise argumentiert und schliess-lich gegen die Resolution gestimmt, die mit 29 Stimmen dafür, 12 dagegen und 5 Enthaltungen verabschiedet wurde.
Im Hinblick auf die seit Jahrzehnten andauernden gröbsten Menschenrechtsverletzungen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und im Hinblick auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes (IGH) vom 9. Juli 2004, die bis heute von Israel total ignoriert worden ist, wäre eine deutlichere Resolution des Menschenrechtsrates notwendig gewesen. Obwohl die EU-Staaten für Konsens plädiert hatten, wollten sie den Konsens nur dazu benutzen, um die Resolution weiter zu schwächen und Israel in Schutz zu nehmen. Als ihre Vorschläge die Mehrheit der Mitglieder der Rates nicht überzeugten, weil sie durch und durch unredlich waren, haben sie horribile dictu gegen die Resolution gestimmt, genauso wie sie es in der MRK getan hatten, als sie gegen die Guantánamo-Resolution stimmten.
Die atemberaubende Inkonsequenz der EU und die peinlichen Unaufrichtigkeiten, unter anderem des Vertreters von Finnland, der im Namen der EU sprach, waren ein Tiefpunkt dieser ersten Sitzungsperiode, und sie haben die Glaubwürdigkeit und Autorität des neuen Menschenrechtsrates gewiss nicht gefördert. Positiv hervorzuheben waren die aufrichtigen Worte der Vertreter von vielen der 29 Staaten, die dafür stimmten, insbesondere von Argentinien und Uruguay. Völlig unverständlich bleibt, warum auch die Schweiz gegen die Resolution stimmte. Immerhin hatte Micheline Calmy-Rey in früheren Jahren viele wertvolle Initiativen für den Nahen Osten befürwortet.
Die Woche darauf tagte der Menschenrechtsrat in seiner ersten Sondersitzung, um über die humanitäre Katastrophe in Gaza zu beraten. Am 6. Juli verabschiedete der Menschenrechtsrat eine Resolution, «[…] tief besorgt über den Bruch des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte durch Israel», und beschloss die Entsendung einer Erkundungsmission in die von Israel besetzten Gebiete. Der Uno-Sonderberichterstatter John Dugard, Professor an der Universität Leiden in den Niederlanden, sollte nach Israel und Palästina reisen.
Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass er die Einreisegenehmigung von Israel erteilt bekommt. Israel hat über Jahrzehnte hinweg Uno-Missionen verhindert. Israel kann sich dies nur leisten, weil jede Resolution gegen Israel im Sicherheitsrat durch die Vereinigten Staaten blockiert wird. In der Tat haben die Vereinigten Staaten das Vetorecht 81mal verwendet, in den meisten Fällen, um Israel vor Sanktionen zu schützen, jüngst noch am 13. Juli, als eine grosse Mehrheit im Sicherheitsrat Israel wegen seines Vorgehens in Gaza und in Libanon verurteilen wollte.
Wenn die EU die Menschenrechte ernst nehmen würde, so hätten sie diese neue Resolution des Menschenrechtsrates unterstützt. Wie bereits bei der früheren Resolution haben sie aber alle en block «nein» gesagt. Diesmal hat die Schweiz immerhin nicht dagegen gestimmt, sondern sich der Stimme enthalten. Die Resolution wurde also mit 29 Stimmen dafür, 11 dagegen und 5 Enthaltungen angenommen.
Warum diese Haltung der EU und der Schweiz? Das ist schwer zu erklären. Nach aussen haben sie die Resolution als «einseitig» bezeichnet, weil die Resolution nur Israel verurteilt. Meines Erachtens ist die Resolution keinesfalls einseitig. Sie stellt fest, dass grobe Verletzungen des Völkerrechts, des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte durch Israel begangen worden sind: die Zerstörung der palästinensischen Infrastruktur, einschliesslich des Elektrizitätswerkes, von Wasserleitungen und Brücken; die Verhaftung palästinensischer Minister, Parlamentsabgeordneter und Beamter, die Bombardierung von Ministerien und aller Art kollektive Strafen gegen die Zivilbevölkerung.
Man bedenke, dass der Sicherheitsrat Israel durch die Resolution 242 aus dem Jahr 1967 aufgefordert hatte, alle besetzten Gebiete zu räumen. 39 Jahre danach sitzt Israel immer noch auf palästinensischem Territorium, zerstört die Häuser, raubt das Wasser. Man bedenke, dass die höchste juristische Instanz der Vereinten Nationen, der Internationale Gerichtshof, am 9. Juli 2004 eine grosse Anzahl von Verletzungen des Völkerrechts durch Israel feststellte. Israel hat die Beschlüsse des IGH und die daraufhin angenommenen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen bisher mit Arroganz vollkommen ignoriert.
Wäre es nicht an der Zeit, dass die Staaten der EU verlangen, dass auch Israel das Völkerrecht achtet? Und wenn Israel nicht einmal die Beschlüsse des Internationalen Gerichtshofes respektiert, sollte dies «business as usual» bleiben? Sollten die Schweizer weiterhin israelische Zitrusfrüchte, Datteln, Microchips kaufen? Sollten die gröbsten Menschenrechtsverletzungen durch Israel ohne Konsequenzen bleiben? Sollten vielleicht gewisse Sanktionen auferlegt werden? Die Schweiz hat eine direkte Demokratie. Sollte das Volk nicht deutlicher sagen, dass keine Geschäfte mit Schurkenstaaten getätigt werden sollen?
Die EU-Staaten müssen sich entscheiden, ob sie für die Menschenrechte sind oder nicht. Man kann feststellen, dass der neue Menschenrechtsrat verhältnismässig gute Arbeit geleistet hat. Aber die Europäische Union hat deutlich versagt. Nicht die Glaubwürdigkeit des Menschrechtsrates, sondern die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union und auch der Schweiz stehen hier auf dem Spiel. •
* Professor Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas ist US-Amerikaner, ehemaliger Sekretär des Uno-Menschenrechtsausschusses, ehemaliger Chef der Beschwerdeabteilung im Büro des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte. Dr. Alfred de Zayas ist Autor unter anderem der Bücher «Die Nemesis von Potsdam», Herbig 2005, «Heimatrecht ist Menschenrecht», Universitas 2001, und Präsident des PEN-Zentrums der französischen Schweiz.

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