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Alfred de Zayas
Bayernkurier 10 Dezember 2005, Seite 10
Zehn Jahre Dayton
Das Daytoner Abkommen,. Produkt der europäischen Poltik von US Präsident
Bill Clinton, wurde am 14. Dezember 1995 von Slobodan Milosevic, Franjo
Tudjman und Alija Izetbegovic in Dayton, Ohio, unterschrieben.
In vielen Hinsichten stellte es ein Sieg des modernen Völkerrechts
dar, denn dadurch wurde der Krieg in Bosnien und Herzegowina beended,
und auf dem Papier wurde das Recht auf die Heimat für alle Beteiligten
anerkannt, bzw. das Rückkehrrecht der Flüchtlingen und Vertriebenen,
das Recht auf Restitution und Kompensation, der Schutz der Menschenrechte
und Minderheitenrechte. Um diese Prinzipien in die Tat umzusetzen, wurde
gemäß Anlage VI des Abkommen eine Menschrechtskommission ins
Leben gerufen und ein Tribunal --die Human Rights Chamber -- in Sarajevo
etabliert, die bis 2003 mehr als 12000 Fälle behandelt hatte.
Gemäß Anhang VII des Abkommens wurden die Modalitäten
der Rückkehr von mehr als 2 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen
bestimmt, sowie ihrer Entschädigung, die mit Hilfe des UNO Hochkommissars
für Flüchtlinge teilweise verwirklicht wurde.
Das Völkerrecht ist allerdings keine Mathematik, und die Verkündung
menschenrechtlicher Normen ist weit von der Verwirklichung entfernt. So
kamen gemäß Sicherheitsrat Resolution 1031 etwa 60,000 NATO
Truppen nach Bosnien und Herzegowina, um dort den Frieden zu sichern.
Auch der Büro des Hochkommissars für Menschenrechte entfaltete
zahlreiche Aktivitäten. Und dennoch bleiben die alten Rivalitäten
zwischen den katholischen Kroaten, orthodoxen Serben und muslimischen
Bosniern akut. Viele haben Angst um ihre Identität und mißtrauen
den anderen. Kein gutes Rezept für eine funktionierende Demokratie.
Nach der polisch korrekten Kosmologie liegt das Problem allein bei den
Serben, die gewissermassen die Rolle der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg
übernommen haben und tragen somit die „Täter“ Etiquette.
Serben sind an allen Schuld, vor allem für das abscheuliche Verbrechen
von Srebenica. Und dennoch, wer unvoreingenommen Berichte über Kriegsverbrechen
und Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien liest, enfährt,
dass Individuen aller Volksgruppen mal Täter, mal Opfer waren. Die
herrkömmliche „Teufelogie“ will es, daß die Verbrechen
der Serben bestraft werden. Alles wird gut sein, wenn endlich mal der
ehemalige Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, und wenn
der Serbengeneral Radko Mladic endlich vor dem Internationalen Strafrechtstribunal
in den Haag stehen. Wirklich? Interessant wird es sein, wie das Haager
Gericht im Fall des ehemaligen Presidenten Jugoslawiens Slobodan Milosevic
entscheiden wird. Eigentlich ist sein Prozeß ein Prozeß um
das Recht auf die Heimat der Bosnier und der Kosovaren.
Gewalt kocht weiterhin im Balkan. Und NATO Bombardierungen im Jahre 1999
haben weder den Frieden noch die Gerechtigkeit in Kosovo gesichert. Doch
wurden tausende Zivilisten dabei getötet, u.a. viele Kosovaren, die
man von der „ethnischen Säuberung“ retten wollte. Der
ehemalige Münchener Völkerrechtler und heute deutscher Richter
im IGH, Professor Bruno Simma, hatte seinerzeit mit Recht bemerkt, daß
die NATO Bombardierungen ohne Genehmigung des Sicherheitsrates wohl völkerrechtswidrig
waren. Geschweige denn die NATO Verbrechen durch die Verwendung von radioaktiven
Waffen, die noch eine Belastung des Umwelts in Bosnien und Serbien entfalten.
Leider wurde im Dezember 2001 der Fall Bankovic vom Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte für unzuläßig (politisch-inkorrekt)
erklärt, was die Glaubwürdigkeit des internationalen Menschenrechtsschutzsystems
wohl beschädigte.
Der Staat Bosnien und Herzegowina hat weiterhin erhebliche Sorgen und
Probleme. Die Menschenrechtskammer hatte eine hervorragende und vertrauensbildende
Aktivität entfaltet, denn sie hatte die Klagen von Bosniern, Kroaten
und Serben neutral behandelt. Jedoch wagte sie zweimal, die Bosnische
Regierung zu verurteilen, weil sie sechs Algerier – Terrorismus-verdächtige
-- ohne Verfahren, auf willkürliche Weise an die Vereinigten Staaten
im Jahre 2002 auslieferte, die dann nach Guantanamo verbracht wurden.
Aus lauter Ärger sorgen die Vereinigten Staaten dafür, daß
die Kammer ihre Tätigkeit am 31. Dezember 2003 unverrichteter Dinge
beenden mußte. Dies war ein Verlust für die demokratische Entwicklung
Bosniens.
Tagungen in Wien, Berlin, Genf und Sarajevo, Anhörungen in Europäischen
Parliament....Alle wollen „10 Jahre Dayton“ begegnen. Doch
wer denkt an die Opfer der ethnischen Säuberungen, die 10 Jahre nach
dem Abkommen immer noch nicht in die Heimat zurückgekehrt sind ?
Es sind Bosniern, Kroaten und Serben die nicht nach Hause können,
auch wenn der Hochkommissar für Flüchtlinge eine ehrenwerte
Rolle bei der Repatriierung eines Teiles der Opfer spielte. Das Land aber
lebt weiterhin in einer Art Apartheid. Und für das Zusammenleben
der drei Volksgruppen ist kaum genug getan worden.
Liegt die Zukunft Bosniens in Gesprächen um EU-Mitgliedschaft, wie
manche grüne Politiker im EP vorschlagen ? Lächerlich. Besser
wäre es, bescheiden zu bleiben, und zunächst zu vesuchen, die
notwendige menschenrechtliche Gründlage zu errichten, um darauf zu
bauen und in guter Nachbarschaft leben zu können!
Professor Dr.iur. et phil. Alfred de Zayas, Genf, Autor von „Die
Nemesis von Potsdam“ (Herbig 2005), „Heimatrecht ist Menschenrecht“
(Universitas 2001)
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