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Beati misericordes: quoniam ipsi misericordiam consequentur (Secundum Matthaeum 5,6) |
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Täter- und Opferkategorien Schwarzweißmalerei bei der Wehrmachtjustiz und den Deserteuren Der Zeitgeist in geistiger UmnachtungDie Debatte über die Rehabilitierung der Deserteure liefert noch ein Beispiel dafür, dass sich der Zeitgeist in geistiger Umnachtung befindet. Historisch, soziologisch und völkerrechtlich wird anachronistisch argumentiert. Weil Hitlers Krieg einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg darstelle, hätte jeder Soldat desertieren sollen. Deserteure sind also die Helden. Die Millionen Soldaten, die im Feld fielen, waren nicht nur die Dummen -- sie waren die Bösen, ja die Verbrecher. Die Verunglimpfung der Wehrmacht ist salonfähig geworden: Soldaten sind Mörder. Die jüngere Generation schlägt auf die Brust der älteren und bildet sich dabei ein, auf eine moralisch höhere Stufe zu stehen. Eigentlich handelt es sich um eine Abrechnung mit jenen, die den Krieg verloren haben. Einen Höhepunkt hat die Anti-Wehrmacht Kampagne im März 1995 mit einer pseudo-wissenschaftliche Ausstellung des Hamburger "Instituts" für Sozialforschung, die unter dem Titel "Vernichtungskrieg--Verbrechen der Wehrmacht" lief. Kein seriöser Historiker bestreitet, dass Exzesse und Verbrechen von Angehörigen der Wehrmacht - vor allem im Rahmen der Partisanenbekämpfung begangen wurden. Aber es wird verschwiegen, dass die Wehrmachtjustiz, wie keine andere im zweiten Weltkrieg, in Tausenden von Fällen eingeschritten ist -- und zwar zum Schutze der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten. So wurden viele Wehrmachtsoldaten von Wehrmachtgerichten verurteilt -- wegen Mord, Vergewaltigung und Plünderung. Die Militärgerichtsbarkeit wird seit längerem angegriffen. Bereits in den fünfziger Jahren wurde im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den ehemaligen Feldmarschall Schörner zahlreiche Vorwurfe gegen die Wehrmachtjustiz erhoben, z.B. dass sie "Stützen Hitlers bei der Vorbereitung und Durchführung der Kriegspläne" gewesen sein. Die Bezeichnung "Blutrichter" wurde ein sowjetzonales Propagandaschlagwort, dass von der westlichen Presse übernommen wurde. In den siebziger Jahren wurde der ehemalige Ministerpräsident Baden Württembergs wegen seiner Kriegstätigkeit als Marinerichter zu Unrecht beschimpft und schließlich musste er gehen. Wenige Stimmen in der Presse erhoben sich, um die Diffamierung und Rufmordkampagne entgegenzutreten. Als das fundierte Wissen über die Wehrmacht und über die Wehrmachtjustiz weniger wurde, z.T. weil die Wissensträger zu alt oder verstorben waren, gewannen die Verallgemeinerungen und Vorurteile an Plausibilität. Dass die Presse undifferenziert berichtete und polemisierte erstaunt nicht. Aber am 11. September 1992 erklärte das Bundessozialgericht, dass die Wehrmachtgerichtsbarkeit "Vollzugsorgan des Maßnahmestaates" und ihre Urteile oder zumindest Todesurteile als "offensichtlich unrechtsmäßig im Sinne des Art. l II lit. d BVG" waren. Aber wenn die Wehrmachtjustiz tatsächlich im Sinne Hitlers gehandelt hätte, wären keine von Hitler verlangten fliegenden Standgerichte und auch keine separate SS-Gerichtsbarkeit eingerichtet worden. Es hätte weder einen Barbarossa-Erlass über die Beschränkung der Wehrmachtgerichtsbarkeit noch einen Hitler-Erlass vom 20. September 1944 gegeben, in welchem der Wehrmachtjustiz die kriegsgerichtliche Kompetent für die Aufklärung von politischen Delikten vor allem des Attentats vom 20. Juli 1944 förmlich weggenommen wurde. Es ist unumstritten und wissenschaftliche belegt, dass Hitler die Wehrmachtjustiz hasste, gerade weil sie nicht das tat, was er von ihr verlangte. Persönlich habe ich im Bundesarchiv Hunderte von Wehrmachtsurteile gelesen, die diese Unabhängigkeit der Wehrmachtjustiz beweisen. Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass unter den Opfern des Nationalsozialismus viele Wehrmachtjuristen waren, wie zum Beispiel der Chef der Heeresrechtsabteilung, Dr. Karl Sack, der am 4. Februar 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet wurde. Ebenfalls wegen Verschwörung gegen Hitler wurden der Chef der Luftwaffenrechtsabteilung (1934-1939), Dr. Rudolf Schleicher, Reichsgerichtsrat Dr. Johann von Dohnanyi und Helmuth James Graf von Moltke, der zwar kein Heeresrichter, aber Wehrmachtjurist in der Völkerrechtsabteilung beim OKW war, hingerichtet. Wer die Wehrmachtjuristen pauschal tadelt, tadelt auch diese und viele andere Widerstandskämpfer. Nun war es so weit, die Urteile der Wehrmachtjustiz pauschal für null und nichtig zu erklären. So haben Abgeordnete der Grünen und der SPD dem Bundestag vorgeschlagen, die Deserteure des Zweiten Weltkrieges, die als "Widerstandskämpfer" hochstilisiert wurden, pauschal zu rehabilitieren und zu entschädigen. Sie sollten pauschal als "Opfer" von "Unrechtsurteile" der "Terrorjustiz" von "furchtbaren Juristen" ihre Ehre zurückbekommen. Dabei sollten die Wehrmachtsjuristen als "NS-Täter" gelten. Ist es aber so einfach? Pauschale Urteile hat man vom Totalitarismus gelernt. Im Grunde sind sie einem Rechtsstaat nicht würdig. Und genau solche Pauschale Lösungen werden vorgeschlagen. So im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, wo über die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure beraten wird. Unterträgliche Hetze gegen Sachverständige Die SPD und Grüne nannten 5 Experten, u.a. Ludwig Baumann, einen ehemaligen Deserteur und 1. Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V., und Professor Dr. Manfred Messerschmidt, der bei der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz aktiv wirkt und 1977 zusammen mit Fritz Wüllner die Polemik "Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus" veröffentlichte, und Dr. Traugott Wulfhorst, der Richter im Bundessozialgericht, der an das BSG Urteil vom 11.9.1991 maßgeblich wirkte. Ob diese Experten unabhängige Sachverständige waren sei dahingestellt. Als die vier Gutachter der CDU genannt wurden, sprach der stellv. SPD-Fraktionsvorsitzenden Schily von "Skandal" und "Provokation", zwei Parolen die von der Presse sofort aufgegriffen wurden, und zwar eine Woche vor der Anhörung. Es nützte nicht, dass Norbert Geis, der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einer Erklärung protestierte, denn seine Mitteilung wurde von der Presse ignoriert. Wer waren die von der CDU/CSU genannten Gutachter? Professor Dr. Franz Seidler von der Bundeswehrhochschule in Neubiberg b. München, der in zwei umfangreichen Werken sich wissenschaftlich speziell mit der Militärgerichtsbarkeit und dem Problem dere Fahnenflucht auseinandergesetzt hat . Bundeswehrgeneral a.D. Dr. Jürgen Schreiber, der über die Kriegsdienstverweigerung promovierte und zehn Jahre lang Schriftleiter der "Neuen Zeitschrift für Wehrrecht" war; von seinem Doppelstandpunkt - Soldat und Jurist - konnte er dem Rechtsausschuss Rede und Antwort stehen. Landgerichtspräsident a.D. Otfried Keller, der im Zweiten Weltkrieg Offizier und vier Jahre lang Heeresrichter war. Als einzige nichtdeutscher Sachverständiger wurde ich genannt, nachdem ich 1994/95 im Fall Lehnigk-Emden als Gutachter aufgetreten war und der Bundesgerichtshof im Sinne meines Gutachtens entschieden hatte. Alle vier vertraten die Meinung, dass es wissenschaftlich unhaltbar ist, die Wehrmachtjustiz pauschal als Terrorjustiz hinzustellen und für alle Verurteilten eine pauschale Unschuldsvermutung auszusprechen. Bis kurz vor der Anhörung war es nicht bekannt, wen die FDP als Gutachter nennen würde. Professor Dr. Horst Möller vom Institut für Zeitgeschichte in München hat vielleicht am überzeugendsten argumentiert, weshalb eine pauschale Rehabilitierung der Deserteure unvernünftig sei, und weshalb man um die Einzelfallprüfung nicht umhinkommt. Wie zu befürchten war, hat die Tagespresse über die Argumente dieser letzten Gutachter so gut wie nichts berichtet. Eigentlich gilt der Satz audiatur et altera pars nicht nur für die Juristen. Der Satz gilt für die Historie und für jede Wissenschaft. Man muss die Fakten kennen, ehe man urteilt, die verschiedenen Perspektiven berücksichtigen, um sich an die Wahrheit heranzunähern. Aber in einer Atmosphäre der geistigen Einschüchterung, werden zunehmend Sprach und Denkverbote auferlegt. Es geht um einen sonderbaren Kulturkampf -- eigentlich um einen Kampf um die Identität der Deutschem im auslaufenden 20. Jahrhundert. Man legt die eigene Geschichte ab, als wäre sie ein überflüssiger Mantel. Man möchte vom Krieg nichts wissen - vielleicht auch nicht von den alten preußischen Werte der Ehre und Wahrheitsliebe. Tatbestand Wie General Schreiber treffend feststellte, lernt jeder Soldat der Welt - unabhängig von der Staatsform, in der er lebt - dass das Verlassen der Truppe strafbar und Fahnenflucht mit schwerster Strafe bedroht ist. Auch in der Bundeswehr ist Fahnenflucht nach unserem Wehrstrafgesetz strafbar. Bei der Desertion geht es nicht nur um die Funktionalität der Truppe, sondern aus der Sicht des einzelnen Soldaten um die Kameradschaft, die soldatisch-menschliche Gemeinschaft. Was die Zahl der Todesurteile wegen aller Militärverbrechen betrifft, veröffentlichte in 1984 das Bundesministerium der Justiz die Schätzung von 16000 Todesurteile . Vielleicht wird eine spätere gründlichere Untersuchung Licht in diese Frage bringen -- vor allem jetzt, unter Verwendung der Akten, die sich in der ehemaligen DDR und in Prag befanden. Bis dahin kann man sich auf die Schätzung im Buche von Otto Schweling/Erich Schwinge "Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus" (1978) von etwa 12000 Todesurteilen stützen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass schätzungsweise 50 Prozent der Todesurteile nicht vollstreckt wurden. Was die amerikanische oder britische Militärjustiz betrifft, wurden sowohl im ersten als auch im zweiten Weltkrieg, Todesurteile wegen Fahnenflucht verhängt und vollstreckt. Es wurden deshalb nicht so viele, weil die Kriegssituation ganz anders war. Bei den Westalliierten waren Auflösungsgefahren selten gegeben, wohl aber bei der Sowjetarmee, wo sich Hunderttausende ergeben haben. Viele Zehntausende (sowjet-historiker schätzen mehr als 100,000) wurden von Kommissaren, Offizieren und Standgerichten erschossen. Amerikanische, britische und französische kriegsgerichtliche Unterlagen und Statistiken für den Zweiten Weltkrieg sind sehr spärlich, denn Court Martial Akten bleiben meistens 50 bis 75 Jahre gesperrt. Nach unvollständigen Veröffentlichungen wurden in der US Army 142 Todesurteile (meistens wegen Mord oder Vergewaltigung vollstreckt, einschließlich des Todesurteils gegen Private Eddie D. Slovik, der im August 1944 in Frankreich Fahnenflucht beging, am 11. November 1944 verurteilt und am 31. Januar 1945 hingerichtet wurde, nachdem General Eisenhower am 23. Dezember 1944 das Urteil bestätigt hatte. Völkerrechtswidriger Krieg Bei allen 10 Gutachtern war unstrittig, dass der Zweite Weltkrieg objecktiv ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg war und daß das NS-Regime einen kriminellen, terroristischen Charakter hatte. Aber welche Folgerungen kann man daraus ziehen? Was folgt daraus subjektiv für die Betroffenen? Welche Möglichkeiten hatten sie, dies zu erkennen order zu verkennen? Wie Professor Möller feststellte, "die objektiven Tatbestände müssen wir hier von den subjektiven Beweggründen des Reagierens unterscheiden. Dazu gehört ein allgemein verbreitetes politisches Missverständnis der Zeitgenossen, die meinten, die Revision des Versailler Vertrags, die Hitler vorhabe, sei ihr allgemeines Anliegen. Die Verurteilung des Versailler Vertrags als eines imperialistischen Diktats reichte bis in die Reihen der Kommunisten, da waren die Bürgerlichen und die deutsch-national Rechtskonservativen nicht allein... Inwieweit konnten die Soldaten als die Beteiligten erkennen, dass dies ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg gewesen ist angesichts einer nationalsozialistischen Propaganda, die behauptete, man reagiere nur auf polnische Grenzverletzungen, man würde aus der Defensive heraus operieren? ... Wenn die subjektive Seite hier einbezogen werden muss, wenn jemand desertierte, so muss auch nach den Motiven gefragt werden." Motivation Welche Motivation hatten die Deserteure? Wer die Urteile gelesen hat, wird kaum einen Fall finden, wo die Deserteure aufgrund einer geistigen Ablehnung des Nationalsozialismus oder der Kriegsverbrechen der Nazis handelten. Fahnenflucht wurde überwiegend aus Angst begangen, oder weil man bei der Freundin geblieben war, oder weil man selber Verbrechen begangen hatte und eine Strafe durch die Wehrmachtgerichten befürchtete. In der Tat wurden viele deutsche Soldaten wegen gemeinen Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und Plünderung verurteilt. Viele wurden nicht nur wegen Fahnenflucht verurteilt, sondern wegen Fahnenflucht und Mord, oder wegen Fahnenflucht und militärischen Diebstahls. Damit sich die Mitglieder des Rechtsausschusses eine eigene Meinung bilden könnten, habe ich eine Mappe mit etwa 200 Feldurteile mitgebracht und ein Urteil in Kopie verteilen lassen, wo es um Fahnenflucht und dreifacher Mord an niederländischen Zivilisten ging. Die Vorstellung von Fahlenflüchtigen Soldaten, die auch Mörder waren, passte nicht in das ideologische Weltbild von manchen Abgeordneten, die von guten Deserteuren und bösen Wehrmachtsrichter sprachen. Zur Motivation der Deserteure bemerkte Professor Seidler: "Die pauschale Rechtfertigung der Desertion mit dem Argument, dass der Zweite Weltkrieg ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg gewesen sei, geht an der Lebenswirklichkeit des einzelnen Soldaten in der Truppe vorbei. Solche hochpolitischen Überlegungen waren ihm durch umfassende Propaganda unmöglich und den meisten aufgrund ihrer personalen Situation nicht möglich. Was die Fahnenflüchtigen taten, hatte auch keine Auswirkung auf die Gesamtkriegsführung, bestenfalls auf die Kampfgruppe, der sie angehörten; sie sprengten die Gruppenkohäsion und gefährdeten in vielen Fällen das Leben ihrer Kameraden." Dazu General a.d. Dr. Schreiber: "Wenn überlebende Deserteure heute zur Begründung oder Rechtfertigung ihrer Fahnenflucht anführen, wie viele russische Zivilisten getötet oder wie viele Orte beim deutschen Rückzug zerstört worden seien, so erhebt sich die Frage, woher wussten sie das als kleiner Gefreiter, Feldwebel oder Leutnant im Jahre 1942 oder 1944. Wann man nicht weiß, kann doch nicht als Motiv für ein Verlassen der eigenen Kameraden herhalten." In einem Leserbrief an die FAZ (9. Oktober 1995) zitierte der ehemalige Flottenrichter Dr. Otto Kranzbühler folgenden Passus aus Seidlers Buch Fahnenflucht: "Über die Hälfte aller Deserteure war disziplinarisch vorbestraft, die Hälfte von diesen bereits mehrfach. Ein Drittel aller wegen Fahnenflucht Angeklagten war bereits vorher von einem Militärgericht wegen größerer Delikte bestraft worden, ein nicht unerheblicher Prozentsatz sogar mehrfach. Diejenigen, die schon einmal vor einem Militärgericht gestanden hatten, waren in der Mehrzahl zugleich diejenigen, die bereits auch von einem zivilen Strafgericht abgeurteilt worden waren, bevor sie zur Wehrmacht kamen. Liest man die Fülle der Anklagepunkte, derentwegen sie sich wegen der Fahnenflucht vor dem Militärgericht zu verantworten hatten, wird in manch einem all deutlich, dass es sich um kriminelle Routiniers handelte." Der zum Kreis der Hitlergegner zählende Philipp Freiherr von Boeselager, fast den ganzen Krieg über Frontoffizier im Osten, hat am 28. Dezember 1995 in einem Leserbrief an die FAZ geschrieben: "Von Fronteinheiten ist mir nicht bekannt, dass jemand aus politischen Gründen übergelaufen ist, obwohl das Risiko ab 1942 gering war, da die Front überall Löcher hatte. Ein verantwortungsbewusster Soldat ließ seine Kameraden nicht in Stich, mit denen er im Deckungsloch zusammengehockt hatte. Selbst Soldaten, die mir als Kommunisten bekannt waren, sind aus diesem Grund nicht übergelaufen". Die Quellen Professor Seidler berichtete über die Tausende von Urteilen, die in den Archiven vorhanden sind, nämlich im Bundesarchiv-Kornelimünster, auch in Wien und in Prag. "Wenn man diese Urteile auswertet...kommt man zu Ergebnissen, was die Richter und was die Verurteilten betrifft. Ich habe feststellen können, dass die Richter den Gesetzlichen Strafrahmen überwiegend eher nach unten als nach oben zugunsten der Angeklagten ausgenutzt und einen ungewöhnlich hohen Prozentsatz der Angeklagten freigesprochen haben. Viele Anklagen wegen Fahnenflucht wurden umgewandelt in Urteile über unerlaubte Entfernung, und damit konnten Gefängnisstrafen ausgesprochen werden, wo sonst Zuchthaus- oder Todesstrafen fällig gewesen wären. . . Wie die obengenannten Sachverständigen, vertrat auch Professor Möller die These, dass Fahnenflucht kein NS-spezifischer Tatbestand darstellte, und dass eine generelle Rehabilitierung nicht gerechtfertigt sei. Professor Seidler argumentierte, dass obwohl die Wehrmachtjustiz auch Unrechtsurteile Die ehemaligen Verallgemeinerungen und Vorurteile, die unsere moderne Gesellschaft der älteren Generation vorwirft, werden durch andere Diffamierungen und Diskriminierungen ersetzt. Pauschale Lösungen werden vorgeschlagen, die auf primitive Verallgemeinerungen basieren. Kritik will man nicht hören. Die Kritiker werden totgeschwiegen. Bereits vor der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 29. November 1995 war die Hetze gegen die Wehrmacht und insbesondere gegen die Wehrmachtsrichter auf vollen Touren. Während amerikanische, britische und französische Militärs und Militärhistoriker die Manneszucht und häufig Ritterlichkeit der Wehrmacht anerkennen, wird die Wehrmacht in Deutschland zunehmend als Verbrecherorganisation bezeichnet. In Hamburg und anderen Städten Deutschlands ist eine Ausstellung über Wehrmachtsverbrechen gezeigt worden, der trotz grober Geschichtsklitterung und mangelnde Seriösität viel unkritische Berichtserstattung gewidmet wurde, denn sie passte im Zeitgeist der "Befreiung - 50 Jahre danach". Im Anschluss an die Anhörung vom 29. November 1995 haben Sachverständige die folgenden Formulierungsvorschlag unterbreitet: Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass alle Urteile - die von den am 20. Februar 1945 eingerichteten Sonderstandgerichten gefällt wurden, - die von Wehrmachtgerichten gegen Kriegsdienstverweigerer aus religiösen oder Gewissensgründen ergingen und - die von Wehrmachtgerichten wegen Fahnenflucht, Wehrkraftzersetzung oder Gehorsamsverweigerung verhängt wurden, soweit die Verurteilten mit ihren Handlungen Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime oder gegen rechtswidrige Handlungen deutcher Soldaten oder der Wehrmacht leisten wollten, zu Unrecht ergangen sind. Den Betroffenen und ihren Angehörigen bezeugt der Deutsche Bundestag Achtung und Mitgefühl. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den genannten Personenkreis rasch und unbürokratisch zu entschädigen. Ich möchte noch den Journalisten Rudolf Heizler aus der Kölnischen Rundschau zitieren, der sich am 31. Juli 1989 über die Deserteur-Ehrenmale Debatte bemerkte: "Die, die heute ein Denkmal für den Deserteur fordern, haben andere Ziele als die Ehrung und das Verständnis für menschliche Tragödien. Ihr Ziel ist die Abwertung des Wehrdienstes und wohl auch der Leistungen des 20. Juli." Dieses Wort gilt auch allgemein für die Rehabilitierungsdebatte. Zum Schluß soll man daran denken, dass es sich um einen Kampf um die Seele eines Volkes geht, eigentlich wohl um die Identität der Deutschen, die verloren zu gehen droht. Denn die Geschichte dieses Volkes, das in Mitteleuropa lebt und eine tausendjährige Geschichte hat, wird wegen zwölf Jahre Totalitarismus systematisch verfälscht. Juris Doktor (Harvard), Dr.phil. (Göttingen). Professor des Völkerrechts an verschiedenen amerikanischen Universitäten. Autor der Bucher "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen" (Ullstein), "Anmerkungen zur Vertreibung" (Kohlhammer) und "Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle" (Ullstein). Mitglied des P.E.N. Clubs. Dr. Wolf Stoecker: "Die Entscheidung des BSG über Versorgungsansprüche in Fällen von Todesurteilen der Wehrmachtsgerichte" in SGb 8/93, S. 352-55. Günter Saathoff, Franz Dillman, Manfred Messerchmidt, "Opfer der NS-Militärjustiz. Zur Notwendigkeit der Rehabilitierung und Entschaädigung", Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V., Bremen, 1995. Franz W. Seidler, Die Militärgerichtsbarkeit der Deutschen Wehrmacht 1939-1945 , Herbig Verlag, München, 1991. Fahnenflucht. Der Soldat zwischen Eid und Gewissen . Herbig Verlag, München, 1993. A. de Zayas, "Die Rechtsprechung der deutschen Wehrmachtgerichte zum Schutze der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten", in Humanitäres Völkerrecht , Heft 3, 1994, S. 118-124. Siehe auch "Wehrmachtrichter", Kapitel 4 meines Buches Die Wehrmacht Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts , Ullstein Verlag, Berlin, 4. Auflage 1987, S. 68-79. "Ein peinliches Schauspiel. Bei der Anhörung zur Wehrmachtsjustiz präsentiert die Union befremdliche Experten", Süddeutsche Zeitung, 1. 12. 95, S. 4. G. Fieberg, "Justiz im nationalsozialistischen Deutschland". Hoffmann, Joachim: Stalins Vernichtungskrieg , Wehrwissenschaftlicher Verlag, München 1995. |
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