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Calamitas virtutis occasio (Seneca, De providentia, 4, 6)

 
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José Ayala Lasso
Erster Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen

Grußbotschaft an die deutschen Vertriebenen am 28. Mai 1995 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main

Über Menschenrechte und Demokratie ist in dieser historischen Paulskirche oft gesprochen worden. Das ist gut so, denn es gilt, unser Bekenntnis zur dignitas humana immer wieder und an jedem Ort aufs Neue zu beteuern.

Fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sehen wir, dass neue Kriege und gravierende Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt Opfer fordern, Flüchtlingsströme auslösen, Menschen entrechten und sie zu Heimatlosen machen.

Vor fünfzig Jahren wurden die Vereinten Nationen mit dem Ziel gegründet, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte zu sorgen. Die Organisation hat vieles geleistet, viele Erfolge errungen, aber auch viele Enttäuschungen hinnehmen müssen. Die Organisation und ich selber als Hochkommissar für die Menschenrechte werden alles menschenmögliebe tun, um unserer Aufgabe gerecht zu werden.

In den letzten fünfzig Jahren wurden u.a. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die Konvention für die Eliminierung der Rassendiskriminierung und die Konvention gegen die Folter von der Generalversammlung verkündet. Im Hinblick darauf ist es uns klar, dass ethnische Säuberungen, Vertreibungen und Bevölkerungsumsiedlungen viele dieser fundamentalen Menschenrechte verletzen.

Das Recht, aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht. Die Unterkommission für Diskriminierungsverhütung und Schutz der Minderheiten beschäftigt sich z. Zt. mit der Frage der menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungsumsiedlungen. Der jüngste Bericht von Sonderberichterstatter Awn Shawkat Al Khasawneh stellt die (E/CN.4/Sub.2/1994/18) Völkerrechtswidrigkeit von Vertreibungen fest.

Auch die UNO Völkerrechtskommission beschäftigt sich mit dieser wichtigen Frage. Im Artikel 21 des Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind wird die Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten Heimat als besonders gravierende Menschenrechtsverletzung bzw. als internationales Verbrechen bezeichnet. Im Artikel 22 des Kodex werden Vertreibungen und Kollektivstrafen gegen die Zivilbevölkerung unter den besonders schweren Kriegsverbrechen genannt.

Das jüngste Bekenntnis der UNO zum Recht auf die Heimat lieferte am 26.August 1994 die Unterkommission in ihrer Resolution 1994/24, welche das Recht jedes Menschen, in Frieden in seinem eigenen Heim, auf seinem eigenen Grund und Boden und in seinem eigenen Land zu leben, bekräftigt. Außerdem unterstreicht die Resolution das Recht von Flüchtlingen und Vertriebenen, in Sicherheit und Würde in ihr Herkunftsland zurückzukehren.

Ich bin der Auffassung, dass, hätten die Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr über die Implikationen der Flucht, der Vertreibung und der Umsiedlung der Deutschen, nachgedacht, die heutigen demographischen Katastrophen, die vor allem als ethnische Säuberungen bezeichnet werden, vielleicht nicht in dem Ausmaß vorgekommen wären.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen zu sprechen kommen. Es ist gut, dass Menschen, die Unrecht gelitten haben, bereit sind, den Teufelskreis von Rache und Vergeltung zu brechen und sich auf friedlichen Wegen für die Anerkennung des Rechtes auf die Heimat und für den Wiederaufbau und die Integration Europas zu arbeiten. Eines Tages wird dieses Opfer besser gewürdigt werden.

Es besteht kein Zweifel darüber, dass unter der nationalsozialistischen Besatzung den Völkern Ost und Zentraleuropas unermessliches und unvergessliches Unrecht zugefügt worden ist. Sie hatten daher einen legitimen Anspruch auf Reparation bzw. Wiedergutmachung. Jedoch dürfen legitime Ansprüche nicht durch die Verhängung von Kollektivstrafen auf der Grundlage allgemeiner Diskriminierung und ohne die genaue Untersuchung persönlicher Schuld verwirklicht werden. In den Nürnberger und Tokioter Prozessen wurde das unerlässliche Prinzip persönlicher Haftung für Verbrechen wohlweislich angewandt. Es lohnt sich, die Nürnberger Protokolle und das Nürnberger Urteil in vielerlei Hinsicht noch einmal zu lesen.

Uns geht es vor allem um die allgemeine Anerkennung der Menschenrechte, die auf dein Prinzip der Gleichheit der Menschen beruht. Aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ist mit Ehrfurcht zu gedenken, denn jedes einzelne Menschenleben ist wichtig. Es gilt, sich stets für die dignitas humana einzusetzen.

Copyright ©2004 Alfred De Zayas. All contents are copyrighted and may not be used without the author's permission. This page was created by Nick Ionascu.